Der russische Tschetschenien-Feldzug gerät ins Stocken

Chaos bei den Generälen

Im Tschetschenien-Krieg deutet sich eine Wende an. Die russischen Truppen kommen in Grosny kaum voran. Am 25. Dezember hatten sie ihren »finalen Sturmangriff« auf die tschetschenische Hauptstadt begonnen, aber der Widerstand der tschetschenischen Freischärler ist härter als erwartet. Am vergangenen Donnerstag gestand der russische Generalstab nach Angaben von Le Monde erstmals hohe Verluste ein - 48 Tote in weniger als zehn Tagen - und sprach von einer »komplexen Situation« - wegen zahlreicher Operationen der tschetschenischen Freischärler in den Gebieten, die angeblich voll unter russischer Kontrolle stehen.

Im russischen Militär scheint es drunter und drüber zu gehen: Am vergangenen Freitag verlautete in Russland, die Kommandeure der Ost- und der Westfront, die Generäle Gennadi Troschew und Wladimir Schamanow, seien von ihren Stellvertretern ersetzt und auf Posten außerhalb der Kriegszone verbannt worden. Die Strategie der schweren Bombardierungen scheint an ihre Grenzen zu stoßen, schlussfolgerte Le Monde. Aber am Montag erklärte nach Angaben von dpa der russische Oberbefehlshaber im Kaukasus, Kasanzew, Troschew wie Schamanow blieben doch auf ihren Posten.

Ebenfalls am Freitag erklärte Russland eine Unterbrechung der Luft- und Artillerieangriffe auf Grosny. Der Überbringer der Nachricht, General Troschew, erklärte sie ausgerechnet mit der Sorge um die Zivilbevölkerung. Die sei »ökologischen Gefahren« ausgesetzt, weil die tschetschenischen Rebellen giftige Chemikalien einsetzen würden. In der umkämpften Stadt sollen noch mindestens 20 000 Menschen hausen - zumeist in Kellern oder unterirdischen Zufluchtsorten. Der russische Interims-Präsident Wladimir Putin bemühte u.a. das Ende des Ramadan und das orthodoxe Weihnachtsfest als Erklärung für die vorübergehende Unterbrechung des Bombardements auf Grosny. Die währte ohnehin nicht lange: Bereits am Sonntag wurde weitergebombt.

Und die Initiative scheint auf die mobileren und wendigeren tschetschenischen Truppen überzugehen; die russische Seite räumte am Wochenende ein, dass es zu schweren Kämpfen gekommen sei. Mowladi Ugudow, ein Sprecher der aus islamistischen Warlords und Präsident Aslan Maschadow bestehenden tschetschenischen Führung, jedenfalls erklärte zum kurzfristigen Bombardierungsstopp schon frohlockend: »Sie sind dabei, die russische Gesellschaft auf eine neue Niederlage vorzubereiten.«

Während sich der Krieg in Tschetschenien in die Länge zieht, ist in den USA ein Streit zwischen Republikanern und der Clinton-Administration in Gang gekommen, der das widersprüchliche Verhältnis des Westens zum ehemaligen Erzfeind aus dem Kalten Krieg beleuchtet. William Clinton schrieb in einem Essay im Time Magazine von »Russlands Recht, gegen gewalttätige tschetschenische Rebellen vorzugehen« und seinem »Versuch, Grosny zu befreien« - offenbar mit dem Ziel, eine weitere Destabilisierung Russlands zu vermeiden. Demgegenüber plädieren die republikanischen Falken dafür, die Schwäche Russlands jetzt zu nutzen - u.a. Druck auf Russland auszuüben, damit es dem neuen US-Raketenabwehrsystem zustimmt. Ein weiterer verlorener Tschetschenien-Krieg könnte schließlich auch den westlichen Einfluss am ölreichen Kaspischen Meer erweitern.

Jenseits dieser geostrategischen Erwägungen setzt der russische Linke Boris Kagarlitsky auf eine andere, erfreulichere Perspektive: »Russische Reformen und Revolutionen haben ihre Ursprünge immer in verlorenen Kriegen gehabt, und es ist unwahrscheinlich, dass die tschetschenische Kampagne von 1999/2000 eine Ausnahme macht«, schrieb er in der australischen Wochenzeitung Greenleft Weekly. »Eine Niederlage in dem Krieg könnte als ein Wendepunkt für das gesellschaftliche Bewusstsein wirken, indem die Leute den Übergang von Apathie zu Protest und Widerstand machen.«