Was wir wollten

"Mein Mann, der Kommunist" kehrt zurück ins Amerika der Fünfziger.

Ein Mann sitzt auf der Terrasse seines Hauses. Eher eine Hütte. Sein Blick bleibt hängen an der fernen Gebirgskette im Westen. Und man dürfte kaum falsch liegen, wenn man vermutet, dass es sich um den Schriftsteller Nathan Zuckerman handelt, dessen Biografie Philip Roth von Buch zu Buch fortschreibt.

Doch seine Biografie scheint kaum noch mehr zu sein als Rahmenhandlung. Die Figur des Nathan Zuckerman hat sich über die Jahre verändert, er nimmt zunehmend eine passive Position in diesem Geflecht von Kontexten ein. Denn "um meine Abgeschiedenheit geht es hier nicht. Das ist keine Geschichte, die sich erzählen lässt. Ich bin hierhergekommen, weil ich keine Geschichte mehr haben will. Ich habe meine Geschichte gehabt." Wie schon in "Amerikanisches Idyll" fungiert der Protagonist als Vermittler fremder Biografien. Zusammengelesen funktionieren die Bücher wie eine mehrfach belichtete Fotografie. Immer aufs Neue gerät der amerikanisch-jüdische Mittelstand vor das Objektiv.

War Zuckerman in "Amerikanisches Idyll" noch so etwas wie der Chronist, der beauftragt wurde, die Geschichte der Familie Levov aufzuzeichnen, wird er in "Mein Mann, der Kommunist" auf die Rolle des Zuhörers reduziert. Nur selten kommentiert er das Gehörte. Und von sich selbst spricht er fast nie. Denn er ist hergekommen, um keine Geschichte zu haben. Eine Geschichte aber hat er. Nicht die eigene, sondern die seines Vorbilds aus Jugendtagen: Der Bruder von Nathans ehemaligem Englischlehrer, Ira Ringold, genannt Iron Rinn, der beim Radio Karriere machte, aber in der McCarthy-Ära zu Fall gebracht wurde.

Jetzt sitzten Nathan und Iras Bruder Murray Ringold auf der Terrasse zusammen. Als Murray Ringold beginnt, von sich und vor allem von Ira zu erzählen, kann sich auch Nathan nicht gegen die Erinnerungen sperren.

Eine schräge Type muss Iron Rinn gewesen sein. Er "habe sich vollständig ausgelebt", hatte Murrays Ehefrau Doris einmal gesagt, "mit all seinen Widersprüchen". Ira Ringold eine Figur, die paradigmatisch ist für die Nöte und Merkwürdigkeiten, die das Ringen um eine erzwungene oder auch erträumte Identität für die amerikanischen Juden nach der Shoah mit sich bringt. "Multiple Jews" hat Georg Seeßlen das einmal genannt.

Die Nathan-Figur erweist sich als Quasi-Dissident, der sich von Newark/New Jersey und seinem mittelständisch-jüdischen Elternhaus entfernt, immer auf der Suche nach einem akzeptablen Sprechort als Jude in der US-amerikanischen Gesellschaft. Roth operiert mit Klischees, lässt sie aufeinanderprallen, bis sie brüchig werden. Das erinnert zuweilen an die Maskierungs/Demaskierungs-Mechanismen in Art Spiegelmans "Mouse"-Comics. Oder auch an die Zuschreibungsorgien im "Radical Jewish Culture"-Projekt des New Yorker Komponisten John Zorn. Die Bandbreite reicht von der Wiederaneignung - Fremdzuschreibung wird zu Selbstzuschreibung - bis hin zur Übernahme des "jüdischen Selbsthasses". Roth spielt mit diesen Kategorien, gekonnt, eindringlich.

Iron Rinn ist Gewerkschafter, Kommunist, um genau zu sein, und engagiert sich für die Bürgerrechte der Afroamerikaner. Auf diese Weise nimmt Roth McCarthy-Ära und Bürgerrechtsbewegung als historischen Bezugspunkt in den Text hinein.

