Jungsmaschinen

Blaxploitation, Sexploitation, Naziploitation, Deathploitation, Brainploitation - Splatting Image widmet sich unterschlagenen Genres.

In Videotheken gibt es viele Regale. Selbst in den Videotheken an der Ecke ist das schon so, in den großstädtischen Special-Interest-Läden gibt es noch viel mehr. Mal sind die Filme nach Genres sortiert, mal nach den Ländern der Entstehung, mal nach den Regisseuren. Außerdem gibt es Vorder- und Hinterzimmer. Das Sortiment aus den Vorderzimmern lassen wir heute einmal beseite. Hier soll es um Splatting Image gehen: das "Magazin für den unterschlagenen Film".

Alle drei Monate kommt es heraus und lotet immer wieder aufs Neue Genres aus, von deren Existenz man vorher nicht einmal etwas ahnte: Mexploitation, Sexploitaition, Naziploitation, Blaxploitation, Brainploitation, Türkploitation, Deathploitation. Splatter-Filme, Porno-Filme, Low-Budget-Filme und Dokumentationen, die sich abseitigen Themen widmen. Sträflich unterschätzte Genres mit noch nicht erzählten Geschichten und Filmplots, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Das ist ein dreckiger Job, und Splatting Image erledigt ihn mit großer Freude.

Mit besonderer Liebe widmet sich Splatting Image dem Hongkong-Film mit all seinen Unterarten, dem US-amerikanischen B-Kino und dem italienischen Film - besonders den von Mitte der Sechziger bis Ende der Siebziger entstandenen Genres Polizei-Film, Mafia-Film, Western, erotischer Sleaze-Film, Horror-Film und Söldner-Film. Das sind die Streifen, die in den Siebzigern in Bahnhofskinos liefen, an denen man von den Eltern möglichst schnell vorbeigeschleift wurde, obwohl man doch gerne einen Blick auf die Fotos aus "Hexen, bis aufs Blut gequält" oder "Django - Die Geier stehen Schlange" geworfen hätte. Filme, die heute entweder spätnachts auf Kabel 1 laufen oder auf schwer zu bekommenden Videokopien kursieren. Allerdings - vor allem in Deutschland - in barsch gekürzten Versionen, ein Umstand, den Splatting Image nicht müde wird zu geißeln.

Kernstück eines jeden Hefts ist deshalb auch die Rubrik "Schnittparade", wo die verschiedenen Verleihversionen indizierter Filme daraufhin abgeglichen werden, was wo fehlt und wie lang der fehlende Schnipsel ist. Das sind endlose, minutiös nachgestoppte Listen: Etwa "Full Contact" von Ringo Lam, eine heroic bloodshed-Gewaltoper aus Hongkong, von 1992. Die spanische Widescreen-Fassung steht im Vergleich mit der geschnittenen deutschen Vollbild-Fassung. "Chow Yun Fat nimmt sich einen Typen und zwingt ihn, sich die Hand mit dem Messer anzuschauen. Er fragt ihn etwas (8s). Anthony Wong schießt dem Typen durch den Hals (1s). Chow Yun Fat zieht das Messer aus der Hand und putzt es am Gesicht des Kerls ab (7s). Als die Gasflaschen explodieren, fallen noch ein paar Typen mit blutigen Gesichtern um (2s). Wenn der Typ, den Chow Yun Fat mit einer Kette festmachte, von Anthony Wong übers Geländer gekickt wird, fehlt, wie dieser, bevor er übers Geländer fällt, noch einen Eisblock rammt (1s). Derselbe Typ fliegt noch gegen eine Wand (3s)". Das alles ist illustriert und steht neben ähnlichen Berichten über die Schnitte in dem Hexen-Film "Die Nonnen von Clichy", einem Edgar Wallace-Film und einem Streifen mit dem Verleihtitel "Das Grauen kommt nachts".

