Fluxus und Sushi

Massenhaft relevante Zitate, aber der Popsong zum Anlehnen ist nicht dabei. Beck grüßt alle, die wir kennen.

Wie cool ist eigentlich Beck? »Dumme Frage«, werden Sie jetzt sagen. »Ist Beck nicht dieser ultrahippe Wunderknabe, dieser kompromisslose Songwriter, dieser talentierte Künstler, der bei einem Major-Label unter Vertrag ist, sich aber nie an die Industrie verkauft hat und trotzdem immer der bestangezogene Star der MTV-Video-Awards ist?« Nun, irgendwie stimmt das schon, doch was bedeutet das eigentlich genau?

Das neue Beck-Album »Midnite Vultures« ist da, und es gibt nur wenige Künstler, deren Output so zwanghaft gepriesen wird wie das des 29jährigen Beck Hansen. Nicht dass »Midnite Vultures« schlecht wäre, nein, es kommt flott und schmissig daher, gerade im Vergleich zu seinem Vorgänger »Mutations«, das zwar besser aussah, sich aber zäher anhörte (Achtung: Folk!). Doch wann immer ein neues Beck-Album erscheint, sind alle über die Maßen beeindruckt, nicht zuletzt, weil sie sich spätestens seit seinem zweiten Album eine Formel zurechtgelegt haben, die Beck in Sachen Coolness eine Privatautobahn hinbetoniert.

Wie bei vielen schwachsinnigen Herleitungen wird als erstes die gute, alte Herkunft, werden die Familienbande, also die Gene zur Beweisführung herangezogen: Künstlerfamilie! Wahnsinn! Vater: Musiker und Produzent. Mutter: Schauspielerin, Warhol-Muse, Szene-Café-Betreiberin und Mitglied einer Band namens Black Fag, die laut Beck-Fan-Homepage von jemandem namens Vaginal Creme Davis angeführt wird. Für manche Söhne wäre das sicherlich ein Grund, davonzulaufen und republikanischer Börsenmakler zu werden. Aber nicht für Beck. Er nimmt den Kelch ohne Murren, der ihm nicht zuletzt von seinem Großvater Al Hansen gereicht wird. Der war, wie könnte es anders sein, Künstler. Fluxus-Künstler, um genau zu sein.

Exkurs: Es scheint, als wüsste jeder Mensch auf der Welt außer mir, was Fluxus-Kunst genau ist. In Allegra, Brigitte usw. heißt es immer: »Beck ist der Enkel des Fluxus-Künstlers Al Hansen, der bis zu seinem Tod in Köln lebte.« Punkt. Das scheint zu reichen. In meiner Unkenntnis habe ich trotzdem nochmal nachgefragt, und zwar beim Dalai Lama des deutschen Popjournalismus, Harald Peters, der mir folgende Antwort gab: »Fluxus-Kunst ist, wenn man allen möglichen Krimskrams auf einen Haufen schmeißt und dann bunte Bändchen drumherum bindet.« Vielen Dank.

Wenn das die Definition von Fluxus-Kunst ist, dann ist Beck tatsächlich von seinem Großvater massiv beeinflusst. Denn wie der schmeißt Beck auf »Midnite Vultures« die Plattensammlungen seiner Generation und die seiner Eltern auf einen Haufen und verpackt sie mit einer glänzenden stylish Schleife. Und da man gar nicht weiß, wo anfangen mit dem Einordnen von »relevanten Zitaten«, was im Übrigen sicherlich auch ein Grund ist für Becks Beliebheit, hier ein Eindruck davon, wer auf »Midnite Vultures« alles musikalisch gegrüßt wird: Prince, Dexys Midnight Runners, Rocky Horror Picture Show, Rolling Stones, Beatles, Kraftwerk, Country, Sixties-Garagen-Bands, Glamrock, Hippie-Ethno-Gedudel, Visage, Funk, Old School-HipHop, Disco, The Seeds, Proll-Rock, Metallica, Marvin Gaye, Pavement, Air, The Doors, Folk, Velvet Underground, Hole, Nirvana und Earth, Wind & Fire.

Das ist eine beachtliche Leistung. Zumal Beck es am Ende der neunziger Jahre schafft, es nicht wie aufgewärmte Suppe klingen zu lassen. Es ist aber auch eine Leistung, die genau danach klingt, sprich manchmal ein wenig angestrengt. Kein Wunder, dass Beck erzählt, dass er an »Midnite Vultures« ein Jahr lang 16 bis 18 Stunden täglich gearbeitet hat. Das Verspielte, Hingerotzte, der Popsong zum Anlehnen ist ihm über die Jahre abhanden gekommen. Vielmehr ist Beck zu einem corporate Design-Produkt für internationales Hipstertum geworden. Man könnte auch behaupten, dass er jeden räudigen Sound vortrefflich aufnimmt, aber das jeweils schmutzige Element zu Gunsten eines künstlerischen aufgibt. Musik, Gestaltung, Styling, Kunst und Videos sind so schlüssig, so rund und dadurch auch in ihrer scheinbaren künstlerischen Komplexität so amtlich, dass sie manchmal nicht mehr sind als der feuchte Traum jedes Berlin-Mitte-Szene-Galeristen.

Beck ist so geschmackssicher wie gutes Sushi: Köstlich, nahrhaft, gesund - und doch möchte man sich nicht ausschließlich davon ernähren. (Übrigens stand Beck einmal leibhaftig vor mir in einer Schlange. Das war in einem makrobiotischen Feinschmecker-Imbiss in New York. Er sah übrigens sehr bezaubernd aus.) Beck fehlen die Skandale, die Abgründe, das Peinliche. Der Mann scheint so makellos wie sein Teint: Keine aktenkundigen Affären, keine Drogen, nicht mal eine klitzekleine musikalische Kooperation für den schnellen Dollar nebenbei. Ob er wohl schon mal betrunken war? Kleine Entgleisungen eben, die den Popstar erst zum Popstar machen.

Auch eine unkorrekte Vergangenheit wie die von seinen Kumpels, den Beastie Boys, mit ihren frühen Bier-, Schwanz- und Titten-Exzessen, sucht man bei Beck vergeblich. Sein Beharren auf Selbstbestimmung und Authentizität, die sich unter anderem darin äußert, dass er kein Prada-Model sein will und auch eine Puff-Daddy-Zusammenarbeit ablehnte, weil er feststellte, dass es dem nur ums Geld und nicht um die Musik geht, sind ja an sich nicht falsch, aber die Begründungen naiv, wenn nicht gar langweilig. Vielleicht findet sich aber hier tatsächlich einfach nur sein kalifornisches, hippieeskes Erbe.

Beck: »Midnite Vultures«. Geffen/Motor/Universal