WTO-Konferenz gescheitert

Fair geht vor

Alle waren sie gekommen. Die Freunde des Waldes, Schildkröten-Schützer und industrienahe Lobbyisten, staatstragende Nichtregierungsorganisationen und autonome Basisgruppen. Und ausgerechnet diese Demonstranten, die, oft als Schmetterlinge oder Kröten verkleidet, durch Seattle zogen, haben der scheinbar so machtvollen WTO eine Schlappe zugefügt.

Die WTO-Gegner haben damit einen überraschenden Sieg errungen. Kaum jemand hat damit gerechnet, dass eine Organisation, die noch vor kurzem nur Experten bekannt war, einen solch heftigen Protest auslösen könnte. Die WTO hat sich zum Feindbild par excellence entwickelt: Sie ist Synonym für das Böse auf der Welt geworden, für Gier, Hass, Mord und - noch schlimmer - für die Ideologie des freien Handels.

Argumente gegen den Liberalismus lassen sich heute einfach finden. Diese Ideologie verspricht seit den Zeiten von Adam Smith steten Wohlstand für alle - und seit damals werden die Erwartungen nicht erfüllt. Früher wurden Gold und Silber gegen Glasperlen getauscht, heute sollen die Bauern der Länder des Südens vom Norden patentiertes Saatgut kaufen.

Die Folgen haben sich mittlerweile herumgesprochen: »Zum Ausgang des Jahrhunderts muss festgestellt werden, dass es nur einige Wohlstands-Oasen in der weltweiten Wüste der Armut gibt«, konstatierte vergangene Woche der Club of Rome. Die Wüste wird auch im nächsten Jahrhundert weiter wachsen. Wer will da sagen, dass die liberale Marktwirtschaft besonders erfolgreich ist. Zumal sie in ihren neu eroberten Gebieten, wie etwa Russland, auch nicht gerade hält, was man von ihr erwartet hat.

Dagegen zu rebellieren wäre also durchaus berechtigt und rational, wären die Proteste selbst nicht so zwiespältig. Denn die Kritik an der WTO erinnert sehr an den Widerstand gegen den Internationalen Währungsfonds. Auch dieser wurde zu einer Ausgeburt des Bösen - »IWF-Mördertreff« - stilisiert und war dankbares Objekt für allerlei wüste Verschwörungstheorien. Doch spätestens seit der Asienkrise, bei der er selbst fast pleite ging, hat er seinen Status als besonders verachtenswerte Institution nach und nach an die WTO abgegeben. Und ebenso wie beim IWF werden hier wieder die abstrakten Machtverhältnisse unzulässig reduziert - und das ausführende Organ kapitalistischer Sachzwänge als deren Ursache identifiziert.

Das erklärt, weshalb sich die Gegner der WTO häufig auf den kleinsten Nenner einigen: Den Hass gegen denjenigen, der derzeit den Welthandel dominiert. Der deutsche Wirtschaftsminister Werner Müller spricht für viele, wenn er die Schuld für das Scheitern an die USA delegiert: »Sie haben ihre Interessen hart verteidigt und keine Zugeständnisse gemacht.« Die Unterstützung ist ihm sicher: Schließlich ist der Liberalismus in den USA zu Hause - und die ist auf der ganzen Welt unbeliebt.

Wer die US-dominierte WTO nicht gleich für die Inkarnation des Kapitalismus hält, sondern nur für eine Entgleisung, ist deswegen in der Regel auch nicht schlauer. Die Freunde des fairen Handels akzeptieren grundsätzlich die Marktwirtschaft. Nur gerechter soll sie sein, endlich Umwelt- und Sozialstandards übernehmen oder wenigstens das Überleben der Schildkröten garantieren.

Aber derzeit weiß niemand, was »fair« eigentlich bedeuten soll: Ist es fair, weltweite Sozialstandards durchzusetzen, wenn die Entwicklungsländer dabei nur verlieren können? Ist es fair, sich für das Ende des freien Handels einzusetzen, wenn dies vor allem bedeutet, dass die wichtigen Agrar- und Textilmärkte weiterhin für die Länder des Südens verschlossen bleiben?

Auch ein fairer Handel verläuft nach dem Recht des Stärkeren. Die Forderung hat den Nachteil, dass sie jede materialistische Erkenntnis ignoriert: Einen gerechten Tausch gibt es im Kapitalismus nicht. Hier ist jedem Akt des Handels ein Gewaltverhältnis vorausgesetzt. Und das entscheidet, wer zu welchen Bedingungen seine Haut zu Markte tragen muss, wer davon profitiert - und wer eben nicht.