Durch die kalte Küche

Mit der baldigen Genehmigung von Zwischenlagern wird den Strom-Konzernen der Atom-Konsens schmackhaft gemacht.

ralf perbandt

Der Reaktor in Stade-Bassenfleth gehört zu den ältesten Atom-Meilern der Bundesrepublik. Schon seit Beginn der neunziger Jahre steht er zur Disposition: Altersbedingte Versprödungen und Verschleiß-Erscheinungen am eingesetzten Stahl spielen dabei jedoch kaum eine Rolle. Der Reaktor ist schlicht nicht konkurrenzfähig gegenüber den AKW neuerer Baulinien. Selbst ein modernes Gaskraftwerk könnte preiswerteren Strom produzieren.

Und die Betreiber des Kraftwerks haben ein weiteres Problem: Die Abklingbecken für abgebrannte Brennelemente sind voll. Bis Mitte Februar müsste ein Castor-Transport in die französische Wiederaufbereitungsanlage La Hague stattfinden, um Abhilfe zu schaffen. Doch wann die Transportgenehmigungen in Deutschland und in Frankreich erteilt werden, ist von der Wiederaufnahme der Konsensgespräche zwischen Bundesregierung und Atom-Betreibern abhängig, deren Termin noch nicht feststeht. Damit das potenziell zu opfernde AKW bei den Konsens-Gesprächen weiterhin als Verhandlungsmasse der Betreiber dienen kann, muss deshalb eine Zwischenlösung gefunden werden: Ein Zusatzgestell im Becken für die abgebrannten Brennelemente hat Preussen Elektra beim Umweltministerium in Hannover bereits beantragt. Bis Mitte Januar, so eine Ministerums-Sprecherin, soll entschieden sein, ob dies der im Atomgesetz geforderten »wesentlichen Änderung« entspricht. Sollte das der Fall sein, könnte sich die Regierung Zeit mit der Prüfung des Antrags lassen: Zunächst müsste die Frage der Öffentlichkeitsbeteiligung geprüft werden.

Was ein echtes Plus für die Regierung in den Verhandlungen mit der Energiewirtschaft ist. Doch in Hannover sind noch weitere Genehmigungen für Atomanlagen fällig, die bei den Konsensgesprächen ebenfalls zur Debatte stehen: die Inbetriebnahme der Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben und die Genehmigung des Atommüllendlagers Schacht Konrad in Salzgitter. Hier schieben sich der niedersächsische Umweltminister Wolfgang Jüttner (SPD) und sein grüner Berliner Kollege Jürgen Trittin die Verantwortung zu, um so den Schadensersatzforderungen der Stromkonzerne zu entgehen. »Trittin ist an Doppelzüngigkeit nicht zu überbieten«, schaltete sich letzte Woche der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) in den Streit ein: »Erst setzt er sich auf die Schienen, und dann will er uns selbst einen Castor schicken.« Wer zuletzt lacht, lacht am besten - in diesem Fall die Energiewirtschaft.

Aber nicht nur dem AKW in Stade droht der so genannte Entsorgungsnotstand, weil keine Brennelemente transportiert werden können. Auch in Biblis, Philippsburg und Neckarwestheim droht noch in diesem Jahr die Still-Legung »durch die kalte Küche« - wie Atomexperten das notgedrungene Abschalten bezeichnen.

So werden die gegenseitigen Drohungen von Betreibern und Regierung sowie die aufgeschobenen Genehmigungen im Konsenspaket noch für manche Überraschung sorgen. Auf das rot-grüne Angebot von 30 Jahren Reaktorlaufzeit - flexibel zu handhaben zwischen rentablen und weniger rentablen AKW - will die Atom-Wirtschaft jedenfalls noch einmal drauflegen: Fünf Jahre mehr sollen es schon sein. Und: »Jede Vereinbarung zu einer Begrenzung der Kernkraftnutzung erfordert zwingend einen Zusatzvertrag, in dem sich die öffentliche Hand für die gesamte zu Grunde liegende Restnutzung der Anlagen verpflichtet, einen von willkürlichen Auflagen der Behörden freien, geordneten Reaktorbetrieb zu gewährleisten«, legte Klaus Werthel, Sprecher der Energie Baden-Württemberg (EnBW) die Latte für einen Konsens noch höher. Bei Trittin nennt sich das nur anders: »kalkulierbarer Betrieb gegen Befristung des Betriebs«.

Unabhängig davon, welches Ergebnis bei den Konsensgesprächen herauskommen wird - als Strategie für einen Atom-Ausstieg sind die Gespräche ungeeignet. »Konsensgespräche helfen allein der Wirtschaft, den Ausstieg auf die lange Bank zu schieben, und binden die Regierung in die Lösung des ungelösten Entsorgungsproblems ein«, kritisierte denn auch Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Mit der Schwerpunktsetzung von Rot-Grün auf die Entschädigungsfreiheit des Atomausstiegs wird einer »Politik der Nadelstiche«, die die Investitionssicherheit wirklich beeinträchtigen könnte, der Boden entzogen: Durch die zügige Genehmigung von Zwischenlagern an den AKW-Standorten selbst - allein im Dezember 1999 reichten die Betreiber neun Anträge beim Bundesamt für Strahlenschutz ein - verschlechtern sich die Bedingungen für einen Ausstieg. »Ohne Castor keine Blockade?« fragen deshalb seit Monaten Anti-Atom-AktivistInnen besorgt.

Dabei betreffen die Konsensgespräche nicht einmal alle Bereiche der Atomindustrie. So gehören die Urananreicherung im westfälischen Gronau und die Brennelementeherstellung im niedersächsischen Lingen zu den expandierenden Unternehmen der längst internationalisierten Branche. Erst jüngst genehmigte die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen die Kapazitätserweiterung der Urananreicherungsanlage (UAA) um mehr als 50 Prozent, eine weitere Vergrößerung dürfte folgen.

Grund genug für Proteste wie die im Dezember, als in Gronau etwa 40 Menschen die Blockade eines von mehr als 100 jährlichen Transporten gelang: Bei der Anreicherung des Urans fällt in großem Maßstab auch abgereichertes Uran an, das im militärischen Bereich als panzerbrechende Waffe Verwendung findet. Solche Waffen mit »depleted uranium« wurden sowohl im Golfkrieg 1991 als auch im Kosovo-Krieg von der US-Armee eingesetzt. In Westeuropa existiert bislang noch keine Anlage zur Verarbeitung des Materials. Die mögliche Endlagerung abgereicherten Urans made in Gronau auf den künftigen Kriegsschauplätzen von Bundeswehr und Nato ist während der anstehenden Konsensgespräche aber ohnehin kein Thema.