Algeriens Staatschef droht mit Rücktritt

Boudiaf im Hinterkopf

Die mit Spannung erwartete Regierungsbildung in Algerien hat sich weiter verzögert. Am Dienstag letzter Woche drohte Präsident Bouteflika mit Rücktritt, sollten bis zum 13. Januar 2000 nicht "die Dinge ins Lot gekommen" sein. Zu dem Stichtag also, an dem das aktuelle Amnestiegesetz ausläuft und - so die Hoffnung in Algier - ein Großteil des Terrorismusproblems geregelt sein soll.

Die Nachrichtenagentur Reuters meldete, Bouteflika reagiere damit auf die Weigerung der Generäle, ihm bei der Regierungsbildung freie Hand zu lassen. Demnach beabsichtigte "Boutef", ein Kabinett mit fünf oder sechs "Super-Ministern" in Gestalt seiner persönlichen Vertrauten zu bilden. Die Armeeführung bestehe hingegen darauf, die wichtigsten Parteien in die politische Führung einzubinden. Die Reuters-Depesche wurde am Dienstagmorgen von der offiziellen algerischen Nachrichtenagentur APS übernommen, am Abend jedoch zurückgezogen. Zeitgleich gab Bouteflika ein Dementi ab.

Zum Teil besteht diese Minikrise wohl aus Theaterdonner, muss Bouteflika doch Unabhängigkeit von seinen militärischen Hintermännern - die Armee hat ihn zum Jahreswechsel 1998/99 als "offiziellen" Präsidentschaftskandidaten aufs Schild gehoben - demonstrieren. Dahinter steht aber tatsächlich auch der Versuch der Armeeführung, Bouteflika an die Leine zu legen und ihm nicht allzu freie Hand bei der Ausübung der Rolle eines "starken Mannes" mit bonapartistischen Zügen, der "über den Parteien steht", zu lassen.

Bouteflika wurde von den Militärs gerufen, um die herrschenden Klassen, die aus Militär oder Nomenklatura der früheren quasi-realsozialistischen Einheitspartei FLN stammen, vor sich selbst zu retten. Das Establishment bereicherte sich nach dem Untergang des FLN-Systems 1988/89 überwiegend aus dem Ausverkauf der Filetstücke der ehemals verstaatlichten Ökonomie. Die Ölrente, die es unter dem alten System abgeschöpft hatte, benutzte das Establishment vor allem dazu, massenhaft westliche Waren aufzukaufen und in Algerien zu verkaufen. Diese Importware ist billiger als die einheimische Produktion und trägt dadurch zu deren Ruin bei.

In Militär und Nomenklatura haben führende Köpfe erkannt, dass die Phase destruktiver Bereicherung so nicht weitergehen kann, will die herrschende Klasse unter den Bedingungen der Weltmarktkonkurrenz ein eigenes Gewicht behalten. Die unter Ausnutzung der Bürgerkriegssituation der letzten fünf Jahre mafios akkumulierten Kapitalien müssten nunmehr in den Aufbau einer warenproduzierenden nationalen Ökonomie reinvestiert werden.

In einer Rede vor Diplomaten am Dienstag, wenige Stunden nach seiner Rücktrittsdrohung, ließ Bouteflika anklingen, es müsse den Monopolen ein Ende bereitet werden, die bisher die Ökonomie beherrschten und weder Einfuhrzölle noch Steuern bezahlten. Er kündigte an, an Algiers Hafen und Flughafen Scanner einzuführen, die verhindern sollen, dass undeklarierte Waren massenhaft ins Land gelangen.

In Armee und Neureichen-Mafia stößt "Boutef" damit auf Widerstände. So kommt ein Konflikt zwischen privaten und kollektiven Interessen des Establishments zu Stande - das sich in dem Bemühen niederschlägt, Bouteflika zumindest zu kontrollieren, damit die Beschneidung gewisser Einzel-Interessen nicht zu schmerzhaft ausfällt.

Bouteflika muß ein warnendes Vorbild vor Augen haben: seinen kurzlebigen Amtsvorgänger Mohammed Boudiaf. Mit dem wurde im Frühsommer 1992 kurzer Prozess gemacht, als er "Korruption und Mafia-Interessen" in den herrschenden Armeekreisen anzugehen drohte - Boudiaf wurde von seiner Leibgarde erschossen.