Pekinger Krisen-Cocktail

Asienpfanne IX: Chinas Regierung sucht der drohenden Krise entgegenzusteuern - mit einem ideologisch flankierten Infrastrukturprogramm.

Crisis - what crisis? Betrachtet man die offiziellen Wirtschaftsdaten der VR China, so kann von einer Krise der chinesischen Wirtschaft kaum die Rede sein. 7,8 Prozent Wirtschaftswachstum 1998, geschätzte acht Prozent für das Jahr 1999, eine immer noch leicht positive Handelsbilanz, eine relativ stabile Landeswährung auf dem Weg zur vollständigen Konvertibilität, die zweitgrößten Devisenreserven der Welt.

Zwar wird die ansteigende Arbeitslosigkeit als Problem erkannt - offiziell liegt die Quote zwischen drei und fünf Prozent -, jedoch versichert die chinesische Regierung gleichzeitig, sie könne dieses Problem durch ein riesiges, auf fünf Jahre angelegtes staatliches Infrastrukturprogramm in Höhe von 3,2 Billionen Yuan (etwa 800 Milliarden Mark) entschärfen und genügend Arbeitsplätze schaffen, um die Beschäftigten der etwa 20 Prozent der staatlichen Betriebe, die in Konkurs gehen sollen, aufzufangen.

Tatsächlich sind die offiziellen Wirtschaftsdaten jedoch mit Vorsicht zu genießen. Westliche Ökonomen haben in der Vergangenheit wiederholt darauf hingewiesen, dass eine einfache Korrelation von Schlüsselindikatoren wie den in- und ausländischen Investitionen, der staatlichen und privaten Kreditaufnahme, dem In- und Output der Schlüsselindustrien sowie ein Abgleich mit den Daten der einzelnen Provinzen die Richtigkeit dieser Zahlen in Frage stellt.

Gerade das als Allheilmittel gepriesene Infrastruktur-Programm lässt Zweifel aufkommen. Zur Realisierung dieses Programmes müsste die chinesische Regierung über fünf Jahre jährlich fast das Zwanzigfache des letztjährigen Investitionsvolumens aufbringen. Allein durch ein gestiegenes Steuervolumen ließe sich dies, entspräche die Summe denn der Realität, nicht finanzieren.

Doch eine groß angelegte Kreditaufnahme des chinesischen Staates bei inländischen Kreditinstituten könnte die Maßnahme sein, die die ohnehin gespannte Lage auf den chinesischen Finanzmärkten aus dem labilen Gleichgewicht bringt. Schon jetzt ist der Staat hoch bei inländischen Gläubigern verschuldet, und Zweifel an der Rückzahlung der bereits gewährten Kredite bestehen. Sollten auch nur die offiziell angegebenen 20 Prozent der staatlichen Betriebe Konkurs anmelden, so würde dies für die chinesischen Finanzinstitute Verluste von mehreren Hundert Milliarden Mark bedeuten. Eine vollständige Kompensation durch die chinesische Regierung ist nicht zu erwarten.

Auch der Immobilien-Markt zeigt deutliche Zeichen der Krise. Ins Astronomische gesteigerte Immobilien-Preise führten zu einer kreditfinanzierten Spekulationsblase, die nun zu platzen droht. Schon stehen einige der großen Hotels und Bürogebäude leer oder im Rohbau, und die Mieten zeigen eine deutliche Tendenz nach unten. Sollte die Spekulationsblase platzen, so wären die Auswirkungen auf dem Finanzsektor ähnlich katastrophal wie in den anderen von der Asienkrise betroffenen Länder.

Noch gelingt es der chinesischen Regierung, die Balance zu halten. Doch neben den eigenen strukturellen Problemen beeinträchtigt die Asien-Krise die chinesische Wirtschaft mehr, als dies die Regierung wahrhaben will. Vor allem im asiatischen Handel, wo 1997 noch 40 Prozent des Exportes realisiert wurden, mussten empfindliche Einbußen verzeichnet werden. Die Investitionen aus Taiwan, Hongkong, Japan und von den in Südostasien lebenden Auslandschinesen, immerhin ca. 80 Prozent des Gesamtvolumens ausländischer Investitionen in China, gingen in Folge der Asienkrise deutlich zurück.

Auch bei den westlichen Investoren zeigt sich eine gewisse China-Müdigkeit. Vorsichtig, in Antizipation einer krisenhaften Entwicklung, und es leid, sich in den Strippen der chinesischen Bürokratie zu verfangen, hielten sich viele westliche Firmen in den letzten zwei Jahren deutlich zurück. Viele setzen große Hoffnung auf den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation WTO, von dem sie sich eine größere Rechtssicherheit und einen besseren Zugang zum chinesischen Markt versprechen. Westliche Beobachter rechnen mit einem neuen Investitionsboom westlicher Firmen, sollten die Beitrittsverhandlungen Chinas mit der WTO in diesem Herbst erfolgreich sein.

Ein Beitritt Chinas mit weit reichenden Zugeständnissen birgt jedoch Gefahren, die die positiven Impulse auf die chinesische Wirtschaft bei weitem aufwiegen könnten. Ein Beitritt zu den US-Bedingungen würde vor allem die bisher stark protektionierten, hochprofitablen Telekommunikations-, Luftfahrt-, Energie und Versicherungssektoren ungeschützt der ausländischen Konkurrenz aussetzen. Der Konkurs vieler heute rentablen, technisch jedoch nicht konkurrenzfähigen Unternehmen in diesen Bereichen wäre die Folge.

Hinsichtlich des Beitritts zur WTO zeigt sich die chinesische Regierung uneinig. Während Ministerpräsident Zhu Rongji eine schnelle vollständige Integration in das Weltwirtschaftssystem anstrebt und zu großen Zugeständnissen bereit ist, warnt Präsident Jiang Zemin vor einem übereilten Vorgehen. Jiang ist auch Initiator des einzigen ausgearbeiteten Programmes, das die chinesische Regierung augenblicklich außer demonstrativ zur Schau getragenem Optimismus zur Bewältigung der drohenden, nicht nur ökonomischen Krise zu bieten hat. "Aufbau der geistigen Zivilisation" heißt das Patentrezept, besteht aus einer ideologischen und einer praktischen Komponente und verspricht Stabilität und Prosperität für das nächste Jahrhundert. Zutaten sind marxistische Versatzstücke, gemischt mit einem Cocktail aus den Ideen Mao Zedongs und Deng Xiaopings, gewürzt mit einer Prise Nationalismus.

Auf der praktischen Ebene versucht das Programm der Bevölkerung einen Art gesamtgesellschaftlichen Moral-Kodex einzutrichtern, der aus Verantwortung, Ehrlichkeit, Nächstenliebe, Achtung der Obrigkeit und gesellschaftskonformem Verhalten besteht. Auf Kader-Ebene ist das Programm von Kampagnen gegen Korruption und Vetternwirtschaft begleitet, auf unterer Ebene zielt es auf die Bewahrung der innerstaatlichen Ordnung selbst in harten ökonomischen Zeiten und die Vorbereitung auf eine eventuelle ökonomische Schocktherapie.

Zwar flankieren den "Aufbau der geistigen Zivilisation" Sozial- und Wohnungsbau- und Ausbildungsprogramme, und es wird versucht, eine Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung auf den Weg zu bringen, um soziale Härten abzufedern, tatsächliche ökonomische Impulse beinhaltet das Programm jedoch kaum. Dabei benötigt die chinesische Regierung dringend ein anhaltend hohes Wirtschaftswachstum, um die wachsenden Ansprüche der städtischen Mittelschicht zu befriedigen.

Doch nicht nur von dieser Seite droht der KP Gefahr. Im August dieses Jahres lösten Regierungstruppen eine maoistische Privatarmee in der Provinz Yunnan auf, die sich aus unzufriedenen Bauern rekrutierte. Sollten die seit Jahren von der Reformpolitik vernachlässigten Bauern in der zunehmend von der aufziehenden Krise beeinträchtigten städtischen Mittelschicht einen Verbündeten finden, so wäre das Machtmonopol der KP ernsthaft in Gefahr.