Überdosis Ai-lof-ju

Die Siebziger aus der Sicht des schwulen Underground. Liebes- und Machtspiele in Zürich schildert der Schweizer Spielfilm »Der Fögi ist ein Sauhund«.

Die erste Liebe soll Verführung sein. Dich an Grenzen bringen, die du nie gekannt hast, dich mitten hineinreißen in einen Mahlstrom geiler und betörender Akte, die du nie begreifen wirst, bis es vorbei ist. Das ist sicher. Wenn es vorbei ist, wirst du vielleicht erwachsen. Aber dann bist du allein. Auch das ist sicher.

Auf diese Sätze lässt sich auch die Geschichte von Beni (Vincent Branchet) und Fögi (Frédéric Andrau) bringen: hier der Rocksänger Fögi, Szene-Idol im Zürich der siebziger Jahre, mit halblanger schwarzer Mähne, paillettengeschmückter lasziver Bühnenshow, dort sein größter Fan, der 16jährige Vorstadtbub Beni, der sich erst als Kabelträger, Roadie und schließlich mit einem rührenden Liebesbrief in dessen Nähe manövriert.

Die naive Zeichnung eines langmähnigen Hundes, die Beni dem Brief beifügt, wird später zum Leitmotiv von Hingabe und Verschmelzung. Einmal der Hund des geliebten Herrchens sein, gefügig, animalisch, lieb. Vorläufig.

In Kammerspiel-Manier findet die entscheidende Handlung des Films in einer engen Wohnung statt - neben der Bühne, von der aus Fögi mit seinen Minks die Hippie-Meute zum Ausflippen bringt: Küche, Wohn- und Schlafzimmer, Klo. Gelbe Wände, ein Batik-Teppich mit Ying- und Yang-Symbolen, rote und schwarze Türrahmen, hier ein notorischer Reispapierballon, da ein Filmplakat von Andy Warhols »Flesh« über dem Bett. Damit ist der Rahmen abgesteckt. Abstraktion anstelle von Requisiten-Bombast und überbordendem Zeitkolorit.

Wenn sich in diesem Ambiente Beni und Fögi das erste Mal lieben, witzelt Fögi: »Du schnaufst wie ein Ochse beim Vögeln« und bringt seinen schüchtern lächelnden Liebhaber in Verlegenheit. Aber die Party geht weiter, und schon bald wird klar, dass solche ironischen Distanzierungsversuche bei dem verliebten Beni nicht funktionieren.

Inmitten von Flokati-Westen, Afro-Perücken und indischen Stirnbändern nimmt die Liebesgeschichte ihren Lauf, genährt von Benis Anhänglichkeit einerseits und Fögis theatralischer Verführerpose auf der anderen Seite, untermalt von Lou Reeds »I'm Waiting For My Man«. Gerade die Selbstverständlichkeit, mit der die schwule Liebesgeschichte erzählt wird, und die häufig eingesetzten Handkamera, die die Bewegungen der Figuren nachzeichnet und nicht länger als notwendig das scheue Lächeln von Vincent Branchet einfängt, machen den Film von Marcel Gisler so anziehend.

Der atmosphärische Hintergrund von Sex, Drugs & Rock'n'Roll in Zürich anno 1973 ist sekundär, alles konzentriert sich auf eine schwule amour fatale ohne Aufklärungsattitüde, die, gerade weil sie so anrührend schlicht beginnt, ungehindert durch Moral in Verhängnis umschlägt.

Ziemlich bald wird der als schwuler Groupie angetretene Beni für den ein paar Jahre älteren Fögi zu einer Last. Als sich Beni weder durch andere Bettgeschichten Fögis noch durch einen Rausschmiss abschrecken lässt, sondern im Gegenteil erneut an die Tür klopft, steigert sich die Beziehung zu einem spannungsreichen Spiel von Unterwerfung und Dominanz. Peu ˆ peu akzeptiert Fögi die Unbedingtheit von Benis Liebe und seine fordernde Unterwürfigkeit - und damit auch seine eigene Zuneigung zu ihm.

In der entscheidenden Szene des Films rollt sich Beni - von seinem Liebhaber mitleidlos aus dem Bett geschmissen - am Heizkörper auf einer Decke zusammen wie ein Hund. Bereit, jede wie auch immer geartete Regung von Fögi als Zuneigung zu werten. Sei es die Milchflasche, die Fögi über ihm ausgießt, was fast so aussieht, als würde er ihm ins Gesicht pissen, oder das Stückchen Shit, nach dem er Beni wie ein braves Tierchen hochhüpfen lässt. Beide haben ein Ritual gefunden, das bald zur Gewohnheit wird und sie auf fatale Weise aneinander bindet. Wenn es so etwas wie Unschuld gäbe, könnte man den Beginn dieser Verstrickung so nennen.

Marcel Gisler denunziert seine Figuren nicht, es geht ihm nicht um Sozialkritik oder einen moralisierenden Blick auf den Strich, auf dem Beni schließlich das Geld für sich und den Freund verdient, als dieser den Zenit seines Erfolgs überschritten hat, sondern um die psychologische Entwicklung seiner Figuren.

Trotz aller Drastik und der sadomasochistischen Untertöne der Liebesbeziehung ist der Film alles andere als ein Melodrama, wie es etwa Roman Polanskis »Bitter Moon« vorführte. Im Gegenteil: Benis Ausflüge ins Stricher-Milieu oder als Gogo-Boy auf Postkarten werden ironisch abgehandelt. Genauso wenig appelliert der Film an gesellschaftliche Akzeptanz, sondern erzählt von der Sehnsucht, in der Liebe eine endgültige Lösung zu finden. Gerade in den diffizilsten Szenen verzichtet der Film darum auf einen Soundtrack und arbeitet nur mit Originalgeräuschen.

