Eduardo Galeano

»Ein wichtiger Erfolg für die Linke«

Fast hätten sie es geschafft: Nach über 100 Jahren konservativer Herrschaft durchbrach die Frente Amplio (FA-EP/Breite Front - Progressiver Zusammenschluss) das Zweiparteiensystem der Blancos und Colorados und wurde stärkste politische Kraft in Uruguay. Erst bei der Stichwahl unterlag ihr Präsidentschaftskandidat Tabare Vazquez vergangene Woche seinem Kontrahenten, dem konservativen Jorge Battle. Eduardo Galeano, Journalist und Schriftsteller, wurde in Europa mit seinem Essay »Die offenen Adern Lateinamerikas« bekannt und leitete u.a. die Zeitschrift Crisis in Buenos Aires. Nach dem Militärputsch in Argentinien ging Galeano ins spanische Exil und kehrte 1985 nach Uruguay zurück, wo er seitdem lebt.

Darf man Vazquez zu seiner Niederlage gratulieren? Schließlich hätte er sein Versprechen, die neoliberale Politik der Konservativen durch eine soziale zu ersetzen, nach einem Sieg kaum realisieren können.

Die Frente hätte vermutlich nur sehr eingeschränkt regieren können, da sie mit ihren 44 Prozent im Bundesrat über keine Mehrheit verfügt. Mein Nachbar, ein Taxifahrer, sagte nach der Stichwahl: »Ebenso hätten wir versuchen können, mit angezogener Handbremse Auto zu fahren«.

Aber man muss auch sehen, dass die Frente Amplio ein sehr neues Phänomen ist: Sie wurde zwar schon 1971 gegründet, war aber während der zwölf Jahre andauernden Militärdiktatur illegal. Das heißt, sie ist erst siebzehn Jahre in der Öffentlichkeit aktiv. Dennoch hat sie viel an Prestige gewonnen und ist mittlerweile die stärkste Partei in Uruguay. Und sie hat bis jetzt alle ihre Versprechen halten können; das hat sie von Anfang an von der Rechten unterschieden.

Kann es sein, dass die Uruguayer mehr Angst vor Vazquez hatten als selbst der US-amerikanische Botschafter in Montevideo? Der hatte vor der Wahl immerhin erklärt, es gebe nichts im politischen Programm der FA-EP, was sich gegen die Demokratie oder die Interessen der USA richte.

Ein großer Teil der Wähler wurde durch den Werbefeldzug der rechten Parteien beeinflusst und erschreckt. Diese Propaganda der Angst wurde von den rechten Parteien sehr effektiv angewandt - zumindest effektiv genug, um einen Sieg Vazquez' zu verhindern. Dennoch hat die FA-EP mit 44 Prozent ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Das ist ein wichtiger Erfolg für die Linke: Die Frente hat im Vergleich zu den letzten Wahlen vor fünf Jahren fast zehn Prozent zugelegt.

Auf welche Bevölkerungsgruppen zielte diese Angst-Kampagne?

Die rechten Parteien haben mit ihrer Propaganda vor allem Wähler aus der Mittelschicht und der Arbeiterklasse angesprochen. So haben sie behauptet, dass die Einkommensteuer, die es schließlich überall auf der Welt gibt, eine marxistische Erfindung sei. Und die Linken wollten sie nur einführen, um die unteren Klassen zu bestrafen: Vor allem Rentner wären davon betroffen und müssten trotz ihres niedrigen Einkommens diese Steuer finanzieren. In Wirklichkeit verfügen nur zwei Prozent der Pensionisten über Bezüge, die überhaupt für eine solche Steuer relevant sind.

Aber das ist nur ein Beispiel. Denn die rechten Parteien haben für den Fall eines Wahlsieges von Vazquez jede nur denkbare Katastrophe prophezeit: Uruguay würde ein zweites Kuba werden, eine internationale Blockade sei dann unausweichlich, Hunger, Gewalt und eine neue Diktatur sowieso.

Vor allem aber würde die Wirtschaft sofort das Land verlassen - obwohl das schon längst der Fall ist. Wenn in einem Shopping-Center noch irgendein nationales Produkt angeboten wird, stimmen hier doch alle sofort die Nationalhymne an.

Zu den Wahlen in Argentinien und Chile haben sich ähnliche progressive Bündnisse wie die Frente gebildet.

Das sind sehr unterschiedliche Erscheinungen. In Argentinien gibt es eine lose Allianz zwischen der Frepaso - einem Zusammenschluss von Ex-Peronisten, Sozialdemokraten und gemäßigten Linken - und der liberalen Radikalen Partei, die dort vor wenigen Wochen die Wahlen gewonnen hat. In Chile geschieht etwas Ähnliches; auch hier gibt es ein Bündnis zwischen den Sozialisten und den Christdemokraten. Doch das sind Koalitionen zwischen traditionellen Parteien, die schon lange existieren.

In Uruguay ist dies nicht der Fall. Hier ist mit der Frente Amplio eine neue Organisation der gesamten Linken entstanden, die sich gegen das etablierte Parteienspektrum richtet. Deshalb können wir die Entwicklung in diesen drei Ländern nicht über einen Kamm scheren. Und deshalb werden die Linken in Uruguay auch besonders verteufelt.

Bei dem Wahlergebnis fällt die politische Teilung des Landes auf: Die FA-EP hat in Montevideo gewonnen, während die Colorados und die Blancos in den übrigen Bundesländern siegten.

In der Hauptstadt gibt es schon seit zwei Jahrzehnten eine linke Regierung. Wahrscheinlich gewinnt die Frente dort auch die nächsten Kommunalwahlen. Die Linke hat in Montevideo faktisch gezeigt, dass sie regieren kann - und dass sie gut regieren kann.

Was kann die Frente anders machen als die traditionellen Parteien?

In Uruguay müssen Jugendliche, die einen Job wollen, ins Exil gehen. Das muss aufhören. Wir brauchen neue Arbeitsplätze, damit sie hier bleiben können. Außerdem ist unsere Demokratie durch die Konservativen entkräftet worden, denn diese behandeln den Staat wie ihr Privateigentum. Auch hier will die Frente eine andere Antwort: Der Staat soll nicht wenigen, sondern allen gehören.

Die Rechten hingegen haben vor allem ein Interesse: Sie bestechen die Leute durch Pöstchen, das heißt, sie verteilen Jobs gegen Stimmen. Die einzige politische Kraft, die sich um diese Probleme kümmert, ist die Frente. Sowohl in der lokalen Regierung von Montevideo als auch auf nationaler Ebene, wo sie allerdings weniger Einfluss besitzt.

Noch geringer dürfte ihr Einfluss auf internationaler Ebene sein. Über welchen Spielraum verfügt ein so kleines Land wie Uruguay?

Dieses Land hat einige Male eine kollektive Würde demonstriert, die ungewöhnlich ist. 1992 wurde zum Beispiel in einer Volksbefragung über die Privatisierung des öffentlichen Dienstes abgestimmt: 73 Prozent der Bevölkerung votierten damals dagegen - ein Sündenfall für die universale Diktatur des Geldes.

Die Auflagen des Internationalen Währungsfonds wird man kaum mit einem Referendum abschaffen können.

Der Spielraum, den uns die Diktatur der internationalen Institutionen lässt, ist sehr begrenzt. Aber dieser Raum kann ausgedehnt werden, wenn wir mit anderen Ländern kooperieren, wie das im Mercosur bereits der Fall ist. Die Integration ist ein wichtiges Ziel der Frente. Um unsere Souveränität zu verteidigen, müssen wir uns zusammenschließen. Das ist unsere Perspektive.