Krieg der Kinder

Gefährliche Orte LXXXI: Hobbyland 99 - nicht überall, wo Spielzeugmesse draufsteht, ist auch was für kleine Kinder drin.

Es gibt fast alles und trotzdem fehlt etwas: Sex-Spielzeug und Computer-Games sind nicht im Angebot. Ansonsten kann sich beinahe jedes Hobby auf der Hobbyland 99 in voller Pracht präsentieren - Modelleisenbahner, Truckmodellsammler, die ferngesteuerte Trucks stupide im Kreis fahren lassen, und solche, die kleine ferngesteuerte Ferraris durch eine halsbrecherische Rennstrecke jagen oder ferngesteuerte Boote und U-Boote in einem Teich herumdirigieren. So eine Messe ist etwas Feines - für alle, die gern Sachen anfassen, spielen und sich gleichzeitig zu alt dafür fühlen.

Das guckt man sich gern an - aus zwei Gründen. Zum einen: Wann sonst hat man schon mal die Gelegenheit, die ganz Normalen und ihre Kinder in ihrer natürlichen Umgebung in aller Ruhe zu betrachten, wenn sie dort ganz ungezwungen agieren? Außerdem hegt man ja noch immer eine vage Hoffnung, dass diese Leute - und insbesondere jene, die gern spielen - auch entsprechend kindliche Umgangsformen an den Tag legen.

Die Veranstaltung hatten sich im Vorfeld richtig Mühe gegeben, die Hobbyland 99 als eine besonders kinderfreundliche Veranstaltung zu pushen, bei der die Kleinen auf ihre Kosten kommen - ohne dass die Eltern dies mit genervten und leicht angespannten Blicken beargwöhnen, wie man es sonst so kennt. Was bei so etwas herauskommt, ist klar: Die Kinder haben nicht wirklich viel zu lachen. Die mannsgroßen Plastikfiguren von Playmobil sind eher furchterregend denn zum Herumtollen animierend, und die wenigen Sachen in kindgerechter Größe, die man auch mal ausprobieren darf, sind von Kindermassen dermaßen umringt, dass die Chancen, irgendwann an der Reihe zu sein, äußerst gering sind.

Opel hat zwar extra einen Spiel- und Mal-Parcours zu Ehren seines Modells Zafira aufgebaut hatte, aber das kommt einfach nicht an: Welches Kind kann sich schon für Buntstifte begeistern, wenn es in den Messehallen sonst nur Technik und allerlei Wunderspielereien zu bewundern gibt? Das ist den meisten Kindern schlicht zu blöd. Ebenso wie der Clown, dessen bester Witz gar keiner ist: "Meine Lieblingskakerlake ist krank - sie hat 'nen Pickel am Fühler". Trotzdem sitzen die Kinder dort und lachen. Der achtjährigen Jana aus Spandau bleibt wohl auch nichts anderes übrig, wenn sich Vater und Mutter währenddessen woanders vergnügen. Wo, weiß Jana auch nicht, also heißt es gezwungenermaßen: warten.

Denn an den Ständen der Fernsteuerungsfetischisten und der Strickwarenfans ist der Andrang großer Kinder unübersehbar. Als eine große Dampflok ganz gemütlich anfährt, rufen etliche Erwachsene: "Oh" und "Ah". Mächtiges Erstaunen auch, wenn die Pullover just mit dem Muster aus der Maschine kommen, das man vorher einprogrammiert hat. Und hinter den Ständen sitzen ernsthafte Männer und Frauen, die das Besichtigungsmaterial immer mal wieder ordnen oder die kaputt gefahrenen Autos reparieren.

Zauber-Dinge für Erwachsene gibt es massig, Sexy Star-Wars-Figuren oder merkwürdige Quader, aus denen darin versteckte Alien-Schädel herausgemeißelt werden müssen, aber auch Spielmaterial für Liebhaber traditioneller Basteleien. Mit stolz geschwellter Brust werden gigantische Modelle deutscher U-Boote, Zerstörer oder selbstbemalte Mini-Panzer vorgeführt, als ginge es darum, die schonungslose Bereitschaft zur Landesverteidigung zu bekunden. Mal abgesehen vom fehlenden Befehlshaber Erwin Rommel, der ebenso nicht vorhandenen scharfen Munition und natürlich ihrer Größe stehen die Modelle ihren heroischen Vorbildern aus den deutschen Eroberungskriegen in nichts nach.

Ausnahmslos jeder Stand präsentiert - je nach Leidenschaft als Flugzeug, Schiff, Panzer oder sonstwas - die Relikte der Vergangenheit, und die Betreiber leiden offensichtlich darunter, die Hakenkreuzfahne nicht hissen zu dürfen. In ihren Augen stimmt das so natürlich nicht: Ist doch alles nur Technik. Und die muss selbstredend möglichst originalgetreu dargeboten werden.

So sieht beispielsweise ein Flugzeugnarr, der seine Lieblinge in stundenlanger Arbeit aus Papier entstehen lässt, gar nicht ein, dass er eines seiner Modelle, auf dessen Heckflügel er das Hakenkreuz in ein "Kreuzfenster" abgewandelt hat, verhängen soll: "Was ist denn mit den russischen Maschinen, die hier stehen? Die Roten waren doch genauso schlimm wie wir. Das haben die dann auch eingesehen." Der gepflegte junge Blonde neben ihm nickt anteilnehmend: "Ja, das ist wirklich Quatsch, dass das immer noch benölt wird!" Dann unterhalten sich diese beiden weiter über die Schönheit ihrer Papierflieger. Neben dem inkriminierten Kampfflieger steht eine kleine Rakete, deren Seriennummer der fromme Bastler ebenso ausweist wie ihren korrekten Markennamen: "Fieseler - V 1" - Hitlers berühmte Vergeltungswaffe.

Ohne historisches Vorbild ist der Spaß ja nur halb so groß: Als die Firma Märklin in den achtziger Jahren ein neues Modell vorstellte, das in der Realität nie existiert hatte, sondern lediglich nach den Plänen der Kriegsführer gebaut werden sollte, da gab es große Proteste von empörten Modellbahnern. Nicht der stilisierte Reichsadler empörte die meisten treuen Märklin-Käufer. Nein, sie störten sich daran, dass dieses Modell das Unechte und Künstliche ihrer selbst zusammengebauten Idylle und ihrer aufwendigen Bahnlandschaften offenbarte. Das Modell gibt es übrigens bis heute zu kaufen, die Wellen der Aufregung haben sich gelegt, denn die kleine Maschine hatte - wie immer beim Traditionsunternehmen Märklin - einen hervorragenden, kaum anfälligen Motor.

Doch nicht nur die Männer bekommen ihre Wünsche erfüllt, auch die Frauen können sich ihrer Rolle voll und ganz widmen: Häkel-, Strick- und sonstige Handarbeits-Bastelstände ernten große Aufmerksamkeit. Mit oder ohne Vorbild? Ob sich die Frauen auch mit den erprobten Strickmustern der Soldatenmütter beschäftigten, ist nicht zu ermitteln - zumindest gehen sie damit nicht so offensiv um wie die von ihnen mitgebrachten erwachsenen Jungen. Lediglich die Weltraumraketen-Fetischisten stehen völlig isoliert zwischen den Geschlechtern: Für sie und ihre aufblasbaren Riesenfiguren scheint die Zeit einfach noch nicht gekommen - vielleicht ja im nächsten Jahrtausend.