Pakistan nach dem Armee-Putsch

Militärische Mutationen

Auf den ersten Blick ist alles ganz einfach: Ein General setzt den gewählten Premierminister ab. "Undemokratisch", "Pfui" und "böse Militärs", grummelt es aus dem zivilgesellschaftlichen Bauch. "Aber halt", meldet sich der politische Verstand zu Wort, "muss nicht, wenn die Barbarei in Form der islamistischen Schlächter voranschreitet und emanzipatorische Kräfte sich partout nicht zeigen wollen, das kleinere Übel in Form des Militärs akzeptiert werden?" Ist Cholera nicht immer noch besser als die Pest?

Nein. Der abgesetzte Nawaz Sharif stand für eine beschleunigte Islamisierungspolitik nach innen und außen. Nie war die Unterstützung der afghanischen Taliban-Steinzeitkrieger durch Pakistan so groß wie unter seiner Herrschaft. Radikal-islamistische Think-Tanks (wie das Islamische Seminar in Akora Khattak) und Parteien (wie die Jamiat-e Ulama-i Islam, JUI) in Pakistan wurden nach Kräften politisch und ökonomisch gefördert.

Der langjährige Streit um die Frage, ob Pakistan ein Staat für Muslime oder ein muslimischer Staat sein soll, wurde von Sharif zu Gunsten der zweiten Variante beantwortet: Die Rechte des föderalen Sharia-Gerichtshofes wurden ausgebaut, Schulbücher umgeschrieben, die Rechte von Frauen und "Ungläubigen" weiter verringert. Dass dies gelehrten Gotteskriegern immer noch zu wenig war und sie die Absetzung des Premiers begrüßten, sagt nichts über Sharifs Politik, jedoch viel über den Anspruch der Gotteskrieger auf Kontrolle der gesamten Gesellschaft aus.

Denn auch mit Sharifs Nachfolger, General Pervez Musharraf - der im Frühling den islamistischen Rebellen in Kaschmir von Pakistan aus Befehle gab -, sind die radikalen Islamisten nach gerade mal zwei Wochen schon unzufrieden: Ließ er sich doch im Fernsehen mit seinen zwei Hunden auf dem Arm zeigen, die in den Augen der Orthodoxen als "unrein" gelten. CNN durfte sogar Bilder von Musharrafs Familie drehen, bei denen die Frauen unverschleiert waren. Ein Skandal.

Und doch sind das alles nur seine geringsten Vergehen. Mehr Anstoß nimmt man in den Islamischen Seminaren an Musharrafs Aussagen, mit den "Unreinen" in Israel und den USA weiterhin in Kontakt bleiben zu wollen sowie einige der Auflagen von IWF und Weltbank zu erfüllen, damit weiterhin Kredite ins Land kommen. Sowohl Musharraf als auch sein Vorgänger Sharif stehen hier im Widerspruch zu den islamistischen Hardlinern, da beide - wenn auch unterschiedlich - für eine Art pakistanische Entwicklungsdiktatur stehen, die nicht vom Weltmarkt abgekoppelt werden kann und soll.

Radikale Gottesgelehrte wie der Leiter von Akora Khattak, Maulana Sami-ul-Haq ("In Pakistan zählt es nicht, liberal zu sein") oder JUI-Chef Qazi Husain Ahmad wünschen sich hingegen eine Herrschaftsform wie die der Taliban in Afghanistan - einen reinen Gottesstaat, der keine Rücksichten auf wen auch immer nehmen muss. Und das am besten auf höherem Niveau, sprich: dem der pakistanischen Atomwaffen. Immerhin wähnt man Musharraf, der bei der Islamisierung des Landes alles so lassen will, wie es ist, noch unter Kontrolle - obwohl er vergangene Woche vor "Elementen" warnte, die "unseren Glauben in Verruf bringen könnten".

Ein Islamgelehrter in Akora Khattak äußerte trotz dieser Aussage gegenüber der britischen Zeitung The Guardian Zuversicht: "Da ist so ein starkes islamisches Element in den Streitkräften."

Darauf wird Musharraf ebenso Rücksicht nehmen müssen wie auf den Inlandsgeheimdienst ISI mit den guten Kontakten zu den Taliban. Die Frage, die sich in Pakistan stellt, ist somit folgende: Was kommt eigentlich dabei heraus, wenn sich Pest und Cholera kreuzen?