Kiep Kohl, Helmut!

Der Ehrenvorsitzende empört sich über den Verdacht, er habe von den Schwarzgeldkonten der CDU gewusst. Er sollte besser lernen, damit zu leben.

Der Anrufer brauchte sich nicht mit Namen zu melden: Diese Stimme kannte jeder in Deutschland. Im Büro von Eberhard von Brauchitsch, dem Bevollmächtigten des milliardenschweren Flick-Konzerns, wusste man sogar schon, mit welchem Anliegen der prominente Anrufer wieder einmal zum Hörer gegriffen hatte: "Juliane kommt."

Von Bonn nach Düsseldorf sind es nur 70 Kilometer. Kurz darauf war Juliane auch schon da. Frau Weber, so wurde sie von Herrn von Brauchitsch genannt, erklärte dann dem mächtigen Herrn in der Düsseldorfer Chefetage, was der ohnehin schon wusste: dass ihr Chef - ebenfalls ein mächtiger Mann, doch leider nicht ganz so reich - wieder einmal klamm war. Kurz und gut, soundso viele Zigtausend wären vonnöten, um hier etwas die Stimmung zu verbessern, da einen Kritiker kaltzustellen und dort eine kleine Kampagne anzuzetteln. Später, vor Gericht, sollte von Brauchitsch für solche Vorhaben den Begriff der "Pflege der Bonner Landschaft" prägen.

Immer wenn Frau Weber kam, entschuldigte sich Herr von Brauchitsch für einen Moment, ließ die gewünschten Beträge aus dem Firmensafe kommen und steckte sie in ein Couvert, das er der Emissärin übergab. In den Firmenbüchern notierte er den Betrag unter der Rubrik "wg. Kohl". 565 000 Mark wechselten ausweislich der Buchhaltung auf diese elegante Weise den Besitzer.

Von Brauchitsch verfolgte mit den Umschlägen für Frau Weber ein ganz bestimmtes Ziel: Aus einem Aktienverkauf an die Deutsche Bank hatte der Flick-Konzern rund zwei Milliarden Mark Gewinn gezogen. Eine Bestätigung der Bundesregierung, dass das Geld "volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig" angelegt worden sei, könnte den Konzern von Steuerzahlungen in Höhe von etwa einer Milliarde Mark befreien. Und was wäre schon volkswirtschaftlich förderungswürdiger als eine kräftige Unterstützung für die wertvolle Arbeit der Regierungsparteien?

Doch der Flick-Konzern, der der ganzen Affäre ihren Namen geben sollte, war ein Sonderfall, sein Beitrag nur die kleine, zur persönlichen Verwendung des Kanzlers gedachte Spitze des Spendenberges, den die Regierungsparteien FDP und CDU in der ersten Hälfte der achtziger Jahre unter sich aufteilten. Die zahllosen anderen großen und kleinen Firmen mussten den Umweg über Spendenwaschanlagen gehen. In 1855 Fällen leitete die Bonner Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren ein. Allein über die "Staatsbürgerliche Vereinigung" floss gut eine viertel Milliarde Mark auf die Konten der Koalitionsparteien - alles Spendengelder von Wirtschaftsunternehmen, die sich davon selbstverständlich einen Vorteil erhofften.

Um die illegale Spendenpraxis zu verschleiern, Steuergelder zu sparen und den Zugang zu staatlichen Fördertöpfen zu erhalten, baute die CDU mit Wissen ihres damaligen Vorsitzenden Kohl ein Netz von Scheinfirmen, Geheimkonten und obskuren Vereinen auf. Vor einem Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags sagte der Kanzler zwar unter Eid aus, er habe von all dem nichts gewusst. Diese Behauptung war aber so offensichtlich gelogen, dass er später einer Anklage wegen Meineids nur mit der legendär gewordenen Ausrede entging, er habe wohl einen "Blackout" gehabt, als er angab, nichts gewusst zu haben.

Ob Helmut Kohl am Mittwoch vergangener Woche im Bundestag erneut einen Blackout gehabt hat? Sein Äußeres legte es nahe. Kohl hatte sichtliche Schwierigkeiten, an sich zu halten. Wutschnaubend verwahrte er sich gegen die von SPD-Fraktionschef Struck vorgetragene Aufforderung, zur Klärung des Verdachts in der neuen Parteispenden-Affäre beizutragen. "Verleumdung!" blaffte Kohl.

Die Parteifreunde waren entsetzt. Denn auch sie spürten, was sich jedem Fernsehzuschauer aufdrängte: Wenn der Alte so die Contenance verliert, dann muss etwas dran sein an der Geschichte. Und in der Tat hat sich die Schlinge schon ziemlich eng um den Hals des CDU-Ehrenvorsitzenden gelegt, der sich unter dem Schutz seines Nimbus als Elder Statesman und Einiger des Vaterlands unangreifbar gefühlt hatte.

Er habe, entschuldigte sich Kohl, als er wieder etwas klarer bei Verstand war, niemals Geld von dem bayerischen Waffenhändler Karlheinz Schreiber angenommen, weder persönlich noch für die CDU. Der Trick ist alt: Wenn einem ein Vorwurf gemacht wird, weist man im Brustton der Entrüstung einen ganz anderen Vorwurf zurück. Er habe, sagte Kohl weiter, Schreiber nie persönlich kennen gelernt. Klar: Für so etwas hatte er seinen Wolfgang Weyrauch, seinen Walther Leisler Kiep und auch seine Juliane Weber.

