Zeit für Khataminomics

Der iranische Staatspräsident will die Wirtschaft mit alten Rezepten liberalisieren. Internationale Investoren stehen schon bereit.

Zur Todesstrafe gibt es für den deutschen Geschäftsmann Helmut Hofer nun eine Alternative: ca. 60 000 Mark Geldstrafe. Das Todesurteil wegen einer verbotenen Beziehung zu einer iranischen Muslimin wurde fallen gelassen. Was bleibt, ist der Vorwurf, "Kontakte mit verdächtigen Elementen" unterhalten zu haben. So umschreibt man im Iran den Begriff der Spionage.

Das iranische Regime will sich die Gunst des Westens nicht völlig verscherzen. Die Mullahs wissen, dass das Überleben der Islamischen Republik von der ökonomischen Entwicklung des Landes abhängt. Dafür wird internationales Kapital benötigt. Mit einem neuen Wirtschaftsprogramm plant nun Präsident Mohammad Khatami die Liberalisierung der iranischen Wirtschaft.

Die soziale und politische Misere des Landes soll mit einem ökonomischen Fünf-Jahres-Plan - Umfang: umgerechnet 112 Milliarden Dollar - überwunden werden, der am 20. März 2000 in Kraft treten soll. Zur Finanzierung des Programms werden 64,1 Milliarden Dollar der Einnahmen aus dem Öl-Export, 41,5 Milliarden aus anderen Exporten und mindestens 6,8 Milliarden Dollar aus Neuverschuldungen herangezogen.

Als ein Ziel des von Khatami vorgestellten Pakets wird ein jährliches Wirtschaftswachstum von sechs Prozent angegeben. Außerdem soll der Iran in Zukunft weniger von Öl-Einnahmen abhängig sein. Bisher stammten über 80 Prozent der iranischen Staatseinnahmen aus dem Öl-Geschäft. Aber auch in dem Fünf-Jahres-Plan wird mit 58 Milliarden Dollar Einnahmen aus dem Öl-Export kalkuliert.

Mehr als 530 staatseigene Betriebe, die kurz vor dem Bankrott stehen, sollen privatisiert werden. Dies betrifft vor allem die Bereiche Telekommunikation, Bahn, Zucker, Tabak und Tee. In der Folge wird mindestens die Hälfte des Personals dieser Branchen entlassen werden müssen. Nach offiziellen Statistiken ist schon heute jeder sechste Iraner arbeitslos, die tatsächliche Arbeitslosenquote liegt aber wohl zwischen 20 und 25 Prozent. Ohne Beschäftigung sind vor allem Jugendliche und junge Erwachsene - sechs von zehn Iranern sind jünger als 25 Jahre. Deswegen sollen ab kommendem März, nach den Plänen Khatamis, 765 000 neue Arbeitsplätze entstehen. Wie und wo - das verrät der Präsident nicht.

Ein weiterer Punkt im Programm Khatamis ist die Abwertung des Rial. Damit soll der offizielle Kurs von gegenwärtig 3 000 Rial für einen Dollar an den Schwarzmarkt-Wert von 8 000 Rial angeglichen werden. Das neue Wirtschaftsprogramm muss zwar noch vom Majlis, dem iranischen Parlament, und vom Wächterrat abgesegnet werden. Grünes Licht hat Khatami jedoch schon vom religiösen Führer Ali Khamenei bekommen.

Das iranische Konzept gleicht in wesentlichen Zügen der US-Wirtschaftspolitik in den achtziger Jahren. Ähnlich wie Ronald Reagan will auch der Iran neoliberale Reformen durchsetzen und gleichzeitig die Rüstungsausgaben drastisch erhöhen. Khatami erklärte während der "Heiligen Woche des Miltärs" Ende September, Iran werde nie die Präsenz fremder Mächte in der Region akzeptieren. Gemeint sind die USA und die Nato. Und General Mohammad Bagher Qalibaf hatte nur wenige Tage zuvor verkündet, die iranische Luftwaffe sei dabei, mit modernsten Waffen ausgestattete Militärhubschrauber zu bauen, die aus dem Wirtschaftsprogramm finanziert würden.

