Hungern gegen Essen

Protest gegen DRK-Fremdverpflegung und würdelose Behandlung: 150 Flüchtlinge in Berlin wehren sich gegen das Asylbewerberleistungsgesetz.

Ich wähle Rep, damit die Asylanten schneller nach Bosnien zurückfliegen." Um die Flüchtlingsunterkünfte in der Buchholzer und der Blankenburger Straße häufen sich die Plakate der Rechten. Die hier lebenden Flüchtlinge aus Bosnien und dem Kosovo haben sich schon beinahe daran gewöhnt.

Den Nachbarn möglichst nicht auffallen, lautete bis vor kurzem ihre Devise. Doch seit dem 13. Oktober ist das anders. An diesem Tag brachten sie Transparente an den Außenwänden ihrer Unterkünfte an: "Bargeld für alle!", "Gleiche Sozialhilfe wie für Deutsche!" und "Wir sind Menschen und wollen wie Menschen behandelt werden!" Schon nach wenigen Stunden waren die Transparente wieder verschwunden - ob sie von eifrigen Nachbarn oder der Heimleitung entfernt wurden, weiß niemand.

Mit der Aktion wollten die Flüchtlinge auf den Hungerstreik aufmerksam machen, den etwa 150 Bewohner von drei Berliner Flüchtlingsheimen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) am 1. Oktober begonnen hatten. Sie haben in einer gemeinsamen Aktion die "Berechtigungskarten" für Fremdverpflegung im Heim zurückgegeben und fordern das Recht auf eigenes Geld, eigenen Einkauf und die Möglichkeit, selbst zu kochen. Der Boykott der vom DRK organisierten Nahrung ist Höhepunkt einer monatelangen Auseinandersetzung zwischen den Flüchtlingen und dem Träger der drei Heime in den Stadtteilen Pankow und Spandau. Der Konflikt hatte sich an der Entscheidung entzündet, den Flüchtlingen das Bargeld für die Selbstversorgung zu entziehen und stattdessen eine durch eine Catering-Firma gelieferte Vollverpflegung zur Verfügung zu stellen. Zudem wurde in vielen Fällen mit Hilfe der sehr dehnbaren "Missbrauchsregelung" des reformierten Asylbewerberleistungsgesetzes das monatliche Taschengeld von 80 Mark pro Person gestrichen.

Die jetzigen Proteste werden vor allem von Frauen getragen. Milka, eine resolute Mittvierzigerin aus Bosnien, ruft auf einer Kundgebung der Flüchtlinge vor dem Senat für Soziales am vergangenenen Mittwoch erregt: "Was soll ich meinen Kindern erzählen, wenn sie mich fragen, warum alle anderen Mitschüler zu Weihnachten Geschenke bekommen?" Auch Renata aus Bosnien hat sich in den letzten zwei Wochen aktiv am Streik beteiligt: "Seit vier Monaten gibt es jeden Mittag Kartoffeln und Hähnchen und abends drei Tage Dosenfisch und dann drei Tage Billig-Salami", klagt sie.

Auch die Bettelei um einen Krankenschein empfinden die Flüchtlinge als demütigend. Häufig wird er von den zuständigen Behörden einfach verweigert, bestätigen auch einige Flüchtlingsbetreuer. Milka zeigt auf rote Flecken an ihrem Hals. "Viele hier im Heim leiden an einer Allergie, und weil wir nicht zum Arzt gehen können, wird es immer schlimmer."

Doch in der Berliner Auseinandersetzung geht es nicht nur um Geschenke, abwechslungsreicheres Essen oder den Krankenschein. "Wir haben in den Kriegsmonaten monatelang nur von Kartoffeln und Nudeln gelebt. Und jetzt kann ich weiter nicht selbst entscheiden, wie ich mich und meine Kinder ernähre", erklärt Milka. Es wirkt nicht pathetisch, wenn sie betont: "Selbst kochen zu können ist für mich auch eine Frage der Menschenwürde."

Nach über zwei Wochen Nahrungsboykott schwankt die Stimmung im Flüchtlingsheim zwischen dem Mut der Verzweiflung und Depression. Das DRK ist zu einer klaren Positionierung nicht bereit. Noch im September 1999 protestierte DRK-Präsident Klaus Schütz in Briefen an Berlins Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und an Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) gegen die Streichung der Bargeldausgabe an Flüchtlinge. Zur gleichen Zeit verhandelte die DRK-Geschäftsführung nach Angaben von Berliner Flüchtlingsberatern aber bereits mit dem Spandauer Sozialamt über eine Verlängerung der Verträge für die beanstandete Vollverpflegung über 1999 hinaus. Gegenüber den Betroffenen verwies das DRK dann auf bereits abgeschlossene Verträge, die es einhalten müsse. Man drohte auch schon mal, die Leitung der Heime an Privatfirmen abzugeben, die viel kommerzieller ausgerichtet seien - eine Anspielung auf die Sorat-Kette, die zahlreiche Flüchtlingsheime in Berlin und Brandenburg betreut und dabei kräftig verdient.