Eine Hintertür ließ sich der alte Schlaumeier aber doch noch offen: Allenfalls sei er Schreiber vielleicht einmal begegnet. Dass der derzeitige Vorsitzende Wolfgang Schäuble und die damalige Schatzmeisterin Brigitte Baumeister Schreiber im Herbst 1994 bei einem Fundraising-Dinner zumindest "begegnet" sind, werden die Herrschaften kaum leugnen können: Dafür gibt es Zeugen. Und Frau Baumeister kann auch nicht abstreiten, dass sie Schreiber noch besucht hat, als dieser, mit Haftbefehl gesucht, bereits in der Schweiz Zuflucht genommen hatte. Um was es dabei gegangen ist, kann Frau Baumeister nicht sagen: Es habe etwas mit dem BND zu tun. Nun hat zwar Schreiber eine lange Karriere in Diensten der Pullacher Behörde hinter sich, die ihm bis heute die Protektion der Geheimen sichert. Aber Frau Baumann gehört nach Einschätzung von Szenekennern zu denjenigen CDU-Politikerinnen, die nie etwas mit dem BND zu tun hatten.

Die Aufregung ist verständlich. Und dass die CDU die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Topos Schreiber lenken will, auch: Denn die Ermittlungen der Augsburger Staatsanwaltschaft gegen Schreiber haben, quasi als Nebenprodukt, von der CDU-Spitze betriebene Strukturen offen gelegt, die fatal an den Parteispenden-Skandal der achtziger Jahre erinnern: Dieselbe Verschleierungstaktik, dieselben Geldgeber aus Wirtschaft und Industrie und dieselben Akteure - zumindest teilweise.

Denn die CDU-Spitze hatte mittlerweile aus den Erfahrungen der ersten Parteispenden-Affäre gelernt. Spätestens seit 1989, das bestätigte vergangenen Freitag der damalige Generalsekretär Heiner Geißler, hatte die Partei gewissermaßen eine dreistufige Kassenführung aufgebaut. Neben den offiziellen Konten, die in den jährlichen Rechenschaftsberichten von Schatzmeister Walther Leisler Kiep auftauchten, gab es ein System von Guthaben, aus denen Ausgaben bestritten wurden, die vor den gemeinen Parteimitgliedern geheim gehalten werden sollten, etwa die Gehälter der Generalsekretäre, über deren Höhe es nie eine offizielle Auskunft gab. Diese Konten wurden vom Büro des Frankfurter Wirtschaftsprüfers Wolfgang Weyrauch als Treuhand-Anderkonten geführt, waren Kiep jedoch bekannt.

Daneben existierte aber noch eine dritte Hierarchie von Konten, von denen selbst Kiep wahrscheinlich nichts wusste. Dabei handelte es sich ebenfalls um Anderkonten, die jedoch mit Schwarzgeld aus anonymisierten Spenden gefüllt waren. An die war die Partei auch nicht immer auf ganz legale Weise gekommen: Seit Oktober 1991 beschäftigte die CDU auf Provisionsbasis den Spendeneintreiber Hannes Müller, der von Unternehmen mit teilweise an Erpressung grenzenden Methoden Geldbeträge eintrieb. Von dem Geld zweigte Müller dann ohne Wissen der Spender kräftige Provisionen ab.

Überblick und Vollmacht über diese Konten hatte allein Weyrauch. Und der gilt als engster Verbündeter von Helmut Kohl. Zehn solcher Konten haben die Augsburger Staatsanwälte nach Informationen der Süddeutschen Zeitung bisher entdeckt, und es gibt Hinweise, dass im Ausland noch weitere existierten: Bei einer Durchsuchung im Hause Weyrauch fanden die Ermittler Reisekosten-Abrechnungen mit Vermerken wie "CDU Hessen" und "CDU Bonn". Noch verhängnisvoller dürfte für Kohl ein Vermerk sein, der sich immer wieder auf Anweisungen zur Überweisung von Geldbeträgen findet: "PV". Jedes CDU-Mitglied weiß, was das heißt: Parteivorsitzender.

Wie immer die Geldbeschaffungsmaschinerie des Herrn Weyrauch funktionierte - sie funktionierte prächtig: Hatte die CDU 1989 noch Schulden von 42,5 Millionen Mark, konnte sie 1992 schwarze Zahlen in Höhe von fast 25 Millionen schreiben. Erst der Bau der etwas groß geratenen neuen Parteizentrale am Klingelhöfer Dreieck in Berlin-Tiergarten änderte etwas an der überdurchschnittlichen finanziellen Ausstattung der Christdemokraten. Sollte sich der Verdacht der Ermittler bestätigen, dass die CDU Schwarz-Konten im großen Stil unterhalten hat, dann könnte die Partei bald wieder auf dem finanziellen Niveau der achtziger Jahre angelangt sein.

Noch fataler könnte sich für die Christdemokraten freilich der Imageverlust auswirken, den eine solche Enthüllung unweigerlich bedeuten würde. Schon der Parteispenden-Skandal der achtziger Jahre hätte die Union wohl in die Opposition befördert, wäre nicht Helmut Kohl im letzten Augenblick ein historischer Glücksfall passiert. Sollte sich beweisen, was sich bis jetzt nur andeutet, dann hieße das, dass sich die Union unmittelbar nach ihren ehernen Besserungsschwüren daran machte, ein Geldwaschsystem aufzubauen, das nur noch etwas undurchsichtiger war. Es hieße, dass die CDU auf der Grundlage von halbkriminellen Praktiken der Geldbeschaffung und womöglich auch der Korruption funktioniert. Und wer könnte dann noch glauben, dass sich all das seitdem geändert hat?