Umzug im Hinterhof

Zum Jahresende ziehen die letzten US-Soldaten aus Panama ab. Während sich die Panamesen über die Rückgabe des Kanals freuen, sucht Washington nach neuen Formen der militärischen Präsenz in der Region.

Ami go home!« war lange Zeit die populärste Parole der panamesischen Graffiti-Sprayer. Bis zum Jahresende rollen nun die letzten 300 der einst 65 000 US-Soldaten tatsächlich die Stars-and-Stripes-Flaggen ein und fliegen nach Hause. Nach beinahe hundert Jahren Bestehen wird der größte militärische Stützpunkt der USA in Lateinamerika aufgelöst. Panama darf ab dem kommenden Jahr seinen Kanal selbst verwalten.

Während sich die Panamesen darüber freuen, dass sie nach jahrzehntelangen troubles mit der Weltmacht die »vollständige Souveränität« erlangen, macht sich das Südkommando der US-Armee daran, die militärische Präsenz im Hinterhof neu zu strukturieren. Denn über eines sind sich alle Beobachter einig: Der Rückzug der GIs aus Panama heißt keinesfalls, dass Washington das Interesse an der Region verloren hätte. Offizieller Grund für die Notwendigkeit einer militärischen Präsenz ist der mit großem Aufwand geführte »Kampf gegen die Drogen«. In der Region um Panama, insbesondere in Kolumbien, würde »alles Kokain und drei Viertel allen Heroins produziert, das in den Vereinigten Staaten konsumiert wird«, erklärte Benjamin Gilman, der Vorsitzende des Ausschusses für Internationale Beziehungen im US-Repräsentantenhaus, kürzlich.

Doch es gibt noch andere Ursachen: Die beiden links orientierten kolumbianischen Guerilla-Organisationen Farc und ELN sind die militärisch stärksten in Lateinamerika. Auch wollen die USA die Kontrolle über den geostrategisch noch immer bedeutsamen Kanal nicht ganz aufgeben. Zudem zeigt das mit sozialpopulistischen Tönen angereicherte nationalistisch-antiamerikanische Spektakeldes neuen Präsident Venezuelas und Castro-Verehrer Hugo Chávez, dass für die USA Kontrolle über lateinamerikanische Regierungen immer noch besser ist als Vertrauen in sie. Die Ironie im Jubel der Panamesen über ihre neu gewonnene »nationale Souveränität« besteht darin, dass Panama ohne den US-Interventionismus als Nation nie entstanden wäre. Gleichzeitig macht dies die Symbolik des Rückzuges aus, der momentan mit großen Gesten inszeniert wird.

Der ab 1901 amtierende US-Präsident Theodore Roosevelt wollte sein Land zur Weltmacht machen. Dazu gehörte die Kontrolle der Transportwege um den amerikanischen Kontinent. Panama war zu diesem Zeitpunkt noch ein Teil Kolumbiens, doch dessen Parlament sperrte sich gegen die Pläne eines Kanalbaus. Roosevelt begann daher, eine sezessionistische Bewegung zu unterstützen, die 1903 Panamas Unabhängigkeit proklamierte. Nur wenige Monate später begannen die neun Jahre währenden aufwendigen Bauarbeiten. Heute passieren jedes Jahr über 13 000 Schiffe den Kanal.

Der Vertrag über den Kanalbau sah eine Kontrolle der geostrategisch wichtigen und 16 Kilometer breiten Zone entlang der Wasserstraße durch die US-Armee vor. Doch mit den Jahren übernahmen die dort stationierten Soldaten weitere Aufgaben. Von Militärbasen am Kanal aus kontrollierte die USA ihren karibischen Hinterhof. In Panamas US-Basen wurden Staatsstreiche geplant, Aufstandsbekämpfungs-Operationen koordiniert und Geheim-Missionen vorbereitet.

In der berüchtigten School of Americas (SOA), die bis zu ihrem Umzug in die USA 1984 am Gatœn-See in Panama untergebracht war, trainierte die US-Armee seit dem Zweiten Weltkrieg 50 000 lateinamerikanische Offiziere in den Techniken der Aufstandsbekämpfung: Viele der führenden Junta-Generäle und Folterknechte der Militärdiktaturen der siebziger und achtziger Jahre wurden dort ausgebildet.

Heute schmerzt die US-Armee insbesondere der Verlust des Luftwaffenstützpunktes Fort Howard, »die Augen und Ohren« des Südkommandos der US-Armee, wie dessen Oberkommandierender Charles Wilhelm ihn einmal nannte. Hier starteten jährlich 15 000 Aufklärungsflüge. Per Radar wurde der gesamte Luftraum Lateinamerikas überwacht, bis die Station Anfang November von US-Botschafter Simon Ferro an die panamesische Präsidentin Mireya Moscoso übergeben wurde.

Dass sich die US-Armee überhaupt zurückzieht, hat mit den Ausläufern der revolutionären Welle zu tun, die den ganzen lateinamerikanischen Kontinent nach dem Sieg der kubanischen Revolution 1959 erfasste. 1968 putschte sich in Panama der linkspopulistische General Omar Torrijos an die Macht und vertrieb die alteingesessene, mit den USA verbundene Oligarchie. Er forderte den Abzug der US-Truppen sowie die Übertragung des Kanals und wurde dabei von weiten Teilen der Bevölkerung unterstützt.

Da die politische Lage zu dieser Zeit in ganz Zentralamerika explosiv war, warnte Henry Kissinger im US-Kongress vor einem möglichen Guerilla-Krieg, falls die USA nicht auf die Forderungen eingingen. Gegen den Widerstand der Konservativen schloss der demokratische Präsident Jimmy Carter am 7. September 1977 einen Vertrag, der die USA bis Ende 1999 zum Rückzug verpflichtet - das so genannte Torrijos-Carter-Abkommen.

