Flucht nach vorne

Dass der rumänische Premier Radu Vasile stürzen musste, war schon beim EU-Gipfel in Helsinki ausgemachte Sache.

Als der rumänische Präsident Emil Constantinescu vergangene Woche vom EU-Gipfel in Helsinki nach Bukarest zurückkehrte, war sein Entschluss unumstößlich: Premierminister Radu Vasile mußte gehen. Kurz nach der Landung in Bukarest erklärte Präsident Constantinescu der Presse, was er von einer Regierung eigentlich erwarte: »Die Regierung sollte so strukturiert werden, dass Reformen schrittweise umgesetzt werden können«, diktierte er Reportern in die Mikrofone. Anschließend hatte der Präsident in seinem Cotroceni-Palast eine wichtige Gesprächsrunde zu Gast. Die vier Chefs der Regierungskoalition aus Christ- und Sozialdemokraten, Liberalen sowie der Partei der ungarischen Volksgruppe plauderten mit dem Präsidenten über die Möglichkeit, Premier Radu Vasile loszuwerden.

Begründet wurden die intensiven Bemühungen, einen Putsch von oben durchzuführen, mit der Unfähigkeit Vasiles, die der EU gefälligen Reformen zur Sanierung der rumänischen Volkswirtschaft durchzusetzen. »Die Minister haben einen guten Job gemacht, aber was fehlt, ist die nötige Koordination all dieser Anstrengungen. Dieser Zustand ist untragbar«, meinte Präsident Constantinescu in einer Ansprache im rumänischen Staatsfernsehen.

Tatsächlich steht es wirtschaftlich um Rumänien nicht zum Besten. Das Bruttoinlandsprodukt wird am Ende des Jahres höchstwahrscheinlich um vier Prozent gefallen sein, die Inflation erreicht 45 Prozent. Ein konsequenter Niedergang: Seit zehn Jahren schrumpft die noch größtenteils staatliche Wirtschaft stetig.

Das Land befindet sich in einer schizophrenen Situation. Um die Bedingungen für den gewünschten EU-Beitritt zu erfüllen, wurde die Wirtschaft teilweise liberalisiert. Doch kaum eine Branche ist auf dem Weltmarkt oder zumindest innerhalb der EU konkurrenzfähig. Werden ehemalige Staatsbetriebe privatisiert oder geschlossen, sind Massenentlassungen und soziale Unruhen meist unausweichlich. Die Revolte der Bergarbeiter zu Beginn des Jahres, die in der Bevölkerung große Sympathien genießen, führte Rumänien an den Rand des Ausnahmezustands.

Zudem arbeiten rund vierzig Prozent der Beschäftigten in einer oft auf Subsistenz-Niveau funktionierenden Landwirtschaft, die relative Mehrheit der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Im Winter gibt es nicht genügend Heizmaterial oder Warmwasser.

In Zukunft will die EU das Land daher finanziell stärker unterstützen. Im Gegenzug fordert die Union aber mehr Einfluss auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik des Landes. Und das hat durchaus Konsequenzen, wie die Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel in Helsinki demonstrierten. Intensiv redeten sie auf Präsident Constantinescu ein, die Zustände zu ändern, selbst »wenn es personelle Änderungen nötig macht«, wie aus der österreichischen Delegation am EU-Gipfel verlautet. Als vorauseilende Belohnung für den verfassungsrechtlich umstrittenen Schritt, den Premier fallen zu lassen, wurde Rumänien schließlich in die Gruppe jener Länder aufgenommen, die im nächsten Jahr mit der EU Beitrittsverhandlungen aufnehmen werden.

Aber nicht nur im fernen Helsinki war die Stimmung eher gegen Premier Radu Vasile gerichtet. Auch in Rumänien wurde er scharf angegriffen. Eine Gruppe von Künstlern platzierte zu Beginn der vergangenen Woche ganzseitige Inserate in den wichtigsten Tageszeitungen, in denen Präsident Constantinescu unterstützt wurde. Constantinescu, so heißt es in dem Offenen Brief, sei »ein Verbündeter des Westens«.

Dass Vasile in den vergangenen Wochen immer mehr unter Druck geriet, lag auch an seinem Unvermögen, den Streik der rumänischen Eisenbahner zu beenden. Diese verlangten von der Regierung eine siebzigprozentige Gehaltserhöhung. Unterstützt wurden die Forderungen von anderen Gewerkschaften. Der Arbeitskampf setzte der Wirtschaft des ohnehin darniederliegenden Landes schwer zu. Kurz vor dem EU-Gipfel musste die Kohle-Produktion in Rumänien wegen der mangelnden Transportkapazitäten eingestellt werden, die Elektrizitätsproduktion litt ebenfalls unter den Streiks.

Das Vorgehen Radu Vasiles bei den Verhandlungen mit den Streikenden ist symptomatisch für seinen Regierungsstil: Er verhandelte mit den Eisenbahnern, die Gespräche waren nach Aussagen beider Streitparteien »sinnvoll«, doch zu echten Ergebnissen kam es nicht.

Auch sein Rücktritt selbst war recht zauderhaft. Noch Stunden nach der Entlassung durch den Präsidenten saß der Premier trotzig in seinem Büro und weigerte sich beharrlich, die Entscheidung zu akzeptieren - obwohl alle fünf Koalitionsparteien und sämtliche Minister ihm das Vertrauen entzogen hatten. Erst am Montagabend räumte Vasile seinen Schreibtisch.

Der neue starke Mann heißt nun Mugur Isarescu. Von Präsident Constaninescu wurde der frisch gebackene rumänische Premier als »Spezialist in ökonomischen und finanziellen Angelegenheiten« beschrieben, der »sowohl in der Heimat als auch im Ausland große Achtung« genieße. Isarescu wurde 1990 zum Chef der rumänischen Zentralbank ernannt und gilt als politisch nicht besonders ambitionierter Technokrat. Ihm wird nachgesagt, bei der Durchführung von sozial schmerzhaften Reformen zwecks Konsolidierung der Wirtschaft unerbittlich zu sein.

Viel Zeit aber wird der Ex-Banker nicht dazu haben. Im nächsten Jahr finden in Rumänien Parlaments- und Präsidentenwahlen statt und die Popularität der Regierung ist am Boden. Dagegen gewinnen die Ex-Kommunisten um den ehemaligen Staatspräsidenten Ion Illiescu immer mehr an Zustimmung. Gleichzeitig verliert auch Präsident Constanescu erheblich an Unterstützung durch das Volk.

Wie die Rumänen die veritable Staatskrise nun aufnehmen, ist noch fraglich. Einerseits hat die Zögerlichkeit des Ex-Premiers Vasile zu einer noch weiteren Verunsicherung der Gesellschaft beigetragen, doch die Aussicht auf eine Beschleunigung der marktwirtschaftlichen Reformen wird das Volk auch nicht unbedingt beglücken. Dass die Arbeiter nicht lange fackeln, wenn es gilt, einen Streik anzuzetteln, ist ein weiterer Risikofaktor für die neue Regierung unter Isarescu.

Constantinescus Schritt kann unter diesen Bedingungen nur als Flucht nach vorne betrachtet werden. Der Präsident und sein Protegé Isarescu hoffen offensichtlich auf einen Popularitätsschub durch erfolgreiche Verhandlungen mit der EU und etwas Geduld durch die Bevölkerung. Die EU jedenfalls dürfte beglückt sein von der Lösungskompetenz des Präsidenten.