Aber auch für das DRK ist die Heimbetreuung lukrativ. Nach Angaben der Berliner Sozialsenatorin erhält es für Unterkunft und Vollverpflegung pro Person monatlich 1 050 Mark. Davon sind pro Tag und Mensch DM 13,50 für Verpflegung veranschlagt. Die Berliner Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) lehnte bei einem Gespräch mit einer Flüchtlingsdelegation am 13. Oktober sämtliche Forderungen der Hungerstreikenden rundweg ab. Dabei hatten sich die Flüchtlinge schon auf eine Kompromiss-Linie geeinigt, waren sogar bereit, als Ersatz für die Vollverpflegung ein "Chipkartensystem" zu akzeptieren, das sie bisher als diskriminierend abgelehnt hatten. Zwar haben die Flüchtlinge dann auch kein Bargeld zur Verfügung, können aber in begrenztem Rahmen selber entscheiden, welche Nahrungsmittel sie erwerben wollen.

Anders als noch bei der faktischen Abschaffung des Asylrechts 1993 blieb die Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes, gegen dessen Auswirkungen die Flüchtlinge in Berlin jetzt protestieren, ein Spezialthema für antirassistische Gruppen und Experten von Wohlfahrtsverbänden. Einige Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg und teilweise auch Nordrhein-Westfalen hatten schon ab 1993 mit der Umsetzung der Leistungsverweigerungen begonnen. Da diese Beschlüsse aber reihenweise von den Gerichten aufgehoben worden waren, weil die gesetzliche Grundlage fehlte, wurde diese mit der 1997 in Kraft getretenen Gesetzesverschärfung nachträglich geschaffen.

Und kaum war das Gesetz verabschiedet, hatte man auch schon eine neue Lücke im Ausländerrecht ausgemacht. Im Sommer 1997 lancierte die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) mehrere Artikel im Tagesspiegel, aber auch einen taz-Titelkommentar, in denen sie vor einem verstärkten Ansturm Sozialhilfe kassierender Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien warnte. Weil wegen der Situation in den Herkunftsländern eine schnelle Abschiebung dieser Menschen nicht möglich sei, müsse dem Missbrauch von Sozialleistungen durch die Streichung der Gelder Einhalt geboten werden, so der Tenor in Johns Beiträgen.

Am 10. September 1997 legte das Land Berlin einen Entwurf zur weiteren Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes vor, der im März 1998 in erster Lesung im Bundestag verabschiedet wurde. Nach Angaben des Berliner Flüchtlingsberaters Georg Classen ist die Umsetzung dieses Gesetzes in der Hauptstadt bundesweit einmalig und in vielen Fällen auch rechtswidrig. "Aushungern, obdachlos aussetzen, illegalisieren" - unter diesen drei Schlagworten fasst er die Auswirkungen auf die Flüchtlinge zusammen.

Darüber hinaus werden bereits weitere neue Gesetzesverschärfungen vorbereitet. Den Vorreiter macht dieses Mal die CDU in Baden-Württemberg mit ihrem Innenminister Thomas Schäuble. Auf der Konferenz der Innenminister Anfang November will er eine Regelung zu Fall bringen, die Flüchtlinge mit einer Aufenthaltsdauer von mehr als drei Jahren wie normale Sozialhilfeempfänger behandelte. "Wird eine lange Aufenthaltsdauer finanziell belohnt, werden Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge geradezu aufgefordert, die Ausweisung auf dem Instanzenweg zu verschleppen", lautete seine Begründung in den Stuttgarter Nachrichten.

Diese Entwicklung bestimmt den europäischen Trend. So verabschiedete das britische Parlament im letzten Juni ein neues Asylgesetz, das das bisher liberalere Flüchtlingsrecht ersetzt. Zu den Grundsätzen der von New Labour unter dem Motto "gerechter, entschlossener, schneller" eingebrachten Gesetzesnovelle gehört - neben einer starken Kürzung der finanziellen Zuschüsse für Flüchtlinge - eine Umstellung der Leistungen von Bargeld auf das Gutscheinsystem nach deutschem Vorbild.