Lenkwaffen für den Frieden

Die Verhandlungen zwischen Israel und Syrien bieten Chancen, den seit 52 Jahren bestehenden Kriegszustand zu beenden - trotz vieler Widerstände.

Frieden? - Ja, schon. Israel will. Syrien wohl auch. Aber wie? Die derzeitigen syrisch-israelischen Friedensverhandlungen in Shepherdstown im US-Bundesstaat Virginia sind der dritte Versuch, eine Einigung zwischen beiden Ländern zu erreichen. Bislang aber sind alle US-Vermittlungsversuche an der ablehnenden Haltung beider Seiten gescheitert. Dabei gelten als Ursache eher grundsätzliche Differenzen und gegenseitiges Misstrauen als Uneinigkeit über die konkreten Verhandlungspunkte: den Rückzug Israels von den Golan-Höhen im Austausch für Sicherheitsgarantien Syriens.

So blieb Syrien, mit Ausnahme des Irak, die letzte regionale Hegemonialmacht im Nahen Osten außerhalb jener Pax Americana, deren Schaffung eines der Ziele US-amerikanischer Außenpolitik seit 1991 darstellt. Dies soll, glaubt man den Beteiligten, nun anders werden. Und tatsächlich deutet die bisherige Entwicklung der Gespräche darauf hin, dass es im dritten Anlauf gelingen könnte, den seit 52 Jahren zwischen Israel und Syrien bestehenden Kriegszustand zu beenden.

Ein derartiges Friedensabkommen und - in der Folge - ein weiteres mit dem Libanon, den Syrien seit 1991 kontrolliert, würde Israel immense Vorteile bieten: Der seit 18 Jahren währende militärische Konflikt um den von Israel besetzten Südlibanon wäre beigelegt. Damaskus würde seine Unterstützung militanter anti-israelischer Organisationen einstellen und - so die Hoffnung - seine engen Kontakte mit dem Iran lockern. Dies wissen auch die Mullahs in Teheran: Seit Wochen demonstrierten dort jeden Freitag mehrere Tausend Menschen, unter ihnen meist auch das geistliche Oberhaupt Ali Khamenei und Präsident Mohammad Khatami, unter dem Motto: »Nieder mit Israel«.

Als Gegenleistung für die Aufgabe des Golan versprechen die USA Israel eine milliardenschwere Hilfe zur kompletten Modernisierung der Streitkräfte. Als Erfüllung des »alten zionistischen Traums vom Frieden« bezeichnete denn auch Premier Ehud Barak in einer Fernsehansprache das erhoffte Abkommen und versprach seinen Landsleuten für den Fall einer Einigung die Verkürzung der extrem langen Militärzeit in Israel. Außerdem könne, so der Premier, der für Mitte des Jahres geplante Abzug aus der Sicherheitszone im Südlibanon ohne größere Zwischenfälle durchgeführt werden.

Die Aussicht auf einen umfassenden Frieden wird in Israel aber zurückhaltend formuliert. Kritisch verfolgt man die Entwicklung, seit US-Präsident William Clinton am 8. Dezember letzten Jahres bekanntgab, dass den US-Unterhändlern ein Durchbruch in den seit 1996 eingefrorenen israelisch-syrischen Verhandlungen gelungen sei. Anders als bei den Verhandlungen mit Jordanien und den Palästinensern 1993 wird neben breiter Zustimmung auch vehemente Ablehnung eines möglichen Friedensschlusses laut - vor allem zu einem möglichen israelischen Abzug von den Golan-Höhen.

Nach Angaben der konservativen Jerusalem Post spricht sich die Hälfte der jüdischen Bevölkerung in Israel gegen eine Aufgabe des besetzten Bergzuges aus. Diese Opposition stellt Israel vor ein bisher unbekanntes Problem: Seit Anfang des letzten Jahres schreibt ein neues Gesetz Referenden bei politisch entscheidenden Fragen vor. Vor dieser anstehenden Abstimmung, die abgehalten wird, wenn ein Abkommen erreicht und von der Mehrheit der Knesset-Abgeordneten abgesegnet worden ist, hängt die Zukunft der Regierung ab. Denn sollte sich die Mehrheit gegen einen Abzug aussprechen, würde Baraks Regierungskoalition mit einiger Sicherheit auseinander brechen. Da außerdem ein Nein zu einem Friedenabkommen die Lage im Nahen Osten unkontrollierbar machen würde, orientiert sich die israelische Politik auf diese für die Zukunft so entscheidende öffentliche Meinung.

Die Abzugsgegner wollen die Volksabstimmung mit allen Mitteln gewinnen. Eine Koalition aus rechten Organisationen, Parteien, Siedler-Komitees und Initiativen hat, unterstützt von prominenten Politikern wie dem Jerusalemer Bürgermeister Ehud Olmert, schon im Dezember eine landesweite Kampagne gestartet. Zwar musste am Mittwoch letzter Woche der Golan Settler's Council wegen heftiger Regenfälle eine Massenkundgebung für einen Verbleib auf dem Golan verschieben. Nach dem Wunsch der Organisatoren sollten hunderttausend Teilnehmer der israelischen Verhandlungskommision in Sheperdstown zeigen, dass »zu Hause« ein Großteil der Bevölkerung ihr Vorgehen ablehnt.

