WTO-Widerstand - von Beten bis zur Direkten Aktion

Battle in Seattle

Kräftig wird mobilisiert zur "Battle in Seattle" - wie die Aktionen gegen die WTO-Konferenz in den USA etwas großspurig genannt werden. Auf den Straßen Seattles wird sich alles tummeln, was mit dem gegenwärtigen Zustand der Weltwirtschaft unzufrieden ist - von US-Umweltschützern, -Gewerkschaften und feministischen Gruppen über Zapatistas aus Mexiko bis hin zu dem französischen Bauernaktivisten José Bové (Jungle World, 45/99). Einige Zehntausend Aktivisten werden erwartet.

So heterogen wie das mobilisierende Spektrum werden auch die Actions ausfallen. Als zentrale Veranstaltung ist am 30. November eine große Demo in Seattle geplant - zur lautstarken Begleitung von William Clintons offizieller Eröffnung des WTO-Treffens. Im Vorfeld - pünktlich ab sieben Uhr morgens - steht bereits "mass non-violent direct action" auf dem Spielplan. Am gleichen Tag werden Interfaith Prayer Gatherings für alle angeboten, denen auch gut zweihundert Jahre nach der Aufklärung Religion noch als Ersatz für Opiate dient.

Auf internationaler Ebene mobilisiert ebenfalls für den 30. November das lose Netzwerk peoples global action (pga) zum - Global Action Day. In Lateinamerika und Indien werden große Demos erwartet, Spack- und Spaßparaden sind u.a. in Berlin, München und Regensburg geplant, und in Hannover macht die Anti-Expo-Bewegung mobil.

Auch für die Kunstbeflissenen ist was dabei. Seit Ende September ist das Art and Revolution Collective aus San Francisco als Anti-WTO-Agit-Prop-Combo bereits an der Westküste von Kanada und den USA entlang getingelt. In Seattle könnte ihr Straßentheater mit Monster-Puppen nur von dem Sea Turtle Restoration Project aus San Francisco noch getoppt werden, das 200 Seeschildkröten-Kostüme aufzubieten hat.

Um den öffentlichen Effekt der Proteste nicht auf die Stadtgrenzen von Seattle zu beschränken, besetzen die Aktivisten nicht nur die Straßen. Ein Medienkollektiv wurde gebildet, damit die Proteste in den Mainstream-Medien nicht ignoriert oder marginalisiert werden. Kleine "Piraten"-Radiosender sollen die protestierenden Massen mit Infos versorgen, die von Fahrradkurieren gesammelt und an die klandestinen Stationen verteilt werden. Websites zuhauf verbreiten News und bereiten auf das Ereignis vor.

Die Aktionen im virtuellen Raum bleiben aber nur Teil der Kampagne. Warenhäuser werden für potenzielle Besetzungen ausgekundschaftet. Die Gruppe Food Not Bombs aus Seattle will die Mägen der Widerständler füllen, eine eher masochistisch veranlagte Fraktion allerdings ruft zum Hungerstreik vom 25. November bis 2. Dezember auf.

Begleitet werden all die Aktionen von Teach-ins, Blockaden, Diskussionsforen, Multi-Media-Aktionen usw.usf. - kurz, es ist alles vorbereitet, um die Stadt auf den Kopf zu stellen.

Bei so viel Action will die Gegenseite nicht fehlen. Ein beeindruckender "Sicherheits"-Apparat hat sich gebildet - Secret Service, FBI, das Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms, das State Departement, die Federal Emergency Management Agency, der King County Sheriff und die Polizei von Seattle koordinieren ihre Kräfte. Die Polizei hat das berüchtigte pepper spray im Arsenal und eine "flexible" Sondereinsatztruppe. Die Knäste rund um Seattle wurden vertraglich verpflichtet, den Überschuss an Gefangenen unterzubringen, der in den Zellen von Seattle kein Plätzchen mehr findet.

Die Presse jedenfalls kündigt ein entscheidendes Wochenende an: "Zumindest wird die Zukunft von nun an umkämpft sein", stand in der linksliberalen Wochenzeitung The Nation, die ihre neueste Ausgabe fast vollständig dem Thema Seattle widmet. Und in der Business Week lässt Jeffrey Garden, Dekan der Yale School of Management, eine düstere Warnung los: Wenn den NGOs "erlaubt wird, die WTO-Gespräche zu hijacken, wird das ein gefährlicher Präzedenzfall sein, den jede Regierung und jedes globale Unternehmen noch lange nach den Protesten von Seattle bereuen wird". Wer könnte da etwas dagegen haben?