Öfter mal was Neues

Wer mitregieren will, muss mitmarschieren: Die Bundestagsfraktion der PDS hat ihre Ablehnung von Uno-Kampfeinsätzen aufgegeben. Und auch die Partei dürfte ihr Programm bald dem der Grünen annähern.

Die Pressemitteilung des Fraktionsvorstandes ließ nichts Böses ahnen. Ganz zum Schluss erst, versteckt noch hinter so wichtigen "Schwerpunktvorhaben zur Bundestagswahl 2002" wie der Reform der Kommunalfinanzen und der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu den Zusatzversorgungssystemen der DDR, tauchte der Punkt auf, über den in der PDS-Bundestagsfraktion seit über einem Monat heftig gestritten wird: "Zivile Konftliktlösungen und Entwicklung". Und selbst da ließ sich nicht erkennen, weshalb die Fraktionsspitze eine Klausur zu dem so friedlich anmutenden Thema bereits einmal verschieben musste.

In der letzten Woche fand sie dann doch statt - zur vollen Zufriedenheit von Fraktionschef Gregor Gysi: Fast einstimmig entschieden sich die PDS-Parlamentarier dafür, Kampfeinsätze der Vereinten Nationen künftig nicht mehr prinzipiell abzulehnen - "sondern den Einzelfall zu bewerten". Ein Beschluss, der die bisherige Programmatik der Partei zu Uno-Kampfeinsätzen auf den Kopf stellt - und mit ziviler Konfliktschlichtung so viel zu tun hat wie die "Schwerpunktvorhaben" mit der in der Presseerklärung versprochenen Schärfung des PDS-Profils "als sozialistische Partei der Bundesrepublik".

Alles im Lot also in der Fraktion der demokratischen Sozialisten, wie Gysi der Presse weismachen wollte? Mitnichten. Wohl nur deshalb, weil sich unter den sieben auf der Klausurtagung fehlenden Abgeordneten die Mehrzahl der fraktionsinternen Gegner von Militäreinsätzen befand, ging die Vorlage, die Gysi persönlich eingereicht hatte, so glatt durch. Auch Wolfgang Gehrcke, außenpolitischer Sprecher der Fraktion und Wegbereiter des neuen PDS-Kurses in Sachen Sicherheitspolitik, dürfte sich gefreut haben: Lediglich zwei Abgeordnete enthielten sich der Stimme.

Kritik an den von Gysi vorgelegten Forderungen kam denn auch nicht aus der Fraktion selbst - sondern von der stellvertretenden Parteivorsitzenden Yvonne-Sylvia Kauffmann. Die PDS, widersprach sie dem Fraktionsvorsitzenden in einem Diskussionspapier, lehne Militäraktionen weiterhin nicht nur "im Prinzip ab", sondern bestreite "generell, dass militärische Aktionen zur Konfliktbewältigung geeignet sind". Es könne nicht sein, dass nun "aus der PDS selbst die Forderung" komme, dass "deutsche Soldaten (ob als Teil eines UN-'Gewaltmonopols' oder nicht) durch die UN-Charta Kapitel VIII legitimiert zur Waffe greifen und intervenieren sollten (Position von Wolfgang Gehrcke)".

Auch wenn sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende in einem Leserbrief an das Neue Deutschland gegen den Vorwurf seiner früheren Kollegin aus dem Parteivorstand verwahrte, traf Kauffmanns Kritik den Richtigen. Denn schon während des Kosovo-Krieges hatte der Ex-DKPler darauf gedrängt, künftig öfter einmal Ausnahmen von der antimilitaristischen Regel zu machen, nach der jede militärische Intervention abzulehnen sei. Gegenüber Jungle World räumte er damals zwar ein, "eine solche Diskussion führt man in Kriegszeiten schlecht" - auf eine Entscheidung drängte er trotzdem. Jetzt, wo der Krieg vorbei ist, ist die Gesamtpartei zwar immer noch nicht so weit, wie Gehrcke will. Doch zumindest die Fraktion hat den Richtungsschwenk vollzogen.

