Gulasch-Antisemitismus

Im halbfeudalen Regime der Vorkriegszeit hat Ungarns Rechtsregierung ihre historische Bezugsgröße gefunden.

Gelegentlich hat doch einmal ein Intellektueller gute Worte für Ungarns Regierung übrig: Der Schriftsteller Péter Esterházy lobte die Regierung, weil sie ihm so viel Material für satirische Glossen liefert. Über Stoffmangel können sich ungarische Satiriker wahrlich nicht beklagen.

Da schrieb, wie erst jetzt bekannt wurde, im Sommer der frühere Außenminister Géza Jeszenszky, heute Botschafter der Republik Ungarn in Washington, auf amtlichem Papier einen »Privatbrief«, in dem er führenden ungarischen Journalisten und liberalen Medien unter anderem »Goebbels-Methoden« vorwarf. Im Sommer hatte der gelernte, aber ungeschickte Diplomat bereits die ungarischen Roma beschuldigt, zu stehlen und zu betrügen. Der Skandal hielt sich in Grenzen, hatte Jeszenszky doch nur wiederholt, was rund die Hälfte aller Ungarn denkt.

Die Mehrheit der 600 000 ungarischen Roma lebt nach wie vor unter trostlosen Bedingungen, zumeist in mehr als ärmlichen Wohnungen. Ungefähr 70 Prozent der Roma sind arbeitslos, 80 000 Roma-Kinder besuchen Sonderschulen für schwer erziehbare Kinder. Immer wieder kommt es zu rassistisch motivierten Übergriffen. Als Mitte November in dem kleinen Ort Dabas mit Baseballschlägern, Degen und Eisenstangen bewaffnete Skinheads eine Roma-Siedlung überfielen, wobei mehrere Menschen schwer verletzt wurden, berichtete nur noch die Polizei-Zeitschrift Zsarœ darüber. Selbst die EU hat bereits Besorgnis über die Lage der Roma in Ungarn geäußert - vor allem deswegen, weil man in Brüssel befürchtet, dass die anhaltende Diskriminierung der Roma zu einer verstärkten Auswanderung nach Westeuropa führen könnte.

Der ungarischen Regierung, an der auch die völkisch orientierte Kleinbauernpartei beteiligt ist, machten dagegen die ungarischsprachige Minderheiten in den Nachbarländern größere Sorgen. Sie erweckt in den Nachbarländern immer wieder den Eindruck, als wollte sie die im Vertrag von Trianon nach dem Ersten Weltkrieg gezogenen Grenzen verändern.

Ganz offen spricht solche Forderungen der staatlich subventionierte Weltverband der Ungarn aus. Sein Vorsitzender Sandor Csoori, ein angesehener Dichter, hat sich vor einigen Jahren zu der Behauptung verstiegen, »das liberale ungarische Judentum« wolle »das Ungartum in Geist und Denkweise assimilieren«. Der Anteil der Juden an der ungarischen Bevölkerung liegt übrigens unter einem Prozent. Doch der Antisemitismus braucht bekanntlich nicht unbedingt Juden, und so verkauft sich ungarische Nazi-Literatur auf dem Büchertisch in der Zentrale des Weltverbands - etwa eine »Geschichte der Ritualmorde« - gut.

Mit Ritualmord-Propaganda war 1944 auch die Deportation von Hunderttausenden ungarischen Juden vorbereitet worden. Nach der Besetzung Ungarns durch deutsche Truppen waren sie von der willig kooperierenden Königlichen Ungarischen Gendarmerie innerhalb von sechs Wochen in die nach Auschwitz abfahrenden Viehwaggons gepfercht worden. Weil eine solche Tat belohnt werden muss, hat Zsolt Lányi, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Parlaments und Mitglied der Kleinbauernpartei, am 19. Oktober im Hof des Museums für Kriegsgeschichte eine Tafel zu Ehren der Gendarmerie angebracht.

Und wenn 56 Jahre nach dem Durchbruch der Roten Armee am Don, wo die ungarischen Truppen geschlagen wurden, aus Russland die exhumierte Leiche eines »Unbekannten Soldaten« zurückgebracht wird, um sie anschließend mit militärischen und kirchlichen Ehren in einer Gedenkkapelle beizusetzen, dann ist es auch nur noch ein kleiner Schritt zur Rehabilitierung des früheren Ministerpräsidenten und Kriegsverbrechers Lászl- Bárdossy, der 1941 rassistische Gesetze gegen Juden durchsetzte und das Land in den Krieg gegen die Sowjetunion hineinzog. Bei dem nekrophilen Probelauf feuerten zwölf Kanonen Salut, und alle Kirchenglocken des Landes läuteten. Ministerpräsident Viktor Orbán vom Fidesz-Bürgerblock sprach weihevolle Worte: »Er ist mit Gottes Hilfe heimgekehrt.«

Orbáns Regierung genießt die zumeist stillschweigende, manchmal auch recht laute Unterstützung der rechtsextremistischen, von István Csurka angeführten MIEP (Partei der Ungarischen Gerechtigkeit und des Ungarischen Lebens). Als der ihnen nahestehende Journalist István Lovas zum Berater des staatlichen Fernsehens ernannt wurde, empfanden die Rechtsradikalen das als freundliches Signal. Zu Recht: Wie einige seiner Kollegen relativiert Lovas systematisch den Holocaust. Zum 70. Geburtstag des Schriftstellers Imre Kertész warf er dem Auschwitz-Überlebenden vor, »die Ungarn nicht zu lieben« und die Verantwortung für die Deportation der Juden »den ungarischen Gendarmen in die Schuhe zu schieben«.

Revisionistische Historiker dürfen sich in Ungarn über gut bezahlte Berater-Jobs freuen. Maria Schmidt hat es sogar zur Beraterin des Ministerpräsidenten gebracht. Mitte November hielt sie einen Vortrag, in dem sie die These aufstellte, es habe »mehrere Holocausts« gegeben. Die Juden, so Schmidt, die an der katholischen Universität Budapest Geschichte lehrt, würden den Holocaust erfolgreich als »Markenartikel« gebrauchen. Dabei habe »die Ausrottung der Juden oder ihre Rettung nicht zu den Kriegszielen der kämpfenden Seiten gezählt«. Außerdem sei »die in der Sowjetunion Jahrzehnte dauernde Klassenmord-Praxis genauso industriell« gewesen, »bürokratisch und statistisch festgehalten, wie die im Deutschland Hitlers«.

Kein Wunder, dass bei einem offiziellen Treffen von Vertretern der Regierung und führenden Repräsentanten der vier großen historischen Glaubensgemeinschaften Mitte November Oberrabbiner Josef Schweizer seine »Besorgnis über einen in letzter Zeit wieder verstärkt um sich greifenden Antisemitismus« zum Ausdruck brachte. Worauf Ministerpräsident Orbán »zur Eindämmung eines erneuten Vordringens des Antisemitismus« in Aussicht stellte, »in naher Zukunft einen Vertreter zur Behandlung« der angesprochenen Probleme zu ernennen. Vielleicht ist damit ja die neue Hauptabteilung gemeint, die im Amt des Ministerpräsidenten gegründet wurde. Sie verfügt im kommenden Jahr über ein Budget von 17 Millionen Euro und soll »das Image Ungarns verbessern«. Mit so viel Geld kann man in Budapest eine ganze Menge Kosmetik betreiben.