Einen letzten ernsthaften Versuch, die US-Militärpräsenz doch noch über das Jahr 2000 hinaus zu verlängern, unternahm die Clinton-Administration 1995. Sie schlug vor, ein Drogenbekämpfungs-Zentrum mit 3 000 US-Soldaten in Fort Howard einzurichten. Dieses sollte zwar unter der Führung der US-Armee stehen, aber auch Kontingente lateinamerikanischer Armeen einbeziehen. Doch am Ende scheiterte auch dieses Vorhaben am anhaltenden Widerstand Panamas, 1998 wurden die Verhandlungen abgebrochen. Die extreme Rechte im US-Kongress und Senat hält den Verzicht der Demokraten bis heute für ein unentschuldbares Vergehen.

Den Verrat an den Interessen der »nationalen Sicherheit« muss sich die Clinton-Administration dennoch nicht vorwerfen lassen. Als Ersatz für Fort Howard wird im Dezember eine neue Station in Puerto Rico seine Aufgabe übernehmen. Gleichzeitig werden weitere Stützpunkte aufgebaut, so auf den Karibikinseln Aruba und Cura ç ao wie auch im ecuadorianischen Manto. Nach Presseberichten sollen Elite-Truppen aus den USA von der Basis Iquitos (Peru) und Coca (Ecuador) aus agieren. In Coca sollen US-Ausbilder auch brasilianisches und kolumbianisches Militär in den Techniken des Dschungelkampfs drillen.

Tatsächlich kommt der Rückzug aus Panama für die US-Militärs zu einem ungünstigen Zeitpunkt. General Charles Wilhelm warnte kürzlich von einer »Balkanisierung« Kolumbiens, die »eine Bedrohung für die ganze Region« darstelle. Die US-Militärhilfe für die kolumbianische Armee wurde in den letzten drei Jahren verdreifacht; nach Israel und Ägypten ist das Land jetzt der weltweit drittgrößte Empfänger. Außerdem werden Militärberater nach Kolumbien abkommandiert. Nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters sollen es 300 sein, Kolumbiens Armeechef Fernando Tapias spricht von »einem runden Dutzend«. Im Stützpunkt Tolemaida in der Nähe der Hauptstadt Bogotá bilden Militärberater derzeit etwa tausend Soldaten angeblich zur Drogenbekämpfung aus. Im Dezember sollen sie aber nach Tres Esquinas in den Süden verlegt werden, einer Region, wo die Farc aktiv ist.

Eduardo Pizarro, Direktor des Instituts für politische Studien und internationale Beziehungen der Nationalen Universität Kolumbiens, hält sogar eine offene »militärische Intervention der USA in Kolumbien« für möglich, »eventuell als Blauhelm-Mission der Uno«. Eine Intervention stünde Pizarro zufolge auf der Tagesordnung, wenn der kolumbianische Staat kollabiere, die Guerilla ihren Einfluss ausweiten könnte oder wenn der Konflikt die Region so instabil werden ließe, dass dadurch das Erdöl in Venezuela oder der Panama-Kanal gefährdet würden.

Es ist nicht verwunderlich, dass zumindest »der US-Geheimdienst verzweifelt nach Wegen sucht, seine Präsenz in Panama im nächsten Jahrhundert aufrecht zu erhalten«, wie der oppositionelle panamesische Abgeordnete Miguel Bush im November meinte. Selbst Präsidentin Mireya Moscoso gab Mitte November zu, dass ihre Regierung einen Vertrag über eine Kooperation mit der CIA aushandle. Die Opposition hält dies für einen eklatanten Bruch des Carter-Torrijos Abkommens.

Falls alle Stricke reißen, gibt es für die USA immer noch einen Notanker: Ein »Neutralitätsvertrag«, der mit dem Carter-Torrijos Abkommen 1977 abgeschlossen wurde, räumt den USA auch ab dem 1. Januar 2000 das Recht auf eine Intervention ein, wenn die »Neutralität« des Kanals gefährdet ist.

In Panama stehen momentan jedoch andere Probleme im Vordergrund. Vor allem die Weigerung der USA, für die immensen Umweltschäden aufzukommen, die durch ihre Truppen angerichtet wurden, verärgert die Öffentlichkeit. Wegen des tropischen Klimas, das dem in Südostasien gleicht, benutzte die US-Armee ihre Basen in den sechziger und siebziger Jahren als Manöverfeld für den Einsatz von B- und C-Waffen, die später in Vietnam eingesetzt wurden.

Der Verdacht, dass auch mit dem dioxinhaltigen Entlaubungsmittel Agent Orange experimentiert wurde, konnte nie ausgeräumt werden. Auch sollen Uranmunition und Senfgas eingesetzt worden sein, wie Rick Stauber ermittelte, der ursprünglich für das US-Verteidigungsministerium eine Bestandsaufnahme durchführen sollte. Er wechselte auf die panamesische Seite, als die US-Behörden versuchten, seine Ergebnisse zu deckeln.

Panama fordert von den USA 500 Millionen Dollar Entschädigung, um die Umweltschäden beheben zu können. Seit dem begonnenen Abzug der Truppen sind bereits 20 Personen bei Unfällen mit Altmunition getötet wurden. Noch liegen Tausende alte Granaten im Dschungel. Doch die US-Regierung weigert sich beharrlich zu zahlen, und die Aufräumarbeiten selbst aufzunehmen, sagte kürzlich ein Pentagon-Sprecher, »überschreitet selbst unsere technischen Möglichkeiten«.