Mit tatkräftiger Unterstützung von Gregor Gysi: Dass PDS-Abgeordnete künftig von Fall zu Fall für bewaffnete Interventionen stimmen werden, daran hat der Fraktionschef entscheidenden Anteil. Gysis Forderung, "Kapitel 7 der Charta der Vereinten Nationen (Anordnung militärischer Kampfeinsätze durch den Uno-Sicherheitsrat; M.B.) nicht abzulehnen", sondern "sie notfalls sogar selbst einzufordern", fand in der Fraktion keinen Widerspruch. Die Begründung kennt man: zur Sicherung der Menschenrechte - sie stammt von einer früheren Oppositionspartei. Wäre die Fraktion der von Gysi vorgegebenen Prämisse, "den notwendigen Stopp eines Völkermordes oder einer Aggression" herbeizuführen, schon vor einem halben Jahr gefolgt - vorausgesetzt natürlich, die Uno hätte dem Nato-Einsatz gegen Jugoslawien zugestimmt -, die Abgeordneten hätten sich einem Votum dagegen nur schwerlich verschließen können.

Fehlt eigentlich nur noch, dass die Gesamtpartei der fraktionellen Speerspitze folgt. Doch spätestens mit dem Aufstieg der PDS-Gruppe zur Fraktion nach den Bundestagswahlen vor einem Jahr, ist die Macht des Parteivorstandes stetig geschwunden. Dass der Fraktionsbeschluss als Empfehlung an den Vorstand weitergeleitet wurde, der sich am kommenden Montag damit befassen will, dürfte deshalb kaum ein gutes Zeichen für die immer kleiner werdende Schar der Gegner von Militäreinsätzen jeglicher Art sein.

Der erste Schritt auf außen- und sicherheitspolitischem Felde jedenfalls ist gemacht, um auch auf Bundesebene regierungskompatibel zu werden. Keine schlechte Grundlage für die Mitte-Links-Option, auf die Gysi und Parteichef Lothar Bisky weiter setzen. Dumm nur für die Ost-Sozialdemokraten, dass das einzig nennenswerte SPD-Mitglied, das sich für eine rot-rote Bundesregierung interessiert hat, Oskar Lafontaine, für mehr als Dichterlesungen vorerst nicht zu haben ist.

Doch dass Realpolitik nicht ohne einen gehörigen Militarismus geht, ahnte auch die Gysi-Kritikerin Kauffmann. So wie die meisten der derzeit kursierenden Diskussionspapiere innerhalb der PDS kam auch ihr Papier nicht ohne den warnenden Hinweis auf "die nachholende Entwicklung bei SPD und Bündnis 90/Die Grünen" aus. Die Genossen wissen um die Gefahr, dass sie das, wofür die Grünen immerhin zehn Jahre gebraucht haben, in weniger als dreien nachholen könnten. Wollen sie - und die meisten von ihnen wollen - nicht für immer in der Opposition bleiben, werden sie ihren antimilitaristischen Kurs kaum durchhalten können. Denn selbst ein von der Uno legitimierter Militäreinsatz findet nur dann statt, wenn die Veto-Mächte damit ihre Interessen wahren können.

Bleibt als letztes Hindernis zur völligen Regierungstauglichkeit eigentlich nur noch die offene Antwort auf die Frage nach der Haltung der Genossen zum Einsatz deutscher Soldaten. Während Gysi erleichtert konstatierte, dass sich diese Frage "in absehbarer Zeit nicht stellen" würde, war Gehrcke seinem Chef schon im Frühjahr einen Schritt voraus. "Es könnte eine Schlussfolgerung sein", sagte er im April der Berliner Zeitung, "dass sich auch die Bundesrepublik mit anderen EU-Staaten an Uno- oder OSZE-Einsätzen beteiligen sollte, um in Grenzfällen Völkermord zu verhindern."