Irgendwann probiert Beni ein Hundehalsband an und trägt es von nun an Tag und Nacht wie eine Trophäe. Nach und nach wird klar, dass er der eigentliche Held der Story ist, und Vincent Branchet verkörpert ihn mit einer Dünnhäutigkeit und gleichzeitigen Toughness, die an River Phoenix in Gus van Sants »My Private Idaho« erinnert.

Realistisch und zurückgenommen schildert die Kamera von Sophie Maintigneux das sich verwirrende Beziehungsgeflecht. Unaufgeregt und teilweise fast dokumentarisch tauscht sie die Perspektive zwischen Fögi und Beni, beinahe artistisch in Bewegung um die Figuren. Häufig sind nicht mehr als zwei Personen im Bildausschnitt zu sehen. Die Kamera konzentriert sich auf die Beziehungen ˆ deux. Nahaufnahmen der Gesichter fungieren dabei als Porträts der Figuren für einen jeweiligen Abschnitt des Films - wie Kapitelüberschriften.

Mitte der achtziger Jahre stieß der in Berlin lebende Schweizer Regisseur Marcel Gisler ( »Tagediebe«, 1985; »Schlaflose Nächte«, 1988; »Die blaue Stunde«, 1992 ) per Zufall auf das in Berner Mundart geschriebene Buch »Ter Fögi ische souhung« (1979) von Martin Frank. Im Idiom des Schweizer Heimatfilms der Vierziger und Fünfziger verfasst, wurde das als »Säulibuech« verschrieene Werk bald zu einem Mundartklassiker und Kultbuch. In konsequenter Kleinschreibung und ohne Rücksicht auf orthografische Regeln lässt der 1950 in Bern geborene Autor den Schüler und Ich-Erzähler Beni lakonisch über die »schtouns« (Rolling Stones), seine Liebe zu Fögi (»ai lof ju«), erste Drogenexperimente (»mi ersch trip«) und die Minks (»zganze konzärt isch eifache hammer xi«) schwadronieren.

Beni, das wird klar, hat nicht nur J.D. Salinger gelesen, er schreibt auch so ähnlich - der »Fänger im Roggen« auf Bärner Släng - respektlos, und wenn es um Sex geht, lieber explizit bis versaut als zahm. Er sei, sagt Frank, dank LSD sowieso unfähig gewesen, Hochdeutsch zu schreiben. Ein kalkulierter Witz, denn es folgten noch zwei Werke in Mundart, darunter der von Tom of Finland illustrierte Roman »La Mort de Chevrolet« (1984).

Der »Fögi« galt lange Zeit als nicht verfilmbar, zumal wegen der Sprache. Auch Marcel Gisler ging bei den ersten Überlegungen zum Script mit Co-Autor Rudolf Nadler zunächst noch von einer mundartsprachlichen Fassung aus. Allerdings war es schwierig, die geeigneten Darsteller in der Schweiz zu finden, sodass man sich nach monatelanger Suche und exzessivem Casting für die französischen Schauspieler Vincent Branchet und Frédéric Andrau entschied - und der Film in Französisch mit deutschen bzw. englischen Untertiteln gedreht wurde.

Eine pragmatische Entscheidung, die der Verfilmung nicht geschadet hat. Denn Marcel Gisler und seiner Crew ist es gelungen, die antibürgerliche und widerständige Haltung des Sprachkonzepts von Martin Franks Buch in Bilder und filmische Handlung zu transponieren. Die französische Übersetzung der Dialoge und der eingesprochenen Kommentare Benis tun dem manchmal altklug-schnöseligen Tenor des Originals keinen Abbruch.

Zwar ist die Rahmenhandlung weitgehend mit der des Buches deckungsgleich, aber die Außenbezüge wie Familie und Vergangenheit der Figuren sind auf ein Minimum reduziert. Alles konzentriert sich auf die rapide Entwicklung in der Beziehung der zwei Hauptfiguren. Im Gegensatz zum Roman allerdings rebelliert Beni deutlicher gegen die Versuche Fögis, ihre Liebe und schließlich beide mit einer Überdosis auszulöschen.

Die friedliebenden Ideale und Utopien der Siebziger sind zwar anwesend, aber nur, sofern sie der LoveStory dienen. »Der Rockstar als Projektionsfläche wie in den Siebzigern und Achtzigern existiert nicht mehr«, so Marcel Gisler. Eine zeitliche Verlegung in die Gegenwart stand auch aus anderen Gründen nicht zur Debatte.

»In den Neunzigern wäre aus Fögi wahrscheinlich ein Techno-DJ geworden. Ausschlaggebend war die Möglichkeit zur Stilisierung, die die Zeit-Insel der Siebziger bot. In einer Neunziger-Version hätte Aids eine metaphorische Bedeutung erhalten und dem Film eine andere Richtung gegeben. Aids verweist auf die Endlichkeit von Liebe - die Sehnsucht von Fögi und Beni dagegen auf Unendlichkeit und Erlösung, nach unbegrenzter Freiheit.«

»Der Fögi ist ein Sauhund«. Schweiz / Frankreich 1998; R: Marcel Gisler; B: Marcel Gisler/Rudolf Nadler; K: Sophie Maintigneux; D: Frédéric Andrau, Vincent Branchet . Start: 6. Januar