Aber auch ohne Demonstration dürfte die Botschaft ankommen: Plakate mit dem Slogan: »Die Nation ist mit dem Golan« wurden überall an Balkonen und Häuserwänden aufgehängt, an Straßenkreuzungen verteilen Golan-Aktivisten Aufkleber. Und die akademische Vereinigung Professoren für Israel schaltet in den Tageszeitungen ganzseitige Anzeigen gegen den Abzug. Derweil sprechen die rechten Parteien, angeführt vom Likud-Vorsitzenden Ariel Scharon, schon von einem Ausverkauf des Landes an die USA. In Siedlerkreisen wird gar von einer Verschwörung fantasiert, die die Übergabe Israels an die Araber zum Ziel habe.

Auch bei den Unterstützern des Friedenskurses der Regierung gibt es nicht nur Begeisterung - obwohl das Ziel einer friedlichen Beilegung des israelisch-arabischen Konflikts, für das Friedensbewegung und linke Parteien seit Jahren gekämpft haben, zum Greifen nahe scheint. Dennoch fehlt, abgesehen von einigen Unterstützer-Demonstrationen von Peace Now-Aktivisten, die euphorische Stimmung. Man wartet eher erste Ergebnisse der Verhandlungen ab.

Stellvertretend für die Arbeitspartei hat zwar Schimon Perez in Ha'aretz die Vision eines demokratischen und prosperierenden Neuen Mittleren Ostens entworfen, in dem politische und ökonomische Kooperation zwischen den ehemals verfeindeten Staaten zu Aufschwung und sozialer Gerechtigkeit führen würden. Aufgegriffen wurde dieses Schlagwort bisher allerdings nicht. Beliebter sind Beiträge von Ex-Militärs, die detailliert vorrechnen, dass auch ohne Golan-Höhen die israelische Armee auf Jahre den Syrern militärisch überlegen sein wird. Im Zeitalter von Lenkwaffen und Präzisionsbomben habe besetztes Gebiet, das als Pufferzone gegen feindliche Panzerinvasionen gedacht war, viel von seinem strategischen Nutzen eingebüßt.

Vorherrschend scheint aber das Misstrauen gegenüber Syrien und seinem diktatorisch regierenden Präsidenten Hafis Al-Assad zu sein. Dass dieser nicht einmal an den Verhandlungen teilnimmt, sondern seinen Außenminister Faruoq al-Shara, der eine eingeschränkte Entscheidungsbefugnis besitzt, vorschickt, gilt als Affront. Sharas Weigerung, Ehud Barak öffentlich die Hand zu schütteln, nimmt man als Zeichen wahr, dass es der syrischen Regierung keinesfalls um einen »warmen Frieden« geht, wie ihn die Israelis anstreben.

Syrien wolle bloß taktische Vorteile: die Souveränität im Golan wieder herstellen und gleichzeitig Verträge mit den USA schließen, um so die internationale Isolierung zu durchbrechen. Diesem Ziel opfert Assad auch alte Kampfgefährten. Wie die in London erscheinende arabische Zeitung Al-Hayat berichtet, wurden in den letzten Tagen mehrere Hundert Anhänger islamistischer Bewegungen sowie Mitglieder linker Palästinenser-Parteien in verschiedenen syrischen Städten und im von Syrien kontrollierten Libanon verhaftet.

Dennoch glauben in Israel noch immer viele, dass die Regierung des Nachbarlandes, die bislang die anti-israelische Propagandafront der arabischen Staaten angeführt hat, nicht wirklich von dem Fernziel, der Ausschaltung Israels, abrücken will. Während rechte und nationalreligiöse Gruppen diese Gefahr beschwören, die Israel, sollte es die Golanhöhen aufgeben, bedrohe, kritisieren gemäßigte Stimmen die Einzelheiten der syrischen Forderungen.

Vor allem der Anspruch, Israel müsse sich aus dem Golan auf die Grenzen vom 4. Juni 1967 zurückziehen, berührt die für Israelis brisante Wasser- und Grenzfrage. Im »Unabhängigkeitskrieg« von 1948 gelang es Syrien, das Ostufer des Sees Genezareth zu besetzen, ein Gebiet das 1923 zwischen den Mandatsmächten England und Frankreich Palästina zugesprochen worden war. Und nur bis hierhin sind die Israelis bereit, sich zurückziehen. Denn die Syrer sollen vom Wasser des Sees ferngehalten werden, der 60 Prozent des israelischen Trinkwasserbedarfs deckt.

Die Grenzlinie von 1923 dürfe die Regierung auf keinen Fall opfern, meint etwa der Publizist Meron Benvenisti in Ha'aretz. Er befürchtet, dass diese syrische Forderung Teil einer Taktik sei, welche die internationalen Grenzen Israels in Frage stellen wolle. Wegen der offiziellen Doktrin der in Syrien regierenden Baath-Partei - alle Grenzen im