Es muss nicht immer Wodka sein

Die Ausstellung »After the Wall« im Moderna Museet Stockholm versöhnte die Osteuropäer beim Schwedenbier.

Kleiner Fehler, große Wirkung. Die Einladungskarte zur Ausstellung »After the Wall« im Moderna Museet Stockholm verzeichnet den Grenzverlauf Osteuropas von den baltischen Staaten über Polen, die DDR, Tschechien und Ex-Jugoslawien bis zu den neuen Nationalstaaten aus der Erbmasse der Sowjetunion. Doch die Karte enthält einen Fehler, der auf der Pressekonferenz zum kleinen Politikum wurde: Transsilvanien, das seit 1918 völkerrechtlich zu Rumänien gehört, wurde Ungarn zugeschlagen, das diese Provinz, wo eine ungarische Minderheit lebt, für sich beansprucht.

Museumsdirektor David Elliott entschuldigte den Fauxpas mit Versäumnissen bei der Korrektur, was die angereiste Schar rumänischer Journalisten und Künstler nicht sonderlich beruhigte, fürchten sie doch, dass es auch in Transsilvanienein zweites Kosovo geben könnte.

In Transsilvanien leben rund zwei Millionen Ungarn und einige Zehntausend Deutschstämmige und Serben. Die traditionell guten Beziehungen zwischen Rumänien und Serbien, die über den gemeinsamen Grenzverlauf der Donau gute Geschäfte während des UN-Embargos machten (Öl, Waffen, Lebensmittel), wurden belastet, nachdem Rumänien Nato-Jets das Überfliegen des rumänischen Luftraums gestatteten. Staatspräsident Emil Constantinescu versprach sich davon zügige Verhandlungen über die Aufnahme Rumäniens in die Nato und in die EU. Doch außer einem warmen Händedruck hatten die Amerikaner nach dem gewonnenen Kosovo-Krieg nichts zu bieten. Weil Ungarn fest in der Nato-Ostflanke integriert ist, fürchten viele Rumänen eine Annexion Transsilvaniens. So können irrationale Ängste handfeste politische Gestalt annehmen.

Doch der Chefkuratorin der Ausstellung »After the Wall«, Bojana Pejic, revanchistische Absichten zu unterstellen, nur weil sie die Kritik der Rumänen als paranoid bezeichnet hatte, ist natürlich Unsinn. Und doch ist dieser kleine Konflikt die Blaupause eines weitaus größeren Problems, der derzeitigen psycho-politischen Ost-West-Situation, die von einem dramatischen Misstrauens- und Kaufkraftgefälle geprägt wird.

Zehn Jahre nach dem Mauerfall den Status quo im Post-Kommunismus zu diagnostizieren, ist ein spekulatives und politisch riskantes Unternehmen, das der Ausstellung dort gelingt, wo sie eine beunruhigend-realistische Formensprache bevorzugt, wie in den Fotos Boris Mikhailovs, in der Wandinstallation des rumänischen Künstlers und politischen Kolumnisten Dan Perjovschi oder im Video des Albaners Anri Sala, der seine Mutter mit ihrer stalinistischen Jugend konfrontiert.

Was von vornherein westkompatibel erscheint, weil es Politisches ornamental behandelt, wie AES, Frank Thiel oder Heger/Dejanov, eignet sich kaum zu einer Bestandsaufnahme der Ost-West-Verhältnisse, die Bojana Pejic nach folgenden Kriterien vorgenommen hat: »Social Sculpture«, »Re-inventing the Past«, »Questioning Subjectivity« und »Genderscapes«. Die Ableitung des Post-Kommunismus in vier Kategorien wurde medial aufgefächert: Ausstellung, zweibändige Standardpublikation, Symposium und Filmprogramm.

Es ist das wohl ambitionierteste Projekt zum Thema, das es je gab. Das Eröffnungswochenende Mitte Oktober mit Performances, Diskussionen und Disko zentrierte die Peripherie. Hunderte von Gästen aus Osteuropa und Dutzende aus Westeuropa verwandelten das friedliche Stockholm in einen Moskauer Marktplatz. Die Russen kommen - na endlich!

Dass eine solche Ausstellung, die nicht repräsentativ bilanzieren, sondern die Situation im Osten prospektiv darstellen will, nicht in Deutschland und speziell in Berlin stattfindet, das doch immer wieder gern auf gemauerte Vergangenheit verweist, ist verwunderlich. Übernahmeverhandlungen mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz endeten jedenfalls ergebnislos.

Ach so. Das Missverständnis der falschen Grenzziehung zwischen Rumänien und Ungarn wurde dann doch ausgeräumt - bei einigen Gläsern Schwedenbier (12 Mark, 0,3 Liter, 2,8 Prozent Alkohol). Es muss nicht immer Wodka sein.

»After The Wall. Art and Culture in Post-Communist Europe«. Moderna Museet Stockholm. Noch bis 16. Januar.