Wahlen in der Schweiz

Nationale Sammlung

Die Schweiz gilt als Hort politischer Stabilität und direkter Demokratie. Doch über 55 Prozent der Stimmberechtigten gingen bei den Wahlen zum Nationalrat am vergangenen Sonntag nicht an die Urne, rund ein Fünftel der erwachsenen EinwohnerInnen waren erst gar nicht stimmberechtigt: AusländerInnen, die seit vielen Jahren oder gar seit der Geburt in der Schweiz leben, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen.

Erst nach zwölf Jahren kann einE AusländerIn ein Einbürgerungsgesuch stellen. In der jüngsten Vergangenheit wurden viele Gesuche - zumeist von Menschen aus der Türkei oder aus Ländern des ehemaligen Jugoslawien - abgelehnt. Häufig waren fremdenfeindliche Motive dafür ausschlaggebend.

Die fremdenfeindliche Stimmung war auch der entscheidende Impuls bei den Wahlen zum Nationalrat. Die Ergebnisse markierten einen deutlichen Rutsch nach Rechts: Die Sozialdemokratische Partei (SPS) bleibt zwar mit 21,5 Prozent stärkste Partei, verliert aber drei Sitze und stellt jetzt 51 Abgeordnete. Die nationalistische Schweizerische Volkspartei (SVP), geführt vom Milliardär Christoph Blocher, steigert sich von 14,9 auf 21,2 Prozent und verfügt nun über 44 Sitze. Die Freisinnig-Demokratische Partei und die Christlich-Demokratische Volkspartei bleiben mit 43 bzw. 35 Sitze konstant. Die Grünen behalten neun Sitze, die einst kommunistische Partei der Arbeit (PdA) steigert ihren Anteil um zwei auf fünf Sitze.

Wahlsieger ist ohne Zweifel das nationalkonservative Lager um den Populisten Christoph Blocher. Dieser konnte von mindestens drei Entwicklungen profitieren, welche die Schweizer Politik in den vergangenen zehn Jahren dominierten:

Insbesondere die Öffnung hin zur Europäischen Union, die von der Regierung in Bern - mit Unterstützung von CVP, FDP und SPS - angestrebt wird, hat viele Wähler beunruhigt. Die Schweiz hatte nach dem Zweiten Weltkrieg einen isolationistischen Kurs gepflegt, vielfach begleitet von fremdenfeindlichen Untertönen. Das nationalkonservative Lager konnte nahtlos an diese Traditionslinie anschließen.

Ein weiterer Grund ist in den Auseinandersetzungen um die Politik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg zu suchen. Die internationale Diskussion um die nachrichtenlosen Vermögen, Raubgold und die Abweisung von jüdischen Flüchtlingen stellten die verbreitete Lüge einer menschenrechtsfreundlichen und durchweg nazifeindlichen Politik bloß. Gegen die Wiedergutmachungsforderungen jüdischer Organisationen bediente man sich bis weit ins bürgerliche Lager hinein nationalistischer, in Einzelfällen antisemitischer Anspielungen. Auch hier konnte das nationalkonservative Lager den Ummut vieler älterer BürgerInnen aufnehmen, die den Sinn ihrer Entbehrungen in der Zeit 1939-1945 in Frage gestellt sahen.

Und nicht zuletzt gelang es dem nationalkonservativen Lager, zum Teil mit freundlicher Unterstützung der Boulevard-Zeitung Blick, soziale Probleme der Einwanderungsgesellschaft wie auch der Drogenpolitik mit dem Begriff "Ausländer" zu verbinden.

Doch was auf den ersten Blick als großer Erfolg der SVP erscheint, muss relativiert werden. Die Schweizerische Freiheitspartei, die seit ihrer Gründung (1985) - und damit vor der SVP - einen unflätigen Ton gegen AsylbewerberInnen, AusländerInnen, Linke und Grüne anschlug, verliert 3,3 Prozent und alle ihrer sieben Sitze. Auch die fremdenfeindlichen Schweizer Demokraten verlieren 1,2 Prozent und zwei ihrer drei Sitze. Blochers Erfolg geht also auch auf Kosten von Gleichgesinnten, die sich in kleineren Parteien organisiert hatten.