Siech ohne Heil

Während der kroatische Präsident Franjo Tudjman langsam stirbt, ist schon das Gerangel um seine Nachfolge im Gange.

Beinahe vier Wochen lang lasen sich die offiziellen Bulletins des Ärzte-Teams des kroatischen Staatspräsidenten Franjo Tudjman wie der hilflose Versuch, Unvermeidlichem durch die ständige Wiederholung des Gegenteils zu entgehen.

Stets hörten die knapp gehaltenen Texte mit den Worten auf, die "Genesung" des 77jährigen Staatsoberhauptes gehe "gut voran". Alles Routine, konnte man meinen, der Präsident sei nur mal kurz bei einem Gesundheits-Check. Selbst die beinahe täglichen Komplikationen wurden in schöne Worte gefasst. Unvorhersehbare chirurgische Eingriffe wurden als "planmäßig" klassifiziert.

Tatsächlich aber ringt der einst starke Mann Kroatiens seit mindestens drei Wochen mit dem Tod. Dass er zumindest bis heute überlebt hat, ist nur der Unterstützung aller lebenserhaltenden Körperfunktionen durch High-Tech-Maschinen in der Intensivstation eines Zagreber Krankenhauses zu verdanken.Es kann eben nicht sein, was nicht sein darf. Die optimistischen Diagnosen der Ärzte sind in Kroatien eine nationale Notwendigkeit. Während in anderen Staaten ein Präsident stirbt und ganz selbstverständlich der nächste kommt, bedeutet der wohl bald eintretende Tod Tudjmans auch so etwas wie den Abschied von einem Selbstbildnis der kroatischen Nation, für das es wohl noch lange keinen Ersatz geben wird.

Franjo Tudjman war es, der Kroatien aus Jugoslawien herausgeführt hatte. Er war es auch, der trotz aller Widerstände einen erbitterten Krieg gegen die Serben führen ließ - im abgespaltenen eigenen Land und auch in Bosnien-Herzegowina. Der Präsident war es, der den Kroaten erklärte, wie Kroatien zu sein habe. Des Präsidenten Partei, die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ), war es, die das Parlament beherrschte und ihre Befehle vom Präsidentenpalast auf den Hügeln über Zagreb erhielt. Tudjman sorgte für kroatische Kontinuität.

Doch mit des Präsidenten Krankheit verblasst auch das Ansehen der Staatspartei, der HDZ. Nur noch 24 Prozent der Kroaten würden nach aktuellen Umfragen der nationalistischen Partei zur Zeit ihre Stimme geben, mit jedem weiteren Tag des Siechtums von Franjo Tudjman werden es weniger. Dagegen würde die oppositionelle Koalition aus Sozialdemokraten und Sozialliberalen gegenwärtig auf immerhin 35 Prozent der Stimmen kommen.

Eigentlich sollte in Kroatien am 22. Dezember gewählt werden. Tudjman und seine HDZ hatten diesen Termin noch zu besseren Zeiten fixiert und wollten damit erfolgreich sein: An diesem Tag befinden sich selbst die Wahlbeobachter von OSZE und EU im vorweihnachtlichen Ausnahmezustand. Nur wenige, so wurde in Zagreb spekuliert, würden dann wohl nach Kroatien fliegen, um die Wahl zu beobachten. Zuletzt war Kroatien nach den Präsidenten- und Kommunalwahlen von 1997 von internationalen Beobachtern wegen der Benachteiligung der Opposition und parteiischer Berichterstattung der staatlichen Medien kritisiert worden.

Aber die Strategie der Staatspartei ging nicht auf: Der Präsident hätte bis zum vorvergangenen Samstag ein Dekret zur Auflösung des Parlaments unterschreiben müssen, um den Wahltermin einhalten zu können. Stunden vor Ablauf der Frist wiesen die Ärzte wieder einmal auf die körperliche Unversehrtheit Tudjmans hin: Der Genesungsprozess würde diesmal so rasant sein, dass der Präsident sicherlich keine Schwierigkeiten hätte, das entsprechende Dekret zu unterzeichnen. Doch kurz bevor man Tudjman das Papier unter die Nase hielt, muss es mit der Genesung vorbei gewesen sein. Der Präsident war nicht fähig zu unterschreiben.

Seither wird in Kroatien politisch taktiert. Das Parlament schlug sich eine knappe Woche damit herum, die Kompetenzen des Präsidenten möglichst unauffällig an sich zu reißen. Bisher existierte in Kroatien nicht einmal ein Gesetz, um das Staatsoberhaupt vorübergehend für "amtsunfähig" zu erklären. Während die Oppositionsparteien auf diesen Schritt drängten, sperrte sich die HDZ. Offizielle Begründung: Die "Würde des Präsidenten muss gewahrt bleiben". Vielmehr aber war die Weigerung der HDZ, die Staatsgeschäfte auch ohne Tudjman weiterzuführen, Ausdruck für den unbedingten Machtwillen der Partei - schließlich hatte man sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht über die Machtteilung verständigen können.

Erst Mitte letzter Woche ließ sich die Tudjman-Partei schließlich überreden, den Präsidenten durch elf Verfassungsrichter und einen parlamentarischen Beschluss für amtsunfähig erklären zu lassen. Parlamentspräsident Vlatko Pavletic wurde zum Interims-Staatsoberhaupt gekürt, am vergangenen Samstag um Mitternacht löste sich das Parlament auf. Am gleichen Tag setzten die Ärzte übrigens ein weiteres Bulletin ab, in dem der Zustand Tudjmans zum ersten Mal als "sehr schwierig" bezeichnet wurde.

Die Wahlen in Kroatien werden nun am 3. Januar stattfinden, für ausländische Wahlbeobachter sicher auch kein idealer Zeitpunkt. Praktisch ist der Wahltermin für die HDZ aber auch wegen der Urlaubszeit vieler Kroaten, die im Ausland leben: Sie wählen überwiegend die HDZ.Und weil nun nicht mehr verschleiert werden kann, dass Tudjman das kommende Millennium wohl nicht mehr erleben wird, beginnt man, über eine endgültige Nachfolgeregelung nachzudenken. Interimspräsident Vlatko Pavletic machte am vergangenen Freitag den Anfang: "Ich stehe auch zur Verfügung, dem Land dauerhaft als Präsident zu dienen", so der zu höheren Weihen aufgestiegene Parlamentspräsident. Im Fall des Todes von Franjo Tudjman könnte Pavletic noch sechzig Tage interimistisch regieren, innerhalb dieser Zeit müsste ein neues Staatsoberhaupt gewählt werden.

Die besten Chancen auf eine Nachfolge Tudjmans hat aber momentan Außenminister Mate Granic. 71 Prozent der Kroaten würden ihn gerne als Präsidenten sehen. Verdient gemacht hat sich der HDZ-Politiker in ihren Augen vor allem wegen seiner unnachgiebigen Haltung gegenüber der EU, die in den vergangenen Jahren immer wieder gefordert hatte, endlich auch den serbischen und bosnischen Minderheiten in Kroatien jene Rechte zu geben, die ihnen zustehen.

Tudjman jedenfalls wird sich in diesen Streit, der auch für die EU-Mitgliedschaft Kroatiens Konsequenzen haben könnte, nicht mehr einmischen. Einen wichtigen Termin in dieser Sache wird er höchstwahrscheinlich versäumen: Am 6. Dezember sollte Tudjman den neuen Richtern am Obersten Gerichtshof persönlich den Eid abnehmen. Wahrscheinlich aber wird er sich wieder von Parlamentspräsident Pavletic vertreten lassen müssen.