Beggars Banquet

Auf Initiativen des rot-grünen Senats warten Hamburgs Obdachlose auch in diesem Winter vergebens.

Die Drohung kam zum richtigen Zeitpunkt: Anfang November flatterte 89 Bewohnern der Hamburger Männerunterkunft Billbrookdeich 76 die Kündigung ins Haus. Bis zum 31. Dezember haben sie nun Zeit, die Unterkunft zu verlassen, so geht es aus dem Schreiben des städtischen Trägers pflegen & wohnen hervor. Grund für die überraschende Kündigung des Wohnhauses für alleinstehende Obdachlose: Das Gebäude soll anderen zur Verfügung gestellt werden. Die Unterkunft, so erfährt man bei der zuständigen Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS), sei nicht mehr ausgelastet gewesen. Und nun müsse Platz für Flüchtlinge - vor allem aus Jugoslawien - geschaffen werden, schließlich habe die Hansestadt eine hohe Zuwanderung.

Damit fallen 120 Plätze für Obdachlose zu einem Zeitpunkt, wo sie am dringendsten benötigt werden - eben im Winter -, per Federstrich weg. Manfred Schmidtke vom Arbeitskreis Wohnraumversorgung hält dies, angesichts von mindestens 1 200 Menschen, die nach Senatsschätzungen auf der Straße leben, kurz vor dem Wintereinbruch für "ein menschenverachtendes Verhalten". Ohnehin treten jedes Jahr im Winter Engpässe in Hamburg auf, die durch das Winter-Notprogramm mit seinen 240 Plätzen nicht kompensiert werden können. Neue Initiativen von Seiten des rot-grünen Senats sind ausgeblieben, um dem alljährlich wiederkehrenden Problem beizukommen. Und so sind es vorwiegend die Kirchen, die Flächen zur Verfügung stellen, um Wohncontainer während der Wintermonate aufstellen zu lassen.

Keinesfalls werden die derzeitigen Bewohner auf die Straße gesetzt, wiegelt inzwischen pflegen & wohnen-Sprecherin Inge Prieß ab. Der städtische Träger werde den Obdachlosen bei der Wohnungssuche zur Seite stehen und verfüge über ausreichende Kapazitäten, um die Leute unterzubringen. "Man muss doch nicht so ein Gewicht auf den Zeitpunkt legen, denn jeder Zeitpunkt ist unglücklich, und irgendwann müssen wir es ja machen", beschwichtigt Prieß.

Ganz so einfach ist es aber nicht, da der Dringlichkeitsschein, den die Bewohner der Unterkunft nun erhalten sollen, nicht das Unterkunftsproblem löst. 1997 wurden von den 7 929 Inhabern und Inhaberinnen von Dringlichkeitsscheinen nur 4 492 versorgt - das sind knapp 57 Prozent. Die Hansestadt Hamburg verfügt derzeit allerdings nur über 2 749 Unterkunftsplätze - rein rechnerisch einige Hundert zu wenig, wie Schmidtke kritisiert.

Ohnehin ist das Klima in Hamburg für Obdachlose nicht sonderlich gut. Platz ist rar, und in der Innenstadt sind sie gar nicht gerne gesehen. Für Henning Albers, den neuen City-Manager, der die Einkaufsmeile attraktiver gestalten soll, ist es an der Zeit, eine "Innenstadtverordnung" zu erlassen. Die Polizei müsse Handhaben erhalten, "störende Bettler und Obdachlose an andere Plätze zu bringen", so Albers im Hamburger Abendblatt gleich nach seinem Amtsantritt am 1. November.

Aggressives Betteln ist dem Umsatz nicht zuträglich, hat Albers erkannt, der sich auch eine Privatisierung der Einkaufsmeilen vorstellen kann. Dann hätten dort private Sicherheitsdienste das Sagen, und die Einkaufswelt wäre perfekt. Zwar ist Albers mit seiner Initiative ins Fettnäpfchen getreten und hat einen Sturm der Empörung ausgelöst, doch befindet er sich mit seinem Anliegen in bester Gesellschaft: Im Oktober 1996 waren Pläne der Innenbehörde des Hamburger Senats publik geworden, die Polizeigesetze zu verschärfen, um so genannte Randständige, gemeint waren Obdachlose, Bettler und Junkies, aus der Innenstadt in andere Stadtteile zu verbringen.

Verantwortlich für das so genannte Bettler-Papier, das nach öffentlichen Protesten wieder in der Schublade verschwand, war der Innensenator Hartmut Wrocklage (SPD). Er wollte mit den "Maßnahmen gegen die drohende Unwirtlichkeit der Städte", so der offizielle Name des Papiers, die Visitenkarte Hamburgs, die City, blankputzen und wurde dabei von damaligen Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) unterstützt. Dass die beiden damit für die Einschränkung von Grundrechten, so die Bewegungsfreiheit plädierten, musste ihnen erst durch das damalige Bündnis gegen Armut und Ausgrenzung, das den Protest koordinierte, klar gemacht werden.

Auch Albers, ein ehemaliger Unternehmensberater, erlitt Schiffbruch. Zumindest attestierte ihm SPD-Fraktionschef Holger Christier einen klassischen Fehlstart. "Eine Innenstadt, die sich von allen sozialen Problemen abschottet, ist weder möglich noch wünschenwert", erklärte Christier, der eine neue "Bettler-Debatte" kategorisch ablehnte. Ähnlich argumentierte der Koalitionspartner, die Grünalternative Liste. Selbst die CDU und der Einzelhandelsverband bescheinigten dem City-Manager, dass der Vertreibungsansatz von ihnen nicht unterstützt werde.

Härter ging die evangelische Kirche mit dem City-Manager ins Gericht. Pastor Ulrich Heidenreich bezeichnete die Aussagen Albers' in der Welt als Armutszeugnis. Er hält es für menschenunwürdig, Bettler vertreiben zu wollen. Für Schmidtke liegt die Forderung Albers' auf der Linie der Hamburger Handelskammer, die sich seit längerem für eine "Aufwertung der Hamburger City" stark macht. Die ist allerdings nur über Integrationsprogramme und ein breiteres Angebot an Wohnraum für Obdachlose zu realisieren - eine Tatsache, die bereits 1996 bekannt war, nur hat sich seitdem wenig getan.

Das städtische Wohnungsbauprogramm für Obdachlose wurde von fünf Millionen Mark im Jahre 1996 auf mittlerweile zwei Millionen eingedampft, da, so die Senats-Begründung, sich die Wohnraumsituation in Hamburg merklich gebessert habe. Zwar ist eine Entspannung auf dem Markt tatsächlich feststellbar, aber eben nur für ein zahlungskräftiges Klientel und nicht für Obdachlose und arme Bevölkerungsschichten. Preissprünge von 15 bis 18 Prozent diagnostiziert Sylvia Sonnemann von Mieter helfen Mietern, einem der beiden Hamburger Mietervereine, bei kleinen und mittleren Altbauwohnungen, während allein im oberen Bereich Preisnachlässe festzustellen sind.

Auch bei den Nachkriegsbauten sind die Preise weiter gestiegen, wie im neuen Mietenspiegel der Hansestadt, der am Montag vergangener Woche der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, nachzulesen ist. Günstiger Wohnraum bleibt in Hamburg somit Mangelware - schlechte Aussichten also für die Männer vom Billbrookdeich.