Der charismatisch-kämpferische Ira und sein unbestechlicher intellektueller Bruder Murray waren das ideale Vorbildgespann für den jungen Nathan. "'Kri-ti-sches Den-ken', sagte Mr. Ringold und klopfte zu jeder Silbe mit den Knöcheln auf sein Pult, 'das ist die äußerste Subversion'." In der Geschichte Nathans, wie auch in der Erzählung des gescheiterten Iron Rinn, erzählt Roth zugleich die Geschichte des Scheiterns der amerikanischen Linken mit. Und der Verweis auf den McCarthyismus der fünfziger Jahre stellt sie zugleich als die Geschichte eines "jüdischen" Dilemmas aus.

Der gewissermaßen perfekte "Selbsthasser" war der Anwalt Roy Cohn, in den fünfziger Jahren als Mc Carthys rechte Hand maßgeblich an der Hinrichtung der "Spione" Julius und Ethel Rosenberg beteiligt. Der Dramatiker Tony Kushner hat die Geschichte Roy Cohns vor einigen Jahren zum Ausgangspunkt seiner "Angels In America"-Stücke gemacht. Cohn hatte sich - sein Judesein wie seine Homosexualität gleichermaßen abspaltend - bis zur Selbstverleugnung dem Wasp-Mainstream anverwandelt.

Allegorisch schreibt Roth das dem Buch ein. Roy Cohn heißt hier Eve Frame, sie ist Schauspielerin und Iras ehemalige Ehefrau. Sie hieß eigentlich Chava Fromkin, war Tochter eines jüdischen Immigranten aus Polen und hatte ihren damaligen Ehemann, der zum landesweit bekannten Radiostar geworden war, in einem Enthüllungsbuch dem "Komitee für unamerikanische Umtriebe" ans Messer geliefert. Der Titel: "Mein Mann, der Kommunist". Im Gespräch zwischen Nathan und Murray Ringold ist das Buch der Ausgangspunkt, um über die McCarthy-Ära zu sprechen.

"Kommunisten sind McCarthy immer gleichgültig gewesen; wenn das auch sonst niemand gewusst hat, er hat es gewusst. Die Schauprozesse in McCarthys patriotischem Kreuzzug waren bloß dessen theatralische Seite." So äußert sich Ringold. Die Kameras, die dabei zusahen, hätten dem Komitee die falsche Authentizität des wirklichen Lebens verliehen. Im Grunde sei die ganze Angelegenheit eine Möglichkeit gewesen, die amerikanische Gesellschaft auf Linie zu bringen - und zwar dort, wo Amerika gewissermaßen am amerikanischsten ist: in der Unterhaltungskultur. Ira scheiterte nicht an seiner klassenkämpferischen Überzeugung, sondern wurde Opfer der Schlammschlacht, die nach Veröffentlichung von Eve Frames Buch tobte.

Erst gegen Ende des Gesprächs erfährt Nathan, dass Ira, 16jährig, einen Mord begangen hat. Er hatte solange auf einen Antisemiten, der ihn als "Christusmörder, nichtsnutzigen Juden" beschimpft hatte, eingeschlagen, bis der tot liegen blieb. "Ira, du bist vom rechten Weg abgekommen", hatte Murray seinerzeit dem Bruder vorgehalten. Von diesem Punkt ordnet sich die Diskussion über jüdische Identität, Anpassungs- und Selbstbehauptungsstrategien noch einmal neu. Wie weit darf Widerstand gehen? Indem der Autor diese Frage in das retrospektive Gespräch verlagert hat, bietet er unterschiedliche Antworten an.

"Mein Mann, der Kommunist" ist auch ein Buch über den Zusammenhang von Ideologieproduktion und Populärkultur. Die Person Ira Ringold geht in der Öffentlichkeit komplett verloren, löst sich auf in einem Wust von interessegeleiteten Zuschreibungen: Jude/ Nichtjude, Kommunist oder nicht. So wird das Gespräch zu einer Art Rettungsversuch, dessen Ziel die "Wiederherstellung" der Person Ira Ringold ist. Aber auch diese Unternehmung muss scheitern. Mit diesem Roman gelingt Roth die Wiedereinschreibung der fünfziger Jahre in die US-amerikanische Gegenwart. Ein schlaues Buch eines immer noch gewichtigen Erzählers.

Philip Roth: Mein Mann, der Kommunist. Hanser, München 1999, 370 S., DM 49,80