Bereits seit Mai dieses Jahres werden die Kampfhubschrauber Shabaviz 75 und Shabaviz 2 061 in Massenproduktion hergestellt. Neu entwickelt wird zur Zeit auch Zelzal, eine neue Boden-Boden-Rakete. Der britische Militärexperte Paul Beaver vermutet, diese Raketen seien in der Lage, 2 200 Pfund schwere atomare oder chemische Sprengköpfe zu tragen. Iran hatte zuletzt von Nordkorea 42 Scud-C-Raketen gekauft.

Für seinen Abklatsch der Reaganomics hat Khatami zum Teil schon den passenden Experten gefunden: Mohsen Nourbakhsch, ein neoliberaler Ökonom, der in den USA studiert hat, wurde jüngst zum Direktor der Iranischen Zentralbank gewählt. Als Finanzminister hatte er sich schon Anfang der neunziger Jahre bewährt, indem sein Ministerium die Forderungen der Weltbank und des IWF bei der Verschuldung des Iran umsetzte.

Sein Gegenspieler ist der derzeitige Finanzminister Hossein Namazi, der die Einführung der freien Marktwirtschaft als eine Gefahr für die politische Stabilität des Landes bewertet und stärker auf staatliche Kontrolle der Wirtschaft setzt. Den ersten Streit haben der Zentralbankchef und der Wirtschaftsminister bereits hinter sich. Während Nourbakhsch auf eine hohe Zinsrate setzt, um das Land für Kapitalanlagen attraktiver zu machen, wiegelt der Finanzminister ab: Höhere Zinsen würden die Unternehmer davon abhalten, notwendige Risiken auf sich zu nehmen. Die industrielle Entwicklung des Landes werde auf diese Weise geschwächt.

Trotz des Streits, der noch nicht entschieden wurde, scheint internationalen Investoren das Konzept der Khataminomics zu gefallen: Galt bisher schon in den iranischen Freihandelszonen Steuerfreiheit, so sind künftig im Rest des Landes Steuersenkungen für Investoren, ausländische Arbeiter und Ingenieure vorgesehen. Bei der Erdgas-Förderung wollen nun die französischen Konzerne Elf und Total, die russische Gazprom, die malaysische Petronas, die kanadische Bow Valley Energy und der italienische ENI-Konzern ihre Aktivitäten steigern. Iran hat nach Russland die zweitgrößten Erdgasreserven der Welt.

Mit dem britisch-niederländischen Multi Shell wird zur Zeit noch verhandelt: Die Chancen einer Kooperation seien sehr groß, erklärte der iranische Öl-Minister Ende September. Ali-Naqi Khamoushi, Direktor der iranischen Handelskammer für Industrie und Bergwerke, hatte zuvor versichert, ausländische Investoren dürften zu jeder Zeit ihr Kapital retransferieren.

Auch die deutsche Wirtschaft mag da nicht zurückstehen. Axel Gerlach, Staatssekretär für Energie und Außenhandel im deutschen Wirtschaftsministerium, besuchte Anfang Oktober zusammen mit Vertretern der deutschen Wirtschaft den Iran, um die Handelsbeziehungen zu verbessern. Für mehr Hermes-Bürgschaften - staatliche Absicherungen für den privatwirtschaflichen Handel - hat sich der mitgereiste niedersächsische Wirtschaftsminister Peter Fischer ausgesprochen.

Neben der Verkehrsinfrastruktur und der Petrochemie sollen nach den Vorstellungen Fischers besonders in der Automobil-Industrie neue Projekte entstehen. Iran habe sich stark daran interessiert gezeigt, zum Produktionsstandort für ein Volkswagen-Werk zu werden. Es gebe Überlegungen, mit der VW-Tochtermarke Skoda auf den iranischen Markt zu gehen, erklärte Fischer. Denkbar sei eine Kooperation zwischen dem VW-Werk im bosnischen Sarajevo und einem Standort im Westen des Iran.

Sorgen, dass ihnen Ähnliches blühen könnte wie Helmut Hofer, brauchen sich die VW-Manager jedenfalls kaum mehr zu machen. Angesichts der dringend benötigten Investitionen werden sich die religiösen Bedenken gegen die westlichen Verführer in Grenzen halten.