Die Strategie von Splatting Image gegenüber fast allen Filmen besteht darin, sich dem Objekt der Begierde mit bedingungsloser Liebe zu nähern, sich an die Sprache der Bilder anzuschmiegen, also den hanebüchenen Plot ähnlich hanebüchen zu erzählen und den Streifen dann entweder super oder unterirdisch zu finden. Die klassische Fan-Methode. Allerdings auf eine Höhe getrieben, die sonst selten erreicht wird. Splatting Image zieht ein cinematografisches Paralleluniversum auf, das mit dem der Stadtmagazine oder des bürgerlichen Feuilletons nur wenige Berührungspunkte hat. Und die Begegnungen zwischen dem Denken jener Filmekritiker und dem von Splatting Image-Schreibern sehen dann meist so aus, dass sich ein Autor bei der Besprechung eines amerikanischen Doku-Pornos fragt, ob das jetzt das sei, was "von Bildungsbürgerseite" immer eingefordert würde, weil die Darstellerin, Regisseurin und Kamerafrau ja ganz offensichtlich den Spaß an ihrem Tun repräsentierten.

Splatting Image ist ein Fanzine, und wie bei den meisten Zusammenschlüssen von Nerds besteht die gesamte Redaktion, Herausgeberschaft und der freie Mitarbeiterstamm aus Jungs. Und nur solche Jungsmaschinen kommen auf Ideen wie sechsseitige Specials über den italienischen Söldner-Film der späten Siebziger mit detaillierter Nacherzählung eines halben Dutzend Filmplots unter besonderer Berücksichtigung aller logischen Brüche ("die Wirklichkeit fährt bei echten Sleazegranaten auf dem Nebengleis"), Würdigung des Kiesgruben-Drehorts als ägytische Wüste ("das Ägypten findet auf dem Klohaus eines Kinos statt, in dem gerade 'Lawrence of Arabia' gezeigt wird"), Vergleich der deutschen und italienischen Version (bei "Der Tag des Söldners" von Mario Sicilliano heißt der Held im Original Rolf und auf deutsch erst Golo und dann Golf) und Nachzeichnen aller Gewaltausbrüche ("Zur 'erkennungsdienstlichen Behandlung' wird Golfs Hand von zwei Polizisten in eine Kloschüssel getunkt, in der eine dicke Schokowurst würgenden Ekel verbreitet und dann wird an der Wand abgestempelt - Mario macht keine Gefangenen"). Am Schluss wird zusammengefasst ("es gibt nichts, was den Film in irgendeiner Weise legitimieren würde").

So funktionieren Fanzines, vor allem, wenn die Autoren ihre Texte nicht als Bewerbungsschreiben verstehen. Hier geht es um Sinnstiftung von und für Film-Nerds und um Liebeserklärungen an untergegangene Welten und nicht um so etwas Profanes wie Karrierestrategien.

Seit zehn Jahren gibt es Splatting Image schon, 39 Ausgaben sind herausgekommen, von denen eine indiziert wurde, weil sie sich zu unkritisch des italienischen Kannibalen-Films annahm. Natürlich geht es in dem Heft nicht nur um die B-Movies jeglicher Couleur. Auch David Lynch, Paul Verhoeven oder die Filme von Alain Robbe-Grillet werden ausführlich besprochen, nachgezeichnet, in den Kosmos des Blatts einverleibt. Und wenn der Berliner Splatterfilmer Jörg Buttgereit in der Jury eines Filmfestivals landet, erzählt er später in Splatting Image, wie es dazu kam, dass die schlechtesten Filme die dicksten Preise bekommen haben.

Seit vielen Ausgaben zieht sich außerdem die Fortsetzungsreihe "Die Logik der Angst: Images des Paranoia-Kinos" über die Seiten. Doch wie jedes Fanzine hat Splatting Image seine besonderen Favoriten: Klaus Kinski, Jess Franco, Dario Argento, Ruggero Deodato, John Woo und einige mehr. Und denen gilt die besondere Liebe. In jeder Ausgabe treiben die Macher aufs Neue vergessene Kameraleute sowie Haupt- und Nebendarsteller von Filmen ihre Helden auf, um sie zu befragen, wie das denn war, damals bei den Dreharbeiten. Ob sich der mit dem vertragen hat, und wer sich hinter welchem Pseudonym verbergen könnte. Das hat seinen Reiz - wenn auch jeder, der einmal einen Jess Franco-Film gesehen hat, weiß, was Leiden heißt.

Splatting Image erscheint vier Mal im Jahr, herausgegeben von der Splatting Image-GbR, Mainauer Str. 1, 12161 Berlin. Erhältlich in Videotheken oder unter www.splatting-image.com