Die Macht am Nil

Ägyptens Staatschef Mubarak bekämpft zur Sicherung seiner Macht nicht nur die Islamisten, auch die Freiheit von Nichtregierungsorganisationen wird weiter eingeschränkt.

Zu vollmundigen politischen Versprechen ließ sich Ende September Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak hinreißen, um sich von den Untertanen seine vierte Amtszeit absegnen zu lassen: "Ich verheiße dem ägyptischen Volk, dass es keinen Schritt zurück und dass es mehr demokratische Praxis geben wird", beteuerte er wenige Tage vor dem Referendum gegenüber Vertretern der ägyptischen Staatspresse. Davon ist nun, nach dem Referendum, allerdings nichts zu spüren.

Im Gegenteil: Ein in Kürze in Kraft tretendes neues NGO-Gesetz soll es der Regierung künftig ermöglichen, selbst über die Verteilung ausländischer Spenden-Gelder zu entscheiden. Nach Einschätzung von Mitarbeitern des Kairoer Zentrums für Menschenrechte und Rechtsberatung (CHRLA) dienen die neuen Bestimmungen vor allem dazu, unbequeme Nichtregierungsorganisationen politisch gefügiger zu machen. Wenn es um die Rechte der Opposition geht, bleibt Mubarak hart. Ein Forderungskatalog nach Aufhebung der Notstandsgesetze, des Pressegesetzes 96 sowie der Zulassungsrestriktionen für neue politische Parteien stieß beim Präsidenten auf keine Resonanz.

Auch in der Auseinandersetzung mit den Islamisten stehen die Zeichen derzeit eher auf Konfrontation. Der Burgfrieden zwischen islamischen Gotteskriegern und der Staatsmacht ist nach zwei Jahren wieder ernsthaft gefährdet, seit Sicherheitskräfte im letzten Monat in Kairo vier Aktivisten der Gamaat al Islamjia erschossen haben - obwohl ihr Anführer, Abdel Qadr Kedwani, den von der Gamaat al Islamjia angeordneten einseitigen Waffenstillstand vom vergangenen Jahr akzeptiert hatte (Jungle World, 40/99).

Die historische Führung der Gamaat al Islamjia hatte in diesem Frühjahr ihr Friedensangebot an die Regierung in Kairo erneuert und die Gründung einer politischen Partei - als Alternative zum bewaffneten Kampf - in Aussicht gestellt. Zwar ging die Regierung in Kairo nicht direkt auf die wiederholten Offerten der Extremisten ein. Innenminister Habib al-Adli zeigte sich dennoch kompromissbereit und entließ im Rahmen einer landesweiten Amnestie im April rund 1 200 Gamaat-Aktivisten aus den Gefängnissen - eine Geste, die sich das Regime angesichts überfüllter Gefängnisse und des militärischen De-facto-Sieges über die zweitgrößte Terrororganisation des Landes auch leisten konnte.

Doch nach dem harten Vorgehen der Sicherheitskräfte in Giza ist das Verhältnis zwischen Staatsmacht und Gamaat wieder nachhaltig gestört. Muntasser al-Zayyat, prominenter Anwalt und Mittelsmann der extremistischen Untergrundorganisation, glaubt, dass der Vorfall die Gamaat-Aktivisten wieder auf die Barrikaden bringen und zu militanten Gegenschlägen veranlassen wird.

Auch der moderaten und größten islamistischen Oppositionsvereinigung, der Muslimbruderschaft (Ikhwan al-Muslimun), geht das Regime an den Kragen. In einer groß angelegten Verhaftungswelle vom vorletzten Wochenende nahm die Polizei in Kairo zwanzig Mitglieder der bis heute verbotenen Organisation fest. Die Verhaftungen stehen im Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen zu den Berufsverbänden, die seit den achtziger und neunziger Jahren zum Großteil von den Muslimbrüdern dominiert werden.

Der Staatsmacht geht es vor allem darum, die Aktivitäten der Ikhwan in den Berufsverbänden sowie in den von ihnen kontrollierten Studentenvereinigungen zu blockieren, um deren politischen Einfluss zu minimieren. Zielscheibe des Regimes ist dabei in erster Linie die moderat-islamistische "Generation der Vierzigjährigen", die ihre Karriere bereits in den siebziger Jahren in der islamischen Studentenbewegung machte und jetzt in den Berufsverbänden politisch aktiv ist.

Bis heute sieht die Regierung in Kairo von den jüngeren, konfliktfähigen Kadern der Muslimbruderschaft eine größere Bedrohung ausgehen als von der älteren dogmatischen Führungsriege um ihr geistiges Oberhaupt Mustapha Mashour. Jüngere Organisationsdissidenten, wie der Gründer der Wassat-Partei, Abul Ela Madi, werfen den Ikhwan-Senioren vor, nicht mehr ernsthaft die Konfrontation mit dem Mubarak-Regime zu suchen. Darüber hinaus kritisierten sie den autokratischen Führungsstil und die fehlende Entschlossenheit, gegen die anhaltenden Restriktionen des Staates energisch vorzugehen (Jungle World, 32/98).

Ägyptens gesamte islamistische Bewegung ist heute gespalten wie nie zuvor. In den Reihen der religiösen Hardliner des Jihad und der Gamaat al Islamjia lassen sich mindestens vier Strömungen erkennen, die sowohl in Ägypten als auch vom Ausland aus operieren und konträre Positionen beziehen. Die Grabenkämpfe sowie der Legitimationsverlust beider Organisationen innerhalb der Bevölkerung nach dem Luxor-Massaker vom November 1997 - und nicht zuletzt die militärische Niederlage gegen die Staatsmacht - zwangen die Bärtigen, schnell einen Ausweg aus dem Dilemma zu suchen.

Mit ihren spektakulären Ankündigungen vom Mai und Oktober, islamische Parteien ins Leben zu rufen, versuchen beide Organisationen, ihren angeschlagenen Ruf innerhalb der islamischen Öffentlichkeit aufzubessern. Denn laut ägyptischer Verfassung ist die Gründung religiöser Parteien grundsätzlich verboten. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, wann das Parteiengesuch vom zuständigen Parteienkomitee des Shura-Rates abgelehnt wird.

Aber darauf kommt es den ehemaligen militanten Islamisten im Grunde auch gar nicht an. So ist dem Jihad-Aktivisten und Initiator der Shari'a-Partei, Mamdouh Ismail, eigentlich nur wichtig, dass sein Parteiengesuch der "einzige Weg ist, unsere Botschaft öffentlich zu verbreiten", wie er jüngst der Wochenzeitung Al-Ahram weekly offenbarte.