Verhaftung wegen RZ-Verdacht

Mord verjährt nicht

Für die meisten sind sie fast vergessene Geschichte: Die militanten Aktionen, mit denen sich Revolutionäre Zellen (RZ) Mitte der achtziger Jahre gegen bundesdeutsche Asylpolitik und für ein "freies Aufenthaltsrecht für alle Flüchtlinge" stark gemacht haben. Lange bevor legale und legalistische Linke die rassistischen Implikationen deutscher Migrationspolitik als Gefahr erkannt hatten, griffen RZ die Institutionen staatlich organisierter Selektion an. So legten sie etwa Feuer in den Räumen der Hamburger Ausländerpolizei, um "möglichst viele" für Abschiebungen und Razzien gegen Illegale notwendige Akten zu vernichten. In Berlin gingen die Autos zweier leitender Funktionäre des Deutschen Roten Kreuzes in Flammen auf, weil das DRK "dem Senat das schmutzige Geschäft der Lagerhaltung von Flüchtlingen abnimmt".

Geschichte? Nicht für jene Asylsuchenden aus dem Berliner DRK-Heim in Pankow, die jüngst gegen ihre diskriminierende Behandlung in den Hungerstreik getreten waren. Und auch nicht für Tarek M. Der 40jährige soll, so informierte die Bundesanwaltschaft vergangene Woche, "von Anfang 1986 bis Ende 1996 einer der führenden Köpfe der Berliner Zelle der 'RZ'" und gleich an drei Aktionen in der Stadt beteiligt gewesen sein. Die Karlsruher Strafverfolger wollen wissen, dass Tarek M. mit weiteren nicht bekannten Personen einen Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber verübt hat. Zudem soll der Berliner an zwei Angriffen mitgewirkt haben, bei denen im Oktober 1986 Harald Hollenberger, der damalige Leiter der Berliner Ausländerbehörde, sowie im darauf folgenden Jahr Günter Korbmacher, der damalige Vorsitzende Richter des Asylsenats am Bundesverwaltungsgericht, durch Pistolenschüsse an den Beinen verwundet wurden. Auf Korbmacher, den die RZ wegen seines besonderen persönlichen Einsatzes für eine Grundgesetzänderung des Asylrechts als "furchtbaren Juristen" bezeichnet hatten, soll Tarek M. von einem Motorrad aus geschossen haben.

Wie die Bundesanwälte zu ihrem Wissen kommen, wollte Behördensprecherin Eva Schübel der Jungle World nicht verraten. Jedenfalls war der Beschuldigte bereits im Mai festgenommen worden, weil er zehn Kilogramm des von den RZ benutzten Sprengstoffs Gelamon aufbewahrt haben soll. Knapp zwei Monate später ließen ihn die Behörden wieder laufen, um ihn nun unter anderem wegen des "dringenden Tatverdachts der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung" erneut zu verhaften.

Wie der Vorwurf es nahe legt, waren gleich drei Staatsanwälte, etwa 90 Beamte des Bundeskriminalamtes, die GSG 9, einige Berliner sowie andere örtliche Polizisten beteiligt, als es Dienstag vergangener Woche galt, acht Objekte in der Hauptstadt, in Brandenburg und in Sachsen-Anhalt heimzusuchen. Neben vier Wohnungen, die in direkter Verbindung zu Tarek M. stünden, seien vier weitere von Kontaktpersonen durchsucht worden, erklärte BAW-Sprecherin Schübel. Nicht von potenziell Verdächtigen also, sondern von "Menschen, bei denen man davon ausgeht, dass sie den Beschuldigten gut kennen". So richtig gut dann auch wieder nicht: Zumindest ein 42jähriger Mann aus Berlin-Treptow, dem die Ermittler einen Besuch abstatteten, hatte nur von 1986 bis 1989 mit Tarek M. zusammengewohnt. Danach sei der Kontakt nach seinen Angaben abgebrochen.

Immerhin: Für die Schüsse kann der Beschuldigte wegen Verjährung nicht mehr angeklagt werden. Sonst aber scheinen die Bundesanwälte auch Jahre, nachdem die RZ zum letzten Mal von sich hören ließen, zur späten Rache entschlossen. Was mit all den Flüchtlingen passiert ist, die seit Mitte der achtziger Jahre von staatlichen Behörden in ihre Verfolgerländer abgeschoben wurden, kümmert die Karlsruher Richter freilich weniger. Auch wenn hier zumindest der dringende Tatverdacht auf Beihilfe zum Mord bestehen dürfte. Und Mord verjährt bekanntlich nicht.