Wettlauf nach Rechts

Bei den Wahlen in der Schweiz kann die rechtsradikale Volkspartei von Christoph Blocher auf kräftige Stimmengewinne hoffen.

Es findet ein Wettlauf nach Rechts statt. Für einen Politiker einer Randregion, der tagtäglich mit Leuten zu tun hat, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, ist das frustrierend." Nationalrat Josef Lötscher ist enttäuscht. Als Vertreter des Entlebuch / Kanton Luzern, einer der einkommensschwächsten Regionen der Schweiz, saß er vier Jahre im eidgenössischen Parlament. Das Mitglied der Christlich-Demokratischen Volkspartei (CVP) zog in diesem Sommer die Konsequenz und trat zurück.

Doch der CVP-Mann ist eine Ausnahme. Immer stärker hat sich die bürgerliche Regierungskoalition aus CVP und der kapitalfreundlichen Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) in den letzten Jahren die politische Richtung von der rechtsradikalen Schweizer Volkspartei (SVP) vorgeben lassen.

Die SVP ist unter Führung ihres Präsidenten, des charismatischen Multimillionärs Christoph Blocher, einer Art Schweizer Haider, auf Erfolgskurs. Glaubt man den letzten Meinungsumfragen, haben die Rechten mit einer nationalistischen und ausländerfeindlichen Politik ihren Rückhalt in der eidgenössischen Bevölkerung in den letzten acht Jahren von 11,9 Prozent (1991) auf 20 Prozent fast verdoppeln können. Besonders im Bereich der Asylpolitik und der Steuerpolitik haben Blocher und seine Anhänger für einen Rechtsruck gesorgt. Der neuerdings von der SVP geführte "Kampf gegen den Steuerstaat", bei dem die Steuern um 20 Prozent gesenkt werden sollen, trifft auch bei der FDP und dem Unternehmerflügel der CVP auf offene Ohren. Und auf die Inseratenkampagnen der SVP gegen AusländerInnen, in denen vor "Menschen aus fremden Kulturkreisen" und "Kriminellen" gewarnt wird, die in der Schweiz nur die Fürsorge abkassieren wollen, reagierten die bürgerlichen Parteien - indem sie langsam aber sicher das Schweizer Asylrecht aushöhlten.

Die heute so erfolgreiche SVP bildete bis vor rund zwölf Jahren eine kleingewerbliche und bäuerische Interessengruppe. Nach Ende des Kalten Krieges profitierte die Rechtspartei von der neuen, im ökonomischen Musterland ungewohnten politischen und finanziellen Instabilität. Zwar ist die SVP seit Jahrzehnten an der Regierung beteiligt. Dennoch gebärdet sich der populistische Blocher wie ein Oppositionspolitiker und beschuldigt das gesamte politische Personal - sich selbst ausgenommen - der Orientierungslosigkeit und der Verdorbenheit.

Als führende Kraft der radikalen Rechten etablierte sich die SVP 1992, als sie die Volksabstimmung über den Schweizer Beitritt zum Europäischen Wirtschaftraum (EWR) zu Fall brachte. Ähnlich wie die österreichische FPÖ von Jörg Haider fordert Blocher eine isolationistische Außenpolitik und will sogar einen Uno-Beitritt verhindern. Sollte sich die SVP durchsetzen, könnte der EU-Beitritt, der von den anderen Parteien in den nächsten zehn Jahren anvisiert wird, Makulatur werden.

Innenpolitisch hat es die SVP vor allem auf Randgruppen wie Drogenabhängige und Sozialhilfe-EmpfängerInnen abgesehen. Das erklärte Ziel ist weniger Sozial-, dafür mehr Polizeistaat. Die international ausgestrahlten Fernsehbilder über den weltgrößten Drogenmarkt in Zürich schaffen dafür die richtige Stimmung.

Wie nah Partei-Chef Blocher am rechtsradikalen Rand steht, macht ein Blick auf seine Anhängerschaft deutlich. Bereits vor zehn Jahren lobte der westschweizerische Altfaschist Gaston Armand Amaudruz den neuen Star der Schweizer Rassisten: "Endlich ein Systempolitiker, der die Augen aufmacht". Fast die gesamte Schweizer Rechtsextremen-Szene, seien es Holocaust-Leugner, Altfaschisten oder Neonazis, sieht heute im Großindustriellen Blocher einen "Anwalt des Volkes".

Im Gegensatz zu Haider hat sich Blocher in der Öffentlichkeit nie bewundernd oder relativierend über den Nationalsozialismus geäußert. Dennoch kommt es immer wieder zu peinlichen Enthüllungen. Bei einer Hausdurchsuchung wurde 1997 ein Brief von Blocher gefunden, in dem er "Das Rotbuch - Vom Untergang der Schweizerischen Freiheit" lobt und dem Autor Jürgen Graf Recht gibt. Das Buch, das den Holocaust leugnet, wurde von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt.

Bei den heftigen Auseinandersetzungen um die nachrichtenlosen Konten auf Schweizer Banken verstand er es, zwar antisemitische Phantasmen auszulösen, sie jedoch nie auszusprechen. Gleichzeitig bedienen prominente SVP-Mitglieder - wie etwa der Schweizerzeit-Herausgeber und Nationalrat Ulrich Schlüer oder der antisemitische Verschwörungsphantast Emil Rahm - mit ihren Zeitschriften auch eine rechtsradikale Klientel.

Die SVP bietet vielen Schweizer Rechtsradikalen eine Heimat. Nur in Fällen, in denen der politische Druck zu groß wurde, sah sich die Parteiführung zur Distanzierung gezwungen. Zum Bauernopfer wurde der 40jährige Anwalt Pascal Junod, ein wichtiger Exponent der rassistisch inspirierten Neuen Rechten, der in Genf zum SVP-Kantonalsekretär berufen und auch als Nationalratskandidat aufgestellt worden war. Nur wenige Tage nach seiner Aufstellung hatte Junod gegenüber einem Journalisten den Holocaust relativiert. Die Partei schloss ihn daraufhin aus.

Das Vertrauen der Partei behielt hingegen der 39jährige Tessiner SVP-Nationalratskandidat Roger Etter, der sich in der Zeitschrift Der Freiwillige, herausgegeben von Ehemaligen der Waffen-SS, in einem Inserat als "Gleichgesinnter" vorgestellt hatte. Politisch sensibler reagierte sein Arbeitgeber: Die private Bank Vontobel entließ den Waffen-SS-Bewunderer fristlos.

Auch wenn die SVP bei den Wahlen am kommenden Sonntag kräftig zulegen wird, zu ganz neuen Konstellationen wird es nicht kommen. Den Wahlprognosen zufolge werden die Stimmengewinne der SVP in erster Linie auf Kosten der beiden Regierungsparteien CVP und FDP gehen.

Allerdings nur in der deutschsprachigen Schweiz. Denn bislang ist es der SVP nicht gelungen, die Wähler auch in der Französisch- und der Italienisch-sprachigen Schweiz von sich zu überzeugen. So werden Verschiebungen in den beiden Parlamentskammern nur gering ausfallen. Im Ständerat, in dem bislang FDP, CVP und Sozialdemokraten jeweils zwei Sitze besaßen und die SVP einen, ist wegen des föderalen Prinzips der Schweiz eine Umverteilung höchst unwahrscheinlich. Schon fast Tradition ist bei solch unspektakulären Wahlprognosen auch die chronisch niedrige Wahlbeteiligung: Höchstens fünfzig Prozent der Eidgenossen werden am Sonntag an den Wahlurnen erwartet.