Links, zwo, drei, vier

In der deutschen Linken kursierten allerhand Theorien zum Krieg gegen Jugoslawien. Was ist von ihnen übriggeblieben? Ein Überblick.

Manchmal hat sogar die deutsche Linke Recht: Ein halbes Jahr nach dem Krieg gegen Jugoslawien hat sich einiges von dem bewahrheitet, was Teile der Linken schon im Frühjahr 1999 vorausgesagt hatten. Die Zahlen über Opfer im Kosovo waren zum Großteil Propaganda, und das Zeitalter der Vertreibungen in Europa ist noch nicht vorbei. Nach Kriegsende erfolgte die Vertreibung von Serben, Juden, Roma und Sinti aus dem Kosovo. Deutschland verschärfte seine Abschiebepraxis nach Ex-Jugoslawien. Trotzdem tritt die Linke auf der Stelle, macht einen Schritt zurück oder zeigt sich zerstritten.

Relativ konsequent hielt die PDS während des Krieges ihre Anti-Kriegs-Haltung durch, wobei sie sich auf die Kritik an der fehlenden Legitimation des Bombardements durch die Uno konzentrierte. Diese Beschränkung auf eine legalistische Argumentation stellte sich jedoch für die PDS als zentral heraus. Denn bald merkten Parteireformer wie Wolfgang Gehrcke, dass ein Bekenntnis zur Uno auch ein Bekenntnis zu deren Gewaltmonopol beinhalten müsste.

Kaum waren der Krieg vorbei und die nachfolgenden Landtagswahlen gewonnen, verwandelte die Bundestagsfraktion ihr »Nein zum Krieg« zu einem »Ja zu einer internationalen Polizeitruppe«. In Zukunft wird die PDS vorab ausgiebig darüber diskutieren, ob in anderen Weltgegenden militärisch eingegriffen wird oder nicht. Um auf Bundesebene im Jahr 2002 mitregieren zu können, könnte es bald neue Wahlslogans der PDS geben: »Manchmal brauchen Bomben Mut.«

Wie aber hat die außerparlamentarische Linke mitsamt ihren Theorien den Krieg überstanden? Was wurde z.B. aus der Annahme, Jugoslawien sei wegen einer geplanten Pipeline vom Kaukasus ans Mittelmeer bombardiert worden, Hintergrund des Krieges sei also wieder einmal der Kampf ums Öl? Diese Theorie wurde von Rainer Trampert und der Zeitschrift Ökolinx vertreten.

Naheliegend ist, bei einem derart ideell begründeten Krieg (»Krieg für Menschenrechte«) die materiellen Hintergründe zu suchen. Ziel der Auseinandersetzung sind nach Trampert am Ende die »kaspischen Rohstofflager«, in Kasachstan neben dem Öl auch Kohle, Erdgas, Chrom usw. Für diese Rohstoffe müssten die Transportwege gesichert werden: »Deshalb müssen dysfunktionale Regierungen, Ethnien, Banden oder Rebellen gekauft, zerbombt oder in Stellvertreterkriegen gestutzt werden« (Jungle World, 29/99).

Trampert kommt zu dem Schluss: »Die geostrategische Lage und der hegemoniale Wettstreit haben Jugoslawiens Schicksal besiegelt«. Warum jedoch wurde Jugoslawien bombardiert, wenn man stabile Verhältnisse für eine zu verlegende Pipeline schaffen wollte? Von Stabilität ist der Balkan weiter entfernt denn je. Aber auch wenn sich diese Theorie ein wenig monokausal anhört, die Ereignisse in Tschetschenien und der in Istanbul im November zwischen der Türkei, Georgien und Aserbaidschan vereinbarte Pipelinebau (unter Umgehung Russlands) deuten darauf hin, dass der Machtkampf um die »eurasische Landmasse«, wie Trampert ihn antizipierte, vielleicht längst im Gang ist.

Für Robert Kurz ging es in diesem Krieg weniger um die direkte Eroberung von Land oder Rohstoffen. Er analysierte als Kriegsgrund den »Ausgrenzungs- und Sicherheitsimperialismus«, der das Ziel habe, die Weltmarktverlierer von den Metropolen fernzuhalten (Jungle World, 19/99). Dafür sprechen die sofort nach Kriegsende eingeleiteten Abschiebungen von Kriegsflüchtlingen. Es liegt jedoch ein Quäntchen Beliebigkeit in der Erklärung, Milosevic sei als »Unperson nun schon einmal aufgebaut« gewesen, und damit die »globale Krise des warenproduzierenden Systems« nicht als solche erkannt werde, habe man eben Jugoslawien bombardiert. Krieg als gesellschaftlich notwendiger Schein, geführt, um Flüchtlinge abzuwehren, obwohl er sie selbst massenhaft produziert?

