Das Doppelleben der Hanne Haller

Rex Gildo begeht Selbstmord. Aber wo ist die Pointe? Die Würdigung des teuren Toten als Schwulenwitz.

Die Entscheidung, dass der Suizid des Schlagersängers Rex Gildo zu einem deutschen Boulevardstück taugt, fiel nahezu einhellig. Selbst die Gagschreiber der Zeit beugten sich über den Selbstmörder und suchten nach den dem Anlass angemessenen Worten: Alle mal herhören! "Der deutsche Schlager ist aus dem Klofenster gesprungen." Es durfte herzhaft gelacht werden. Selten wurde mit dem Tod unverkrampfter, respektloser umgegangen als im Fall des Mannes, "der mehr war als ein Hossa" (B.Z.).

Keine Zeitung, die nicht mindestens auf der Titelseite Rex Gildos Tod gemeldet hätte, von B.Z. bis Neue Revue, von Frankfurter Rundschau bis taz. Dabei hätte der Tod eines Vertreters des deutschen Schlagers eigentlich nur die Bunte interessieren dürfen. Vor Jahren nahm kaum jemand Notiz vom Selbstmord der Schlagersängerin Renate Kern, aber inzwischen hat das Feuilleton das Leben entdeckt, die Straße, den Boulevard, und natürlich ist die Sachlage im Fall Rex Gildo um einiges pikanter. Gab es da nicht einen so genannten Privatsekretär? Und gab es da nicht "Alkoholprobleme" (das sollte überhaupt das Unwort des Jahres werden)? Und wenn es um schwule Doppelmoral geht, ist das allemal eine Geschichte wert.

Der Tenor der Berichterstattung ist fast überall gleich, und nur wenige Nachrufe - wie die der taz oder der Berliner Zeitung - enthielten sich aggressiver Häme und verzichteten auf Hossa-Regression: Hätte der Mann nicht jahrelang dieses Doppelleben geführt, hätte er sich nicht aus dem Fenster stürzen müssen. Hätte er wie ein Mann zu sich gestanden, zu seinem Alter, zu seiner Homosexualität, zu seinem bürgerlichen Namen, wäre ihm dieses grässliche Schicksal erspart geblieben: "Seine Mörder: Alkohol, Doppelleben, Hossa-Wahn". (B.Z.) Und außerdem: deutscher Schlager! Da wird doch nur heile Welt vorgegaukelt! Also, schade, aber selber schuld!

Rex Gildo, geboren 1939 (angeblich), Schauspielunterricht, Tanz- und Gesangsausbildung, erste Single als Alexander Gildo 1959: Der Versuch, neben Peter Kraus und Ted Herold einen weiteren deutschen Rocksänger zu etablieren, gerät zum Flop. Dann, mit neuer Plattenfirma und unter neuem Namen, Rex Gildo, ein zweiter Anlauf, diesmal klappt es.

Inzwischen hat Rex Gildo auch sein Privatleben normalisiert, 1974 hatte er seine Cousine Marion geheiratet. Seine Hits verkaufen sich zwar nicht ganz so gut wie die der anderen Stars (nur einmal eine Nummer eins im Jahr 1975 mit "Der letzte Sirtaki"), aber es reicht: Duette mit Cornelia Froebess, Vivi Bach und: Gitte. Das neue Traumpaar des deutschen Schlagers wird geschaffen, so authentisch wie Rock Hudson und Doris Day. Heute sagt Gitte, natürlich habe sie immer von seiner Homosexualität gewusst, und sibyllinisch: "Jeder soll sein Glück finden, wie er es kann."

Imagebildend wurde der Hit "Fiesta Mexicana" (Text: Michael Holm; Musik: Ralph Siegel) aus dem Jahr 1972. "Lange vor der Erfindung des Ethno-Pop", schreibt Martin Halter im Sammelband "Schlager, die wir nie vergessen", "hat Gildo die Fiesta in einem multikulturellen Crossover-Experiment ins Deutsche übersetzt, den mediterranen, ja pazifischen Rhythmus der Karibik in die metseligen Thingstätten des traurigen Nordens heimgeholt - und von dort wieder hinausgetragen auf Kreuzfahrtschiffe in aller Welt."

Konstant hält Rex Gildo sich in den Hitlisten, bis in die frühen Achtziger, dann folgen Jahr für Jahr neue Aufnahmen, aber mit geringem Erfolg. Der deutsche Schlager ist völlig out, dennoch macht Rex Gildo weiter, 40 Jahre, festgelegt auf einen Typ: den deutschen Latin Lover, sauber, braun gebrannt, dauerlächelnd, ewig jung.

Rex Gildo, der in den Siebzigern durch Japan und Mexiko tourte, beginnt durch Deutschland zu tingeln, und zwar nicht, weil er auf die Gagen angewiesen wäre, sondern weil es ihm offenbar nicht möglich war, jenes "festliche Dasein in der Welt" (Halter) gegen die bürgerliche Existenz des Ex-Schlagerstars einzutauschen. Jeder Ausbruch aus dem "Fiesta"-Fach misslingt, der Versuch, ins Musical-Fach zu wechseln, scheitert, und da geht es ihm wie fast allen anderen in der Branche: Einmal in der Sparte - dann gibt es kein Entkommen mehr. Andere Länder sind voll mit Beispielen, wie es möglich ist, über lange Zeit und bis ins hohe Alter populär zu sein, ohne das jugendliche Image konservieren zu müssen, ohne in Revival-Sendungen so tun zu müssen, als ob man immer noch 25 wäre. An diesem Punkt trifft sich das Publikum mit der Presse, wer einmal unter Schlager läuft, dem wird der Sparten-Wechsel nicht erlaubt. Der Hitparaden-Star singt zuletzt in Bierzelten, Supermärkten, Möbelhäusern und ist zu einem leichten Opfer geworden.

Als bekannt wurde, der alternde Sänger habe sich aus dem Toilettenfenster der Wohnung seines jungen Freundes gestürzt, begriff auch noch der talentloseste Journalist, welch ein Gag ihm damit buchstäblich vor die Füße gefallen war und wie man es anstellen musste, aus dieser Nachricht einen Schwulenwitz zu machen, der alle PC-Kontrollen passieren und selbst die Pietät, jene altdeutsche Variante der Political Correctness, überwinden würde. Nichts weiter nämlich, als das völlig nebensächliche Detail des "Klofensters" mit professioneller Penetranz zu erwähnen, um die Phantasien des Publikums zu entfesseln.

Bis vor kurzem war es in der Zeit nicht möglich, dass sich auf der Kleinanzeigenseite m & m oder w & w suchen & finden konnten, heute aber erscheint genau dort der Vorwurf, dass einer ein "Doppelleben" geführt habe und daran gescheitert sei. Kein Wort, dass in den zurückliegenden Jahren ein Nicht-mehr-Mitspielen-Können dieses Doppellebens den garantierten Rauswurf bei der Plattenfirma bedeutet hätte. Es ist immer das alte "Lied der Lüge" (Mina, 1962): Was ich im Bett mache, geht niemanden etwas an. Und das Spiel geht weiter, ein Patrick Lindner oder Freddie Mercury haben daran noch nicht viel geändert: Oder wie sollen wir es uns sonst erklären, dass noch niemand Hanne Haller gefragt hat, was sie vom Doppelleben Rex Gildos gehalten hat?