Die Krise boomt

Ein Jahr nach dem Hurrikan "Mitch" hat sich das agrarisch geprägte Mittelamerika noch nicht von dessen Folgen erholt.

Wirbelstürme sind keine Seltenheit in Mittelamerika und der Karibik, doch den Hurrikan "Mitch" werden die Bewohner der Region wohl nie vergessen. An seinen Folgen haben sie bis heute zu leiden. Die Infrastruktur in Nicaragua und Honduras, den am stärksten betroffenen Ländern, ist ein Jahr nach der Naturkatastrophe noch lange nicht wieder komplett aufgebaut, und die Landwirtschaft hat sich bei weitem noch nicht von den Schäden erholt.

Ablesen läßt sich der wirtschaftliche Rückschlag, der mit dem Hurrikan einherging, an den jüngsten Wachstumsprognosen für die Region. Honduras, dessen Bananen- und Kaffee-Exporte spürbar zurückgegangen sind, hat mit einem Minus von drei bis vier Prozent zu rechnen, während Nicaragua und El Salvador nach den jüngsten Prognosen der Dresdner Bank Lateinamerika AG immerhin auf ein mageres Wachstum von 1,5 Prozent hoffen dürfen. Das wird allerdings über das Bevölkerungswachstum gleich wieder ausgeglichen.

Doch es ist nicht allein "Mitch", der Mittelamerikas Wirtschaft hart getroffen hat. Niedrige Kaffee- und Rohstoffpreise an den internationalen Börsen hinterlassen ebenso ihre Spuren wie die fehlenden Auslandsinvestitionen. Honduras muss in diesem Jahr mit Exporteinbußen in Höhe von einer knappen halben Milliarde US-Dollar rechnen. Erschwerend hinzu kommt der ansteigende Importbedarf, sodass am Ende des Jahres ein Loch von 1,6 Milliarden US-Dollar in der Handelsbilanz klaffen wird, schätzt Ingrid Grünewald, Volkswirtin der Dresdner Bank Lateinamerika AG. Dem entgegen stehen schätzungsweise 300 Millionen US-Dollar an Direktinvestitionen zum Jahreswechsel. Keine ermutigende Perspektive für das ohnehin hoch verschuldete Land. Auf rund 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) belaufen sich die öffentlichen Schulden, und eine Trendwende ist nicht in Sicht.

Dies liegt auch daran, dass sich nach Asien-, Russland- und Brasilien-Krise die Investoren merklich zurückhalten. Zudem sind Kredite teurer als vor der Krise und bremsen den Wiederaufbau in den vom Hurrikan verwüsteten Ländern.

Besonders betroffen davon ist Nicaragua. Dort verbaut die öffentliche Schuldenlast jegliche Entwicklungsperspektive: Auf 270 Prozent des BIP wird sie taxiert, womit Nicaragua zu den hoch verschuldeten Ländern (HIPIC) zählt, die ohne einen Schuldenerlass von alleine nicht wieder auf die Beine kommen können. Auf 6,3 Milliarden US-Dollar und damit auf ein Vielfaches des BIP belaufen sich die Verbindlichkeiten im Ausland.

Für das laufende Jahr wird zwar mit Exporten in Höhe von 600 Millionen US-Dollar gerechnet. Doch ähnlich wie beim Nachbarn im Norden klafft eine erhebliche Lücke von rund 800 Millionen US-Dollar in der Handelsbilanz. Diese ohnehin wenig erfreulichen wirtschaftlichen Rahmendaten werden durch den Hurrikan, der Schätzungen zufolge Schäden in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar oder 70 Prozent des BIP anrichtete, noch verschlechtert.

Niedrige Weltmarktpreise für Kaffee und Einbußen beim Export von Meeresfrüchten reißen neue Löcher in die Bilanz der Regierung des erzkonservativen und vom Ruch der Korruption umgebenen Präsidenten Arnoldo Alem‡n. Die hofft auf weitere internationale Hilfe und verspricht sich durch die anstehende Privatisierung im Telekommunikationsbereich, im Banken- und Energiesektor einen Finanzschub. Die zusätzlichen Mittel sollen, so ist es mit dem IWF vereinbart, nicht in den öffentlichen Sektor fließen, sondern das Haushaltsdefizit mildern. Somit sind die Perspektiven für die Bevölkerung alles andere als gut. Das Land hat ebenso wie Nachbar Honduras konsequent - wie vom IWF gewünscht - auf die Öffnung der heimischen Wirtschaft gesetzt. Dies gilt auch für El Salvador, das weniger unter dem Hurrikan und mehr unter dem rückläufigen Investitionsinteresse aus dem Ausland und hohen Zinsen zu leiden hat und dessen Wirtschaft aus diesen Gründen nur um etwa 1,5 Prozent (nach 3,4 Prozent im letzten Jahr) wachsen wird.

Für Ingrid Grünewald von der Dresdner Bank Lateinamerika sind es vornehmlich konjunkturelle und nicht strukturelle Ursachen, die für die unbefriedigende wirtschaftliche Situation auf der Landbrücke verantwortlich sind. Doch ist die große Mehrheit der 30 Millionen Bewohner von der Modernisierung ausgeschlossen und Armut weit verbreitet. Drei von fünf Mittelamerikanern gelten als arm, was der Landflucht weiter Vorschub leistet. Doch auch in den Städten sind die Beschäftigungsperspektiven äußerst bescheiden, sodass in den letzten Jahren die Flucht in die "reichen" Nachbarländer weiter angestiegen ist.

Immer mehr Mittelamerikaner zieht es - außer in die USA - in die Wachstum-Oase Costa Rica, das ähnlich wie Guatemala weitgehend vom Hurrikan verschont blieb. Das Land hat konsequent auf die Ansiedlung von High-Tech-Industrien gesetzt und damit Erfolg gehabt. Auch in diesem Jahr kann die Regierung in San José wieder mit einem kräftigen Wachstum nach den 6,2 Prozent im letzten Jahr rechnen. Auf 5,3 Prozent wird es derzeit von der Ökonomin Grünewald geschätzt. Dies ist auch auf den Exportboom bei Microchips vom US-Konzern Intel zurückzuführen, der sich in Costa Rica angesiedelt hat - was auch durch die beispielhafte Bildungs- und Sozialpolitik der Regierung ermöglicht wurde. In Costa Rica wurde die Öffnung der Wirtschaft nicht überstürzt - u.a. wegen des erheblichen Widerstandes der Bevölkerung. Deshalb stehen in Costa Rica noch Privatisierungen an, die bei den Nachbarn längst weiter gediehen sind - mit den bekannten Folgen für die Bevölkerung.