Gesund beginnt im Bund

Ohne die Zustimmung der Union wird Ministerin Andrea Fischer ihren Gesetzesentwurf zur Gesundheitsreform schwerlich durchbringen können. An den strukturellen Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen würde auch ein Kompromiss nichts ändern.

Der frühere Gesundheitsminister Horst Seehofer (CDU) konnte es nicht fassen: "So etwas habe ich in meinen 19 Jahren nicht erlebt." Rücktrittsrufe schallten durch das Plenum des Berliner Reichstages, Vertreter des Bundestags-Gesundheitsausschusses versuchten zu retten, was eigentlich nicht mehr zu retten war: die vom Ausschuss am Abend zuvor erarbeitete Vorlage zur Neustrukturierung des Gesundheitswesens, die so genannte Gesundheitsreform. Dem Bundestag lagen ganz einfach die falschen Dokumente vor: 60 Änderungsanträge in letzter Minute hatten dafür gesorgt, dass die Abgeordneten über ein Gesetz debattierten, das der Gesundheitsausschuss so gar nicht zur Abstimmung freigegeben hatte. Die Debatte musste über Stunden unterbrochen werden, ehe das Gesetz mit der Mehrheit der Stimmen von SPD und Grünen Anfang des Monats doch noch angenommen wurde.

Ein zweifelhafter Erfolg. Denn so groß die Verwirrung im Parlament, so unterschiedlich sind auch die Auffassungen von Regierung und Opposition darüber, wie die lange angekündige Gesundheitsreform am Ende aussehen soll. So viel ist klar: Die grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer wird um Annäherung an die Unionsparteien nicht herumkommen, denn nur mit deren Stimmen wird das Gesetz auch den Bundesrat passieren können. Da nutzt es ihr wenig, dem CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble ein "eigenartiges Demokratieverständnis" vorzuwerfen, nur weil der zu Konsensgesprächen vor der Entscheidung in der Länderkammer nicht bereit ist. Denn wenn Schäuble "beim besten Willen nicht einsehen" will, "welchen Sinn ein solches Gespräch zum jetzigen Zeitpunkt haben soll", folgt er nur den taktischen Grundregeln jeder parlamentarischen Demokratie.

Ende letzter Woche dann erneuerte der Chef der CSU-Abgeordneten, Michael Glos, die Kritik Schäubles. Das Gesetz sei "nicht zu reparieren", so Glos. Wenn SPD und Grüne die Zustimmung der Union wollten, müssten sie schon ein neues Gesetz vorlegen. Auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch wollte nicht mit sich reden lassen. Die rot-grüne Gesundheitsreform sei "nicht korrigierbar".

Ganz Unrecht haben die Unionspolitiker nicht, wenn sie sagen, dass der Gesetzesentwurf planlos sei - und die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung damit nicht gelöst würden. Wie schon bei der Rentendebatte im Sommer verwickeln sie sich dabei jedoch in ihre eigenen Widersprüche: So wird aus den Reihen der CDU immer wieder gefordert, die gesetzliche Krankenversicherung solle sich den privaten Versicherungen annähern - und auf eine höhere Eigenbeteiligung der Kranken drängen. Andererseits beklagt beispielsweise der niedersächsische CDU-Vorsitzende Christian Wulff die Einführung einer "Zwei-Klassen-Medizin".

Alles klar also bei der Gesundheitsreform? Mitnichten. Die Ratlosigkeit hat sogar einen Namen: das so genannte Globalbudget. Darin will Fischer gesetzlich festlegen lassen, dass die Kosten im Gesundheitswesen nur entsprechend den Löhnen steigen dürfen. Das eingenommene Geld wiederum soll dann unter Ärzten, Krankenhäusern und den Pharma-Konzernen aufgeteilt werden. Neu ist die Idee nicht: Das Konzept für die Deckelung der Ausgaben ist der Rentenversicherung entnommen, wo sie auch durchaus Sinn macht. Zu Jahresbeginn wird festgelegt, wieviel Renten in den kommenden zwölf Monaten ausgegeben werden sollen, um danach das vorhandene Geld unter den Rentnerinnen und Rentnern aufzuteilen.

Bei der Krankenversicherung geht diese Rechnung jedoch nicht auf: Jede Grippewelle kann das Budget sprengen. Es lässt sich eben nicht vorhersehen, in welchem Umfang die Versicherten im nächsten Jahr krank werden. Dass Gesundheitsministerin Fischer dennoch an dem Globalbudget festhält, lässt sich denn höchstens noch als Hilflosigkeit bezeichen: Weil es nicht gelungen ist, die exzessive Verschreibung von medizinischen Leistungen bzw. Scheinleistungen einzudämmen, sollen jetzt die Ärzte den Kampf unter sich ausfechten. Und weniger verdienen. Zumindest soll ihr Einkommen nicht stärker steigen als das der Lohnempfängerinnen und Lohnempfänger, an deren Einkommenssteigerungen das Globalbudget gekoppelt ist.

Allerdings haben die Mediziner immer noch die Möglichkeit, den durch die allgemeine Budgetierung verursachten Kostendruck an anderere Berufsgruppen, wie beispielsweise die Psychotherapeuten, weiterzugeben. Da die Krankenkassen die Gelder nach einem festgelegten Schlüssel an die von den Fachärzten dominierten Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) der Länder überweisen, waren die Spezialisten von den bislang vorgesehenen Kürzungen am wenigsten betroffen - während es die Hausärzte besonders stark traf. Durch das Globalbudget wird der Druck auf die Vereinigungen noch verstärkt, sodass der interne Verteilungskampf in der kommenden Zeit noch zunehmen dürfte. Die ebenfalls in der Kassenärztlichen Vereinigung organisierten Psychotherapeuten rufen schon jetzt regelmäßig die Gerichte an, weil sie sich als Minderheit weiter übervorteilt sehen.

Möglicherweise kann Fischer ihren Gesetzesentwurf aber dennoch durchbringen, weil die Lage einiger Krankenkassen in Berlin und Ostdeutschland so prekär ist, dass die CDU-regierten Länder sich nicht an die von Schäuble vorgebene Verweigerung halten werden: Ohne Zuschuss von anderen gesetzlichen Krankenkassen müssten diese Kassen geschlossen werden. Fischer winkt mit Unterstützung in Höhe von 1,3 Milliarden Mark - eine Summe, zu der mancher Ost-Minister nicht Nein sagen mag.

An den strukturellen Problemen der Krankenkassen würde sich damit allerdings nichts ändern. So sind allein in Ostdeutschland sämtliche Rentner - die Versichertengruppe, die am meisten kostet und am wenigsten einzahlt - gesetzlich versichert, während von den Jüngeren im Vergleich zum Westen weitaus weniger in die gesetzlichen Krankenkassen einzahlen. Ergebnis: hohe Beitragssätze, die viele Versicherte zum Übertritt in private Krankenkassen zwingt.

So dürften die Finanzierungsprobleme in der Gesundheitsversorgung sich wahrscheinlich erst dann lösen lassen, wenn die 10 bis 15 Prozent Besserverdienenden, die bislang lediglich privat versichert sind, ebenfalls Beiträge in die gesetzliche Krankenversicherung zahlen würden. So wie in Österreich, wo fast die gesamte Bevölkerung in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlt - und der Beitragssatz deshalb erheblich gesenkt werden konnte. Doch die dafür notwendige Auseinandersetzung mit der Versicherungs-Wirtschaft, so viel ist gewiss, wird diese Regierung nicht führen.