Vor dem Urnengang

Auch in Kroatien wächst die Kritik an der nationalistischen Politik des schwerkranken Präsident Franjo Tudjman.

Es scheint, als habe Franjo Tudjmans letzte Stunde geschlagen. Der Gesundheitszustand des kroatischen Präsidenten hatte sich am vergangenen Wochenende wegen einer Bauchfellentzündung dramatisch verschlechtert. Der 77jährige liegt nun auf der Intensivstation und wird künstlich beatmet. In Zagreb kursieren schon seit längerem Vermutung, dass Tudjman an Magenkrebs leidet.

Dabei hatte der kroatischen Präsident noch vor kurzem auf einer internationalen Pressekonferenz erklärt, dass er "voll amtsfähig" sei. So ließ es sich Tudjman denn auch nicht nehmen, Ende Oktober zusammen mit dem Staatssekretär Kardinal Angelo Sodano im Vatikan die Ausstellung "Kroatien, Christentum, Kunst und Kultur" zu eröffnen. Schließlich war dies für den ehemaligen kommunistischen General, der sich schon vor mehr als zwanzig Jahren reuig zum Katholizismus bekehrte, eine gute Gelegenheit, sich in den kroatischen Medien als angesehener Staatsmann zu präsentieren. Das ist auch notwendig, denn seine internationale Wertschätzung ist ziemlich gering, in Italien z. B. ist er als offizieller Gast nicht willkommen.

So zeigten sich auch die römischen Zeitungen von der Ausstellung wenig begeistert. Sie kritisierten vor allem, dass bekannte italienische Künstler, die in Istrien und Dalmatien gearbeitet hatten, einfach als Kroaten dargestellt wurden. Völlig grotesk wirkt in Italien auch die Tatsache, dass Tudjman, der sich als revisionistischer Historiker bereits einen schlechten Ruf geschaffen hat, aus dem Weltreisenden Marco Polo einen "Kroaten nach Abstammung und Geburt" machte. Doch dies liegt in der Logik des von Tudjman vertretenen integralen Nationalismus, der vom Vatikan den Segen bekommt. So ging es bei den Gesprächen Tudjmans mit dem Papst vor allem um den Ausbau der traditionell guten Beziehungen zu dem Kirchenstaat. Kein Thema war hingegen die innenpolitische Situation des Landes und die Diskriminierung der in Kroatien lebenden Serben.

Dabei ist selbst in der ehemaligen jugoslawischen Republik das Verhältnis gegenüber der serbischen Minderheit nicht mehr völlig unumstritten. Einige unabhängige Medien Kroatiens veröffentlichen seit Monaten zuverlässige Berichte über gegen Serben begangene Kriegsverbrechen in der Zeit zwischen 1991 und 1995. Verbrechen, die bis heute vom Tudjman-Regime geleugnet oder verharmlost werden.

Anlass dafür sind auch die schweren Vorwürfe, die das UN-Kriegsverbrechertribunal im Sommer gegen Tudjman erhoben hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Präsidenten damals vorgeworfen, bereits seit 1981 ethnische Vertreibungen und die Schaffung eines homogenen kroatischen Staates geplant zu haben. Anschuldigungen, die von der Regierung in Zagreb vehement bestritten werden. Justizminister Zvonimir Separovic kritisierte vor kurzem in der Tageszeitung Vjesnik das Uno-Tribunal, das von Kroatien "in aggressiver Weise die Dokumente über angebliche kroatische Kriegsverbrechen" verlange.

Auch die Folgen des Kosovo-Krieges hat die Meinung im Land verändert. Hatten sich im Frühjahr zunächst viele Kroaten über die Bombardierung Serbiens gefreut, so mussten sie anschließend feststellen, dass wegen des Krieges viele Touristen diesen Sommer ihren Besuch an der Adria absagten und sich die prekäre Wirtschaftslage des Landes noch verschlechterte.

Kroatien hat sich während des Konfliktes auf die Seite der UCK gestellt und diese in jeder nur möglichen Weise unterstützt. Doch vor wenigen Wochen musste das Land sechs Busse schicken, um 450 Kroaten vor der ethnischen Säuberung der UCK retten. Insgesamt wurden mehr als 700 Kroaten aus dem Kosovo in einem unbewohnbaren Flüchtlingslager in der Nähe von Zagreb untergebracht. "Die Zagreber Regierung hätte uns dort lassen sollen, wo wir herkommen, denn in Pristina lebten wir seit Jahrhunderten mit den Serben gut zusammen", sagte einer der Flüchtlinge. Wegen der Proteste musste die Regierung das Lager schließen, die Insassen wurden auf verschiedene Ortschaften verteilt.

Tudjman und die von ihm geführte Partei HDZ (Kroatische Demokratische Gemeinschaft) zeigen sich bisher unbeeindruckt von aller Kritik. So präsentierte die HDZ Ende Oktober ein neues Wahlgesetz. Demnach soll die Anzahl der für Serben reservierten Plätze im Parlament weiter reduziert werden. Zudem setzte die HDZ gegen den Widerstand der Opposition den Wahltermin auf den 22. Dezember fest. Die in zwei Wahlbündnissen zusammengefassten sechs Oppositionsparteien werfen der HDZ nun vor, damit die Wahlen zu manipulieren. Denn der knapp vor Weihnachten liegende Termin lässt befürchten - der Ansicht ist auch die finnische EU-Präsidentschaft -, dass sich kaum internationale Beobachter im Land befinden werden. Doch noch schwerer wiegt die Tatsache, dass die Opposition im staatlichen, von der HDZ kontrollierten Fernsehen fast nicht zu Wort kommt.

Ob die Wahlen tatsächlich durchgeführt werden, sollte Tudjman vorher sterben, ist noch unklar. Gemäß der Verfassung muss sich das Parlament vor Neuwahlen auflösen - wegen dem kritischen Gesundheitszustandes des Präsidenten wurde dieser für vergangenen Freitag geplante Termin jedoch verschoben.

Doch selbst wenn die Wahlen wie geplant stattfinden, ist ungewiss, ob Tudjmans HDZ mit ihrem autoritärem Stil weiterhin Erfolg hat. Der Zagreber Politologe Nenad Zakosek erklärte vergangene Woche bei einem Experten-Hearing des Österreichischen Instituts für Internationale Politik in Wien, er glaube nicht, dass der HDZ noch einmal ein Mobilisierungseffekt gelingen werde. Der "populistische Nationalismus" erlebe gegenwärtig seine letzte Phase: "Eine klare Mehrheit teilt diese Ideologie nicht mehr", sagte er gegenüber der Wiener Tageszeitung Der Standard.

Dass der Nationalismus an Boden verliert, belegt Zakosek auch mit Umfragen, denen zufolge eine klare Mehrheit der Kroaten gegen einen Anschluss der kroatischen Gebiete von Bosnien-Herzegowina an das "Mutterland" ist.

Wer Kroatien kennt, kann diesen Optimismus nicht ganz teilen. Denn mit chauvinistischer Hetze und mit dem Hinweis auf die "Einmischung des Auslands" kann man in dieser Region - das zeigt die Erfahrung - immer wieder Wahlerfolge erzielen.