Weitere Theorien beschäftigten sich mit dem Zerfall des Ostblocks, mit der Ost-Erweiterung der Nato, selbst Chrom-Vorkommen im Kosovo wurden als Kriegsgrund halluziniert, der Angriff wurde zum Krieg um die Aufträge zum Wiederaufbau des Kosovo. Die Zeitung Analyse und Kritik (AK) sorgte sich vor allem um die Nato-Strategie und fragte: »Nato in Not?«

Allen Ernstes glaubte man, nach dem Ende des Systemwettbewerbs gerate die Nato strategisch »ins Trudeln«. Die Nato beweise im Kosovo nicht ihre Stärke, sondern offenbare ihre Schwäche (AK, 14. Mai 1999). Das Vereinigte Sekretariat der IV. Internationalen (Inprekorr, Nr. 330/99) dagegen solidarisierte sich gleich mit den Kosovaren und forderte den Einsatz von Nato-Bodentruppen. So rund ist die Welt.

Zum üblichen linken Anti-Amerikanismus gesellten sich Kosovophilie, Serbophilie, bzw. Serben-, Albaner- und Milosevic-Hass. Darüber entbrannte in der Linken ein heftiger Streit, der am deutlichsten in der Auseinandersetzung zwischen »Antideutschen« und »Antinationalen« zu Tage trat. Streitpunkte waren die Fragen, ob Jugoslawien von außen zerstört worden sei oder ob es auch innerjugoslawische Gründe dafür gegeben habe. Und vor allem: Wie halten wir's mit dem serbischen Nationalismus?

Während die »Antideutschen« den Beitrag Deutschlands an der Zerstörung Jugoslawiens betonten, machten die »Antinationalen« auch Milosevics nationalistische Politik verantwortlich, die Ethnisierung sozialer Konflikte in Jugoslawien. Das hatte Folgen für die Frage der Solidarität: Während die »Antinationalen« sich gegen alle Kriegsparteien wandten, sahen viele »Antideutsche« die Pflicht, sich mit den Opfern der deutschen Großmachtpolitik, in diesem Fall mit Jugoslawien, zu solidarisieren.

Das brachte ihnen den Vorwurf ein, Massaker serbischer Paramilitärs zu verharmlosen (Arranca, Nr. 18/99). Im Gegenzug erging der Vorwurf an die »Antinationalen«, sie hätten sich zum Krieg lieber gar nicht verhalten, insgeheim das Bombardement befürwortet und seien im Grunde so antinational wie Joseph Fischer (Bahamas, Nr. 29/99).

Die Befreiung der Deutschen von Auschwitz, die dieser Krieg mit sich brachte, war aus der Sicht der »Antinationalen« nur eine »willkommene Nebenwirkung« für die Deutschen (Arranca, Nr. 18/99). Tatsächlich aber stellt die Wiedererlangung der deutschen Kriegsfähigkeit eine der größten Zäsuren seit 1945 dar. Der Krieg gegen Jugoslawien und die Erledigung der deutschen Vergangenheit bedingen sich gegenseitig.

Die Berliner Republik hat den Krieg mit Auschwitz begründet, um Auschwitz, diesen »Hemmschuh« auf dem Weg zur Weltmacht, loszuwerden. Das war eines der wichtigsten Ziele der deutschen Nachkriegspolitik. Es war unrealistisch, wie es die »Antinationalen« taten, auf ein Bündnis mit jugoslawischen Oppositionellen zu setzen. Jugoslawien war schnell zerbombt und Auschwitz im Handumdrehen entsorgt. Nötig gewesen wäre vielmehr eine entschiedene Anti-Kriegs-Bewegung, die beim ersten Krieg mit deutscher Beteiligung seit 1945 nicht zu Stande kam. Wegen der deutschen Beteiligung?

Wenn auch unwahrscheinlich ist, dass die Deutschen die US-Amerikaner in diesen Krieg hineingezogen haben, wie Jürgen Elsässer behauptet (konkret, Nr. 5/99), Hermann L. Gremliza ist auf jeden Fall zuzustimmen, wenn er schreibt, Deutschland habe alle seine Kriegsziele erreicht, vor allem das eine: »dass Deutschland, ohne angegriffen oder auch nur bedroht zu sein, Krieg führen kann und darf, überall und aus jedem Grund« (konkret, Nr. 7/99).