Reise zu den Himmelsinseln

»Der Bootsmann ist schon da«. Zum Tod des spanischen Dichters Rafael Alberti.

Am Tag, an dem ich sterbe, (...) öffnet sanft meine Augen; dann werden sie sehen, wie meine Finger vom Schaum der Brandung und die Nägel von feinem Sand weiß werden, und in meinen Pupillen, wie in zwei winzigen Salzgärten gespiegelt, wird rund und vollkommen die Bai von C‡diz, mit all ihren Segeln und dem ganzen Kreis meiner ewig jungen Städte, sich auf den Spitzen der Maste und Schornsteine wiegen." Rafael Alberti ist gestorben.

Nachdem er die Malerei zu Gunsten der Dichtung aufgegeben hat, erscheinen 1924 erste Gedichte, "Marinero en tierra", für die der 21jährige den Spanischen Nationalpreis erhält. In ihnen greift Alberti auf Formen des Volkslieds zurück, auf die poes'a tradicional, sie sachte verzeichnend, um Distanz zu gewinnen, Ironie gegen Pathos, freies Spiel gegen Leidenschaft zu setzen. Es gelingt ihm, formale Präzision mit Heiterkeit, schroffe Reduktion mit Leichtigkeit zu verbinden. So wird ein schäbiger Balkon zur Kommandobrücke eines Kriegsschiffs, fordern die Salzgärten der Küste von C‡diz einen "Gemüsemann unter Wasser", so geht die Reise "Nach den Himmelsinseln", bloß weil "Bootsmann" (batelero) sich auf "Januar" (enero) reimt: "Mach das Boot fertig, Kleine, / der Bootsmann ist schon da. // März? / April? / Monat Mai? / Die See ist grüner im Januar".

Im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Federico Garc'a Lorca, der die Intensivierung der folkloristischen Elemente in der Wiederbelebung des "Cante jondo" anstrebte, hebt Albertis unsentimentale, intellektualistische Handhabung der Volksweisen Tradition aus den Angeln und verzichtet auf deren Inhalte. Diese schon in den Matrosen-Gedichten angelegte Absage an den freien Versuch, den vers libre der Symbolisten und spanischen Ultraisten, zu Gunsten der strengen Formen des villancico, der Terzine und des Sonetts, wird in "Cal y canto" (1927) bestimmend.

Die "Generation von 1927", der auch Alberti angehört, entdeckt den Barockdichter Luis de G-ngora - nicht den populären der Romanzen und Lieder, sondern den der "Soledades", der der Sprache das Äußerste abverlangt und virtuos Gedanken über die vom Manierismus aufgestellten Hürden hetzt. Diese Rehabilitierung des Manierismus bedeutete für die moderne spanische Dichtung, durch harte Fügung Abstand zur Sprache zu gewinnen. Ziel: zu schockieren und die bürgerliche Literatur mit der Proklamation des gemeinhin Unverständlichen aus der Ruhe zu schrecken.

Albertis neue Gedichte sind ein anarchisches Bekenntnis zu allem Umwälzenden, die Situation Verändernden, zu Maschine und Geschwindigkeit, zu jeglichem Remedium gegen Stagnation und feudalistisches Lebensgefühl, sie weigern sich, Hindernisse anzuerkennen. Alles kommt gelegen, um Tabus einzureißen, von der Trivialität des "Trambahnbilletts" (dem ein Madrigal gewidmet ist) über die Blasphemie des "Liebesaufzugs" mit der "Blauen Skandalbar, Gottvater und der Taube" im letzten Stock, bis zum "Pariser Schneider. Der Eingang von der anderen Seite. / Narziss, mit grünen Strumpfbändern und frech, / ganz hoher Absatz, spiegelt sich / im Quecksilber der Spiegel, verliebt / in seine Gummibrüste".

Neben Verfremdungseffekten wie Sperrung, Hyperbel und gongoristischer Metapher klingen hier schon surrealistische Töne an, die den darauffolgenden Band gänzlich bestimmen: Mit den "Engelsgedichten" (1929) kehrt sich der Dichter endgültig gegen die poésie pure, indem er dem Zyklus vom Ende her - in "Die hässlichen Engel" - eine revolutionäre Deutung zu geben versucht: "Ihr wart es, / ihr, die ihr im glücklosen Gestank des Pfuhls schlaft, damit das ärmste Morgengrauen euch wecke in einer / Glorie von Kot, / ihr wart der Grund zu dieser Reise. / (...) Wenn ihr es wagt, nur einen Schritt zu machen, / werden die künftigen Jahrhunderte es wissen, dass die / Güte des Wassers sich umso klarer zeigt, / je mehr Löcher und Schlamm die Landschaften / verbergen (...)" Die Engel gehen direkt aus dem Bildersturm von "Cal y canto" hervor: mitleiderregende, komische und unbeholfene, des Paradieses verlustig gegangene Figuren, in der Sinnlosigkeit ihrer Existenz Buster Keaton und Charlie Chaplin ähnlich, oder zerstörerische Kräfte, die die Rasanz der Zivilisationsgedichte aus "Cal y canto" ins Dämonische treiben und sich nun gegen den Dichter selbst richten, beängstigende Entfesselung der Welt.

Zwischen dem Sturz der Diktatur Primo de Riveras und dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs liegen die Jahre von Albertis poésie engagée: Er wird Kommunist und wendet sich bewusst bis zum Ausgang des Bürgerkriegs von der Literatur ab.

Im argentinischen, später römischen Exil stellt Alberti die zuvor nur angedeuteten Themen in den Vordergrund: Erinnerung, Heimweh, Zorn, Enttäuschung. Techniken des Surrealismus und des Volkslieds durchdringen sich weiterhin, die schon frühe Vorliebe für die Kurzform, seine Neigung zur Kondensation, zu Pointe und Aphorismus verstärken sich zur Verdichtung der Verdichtung, zur Reflexion über die eigene Grundlage, die Sprache: der sich selbst beim Dichten beobachtende Dichter, der davon Bericht erstattet.

Nimmt nun, Jahrzehnte später, Alberti in "Arion" das Thema des Meeres wieder auf, so mit einer zauberhaften Finesse, die Deskriptives und Anekdote hinter sich gelassen hat, spielerisch objektive Aussage und subjektive Willkür vermengt, durch Assoziationen den Dingen nicht offenkundige Seiten abgewinnt. Optische Wahrnehmung wird zu sensualistischer Abstraktion des Lyrikers, sprachliches Bild zu einer Klangphrase: "Die Laute öffnet die Lippen, eine Rose, / eine Rose, von der Luft gespielt".

1977 kehrte Alberti nach Spanien zurück. Bei den ersten demokratischen Wahlen wurde er zum Abgeordneten der Provinz C‡diz gewählt, 1983 erhielt er den Premio Miguel de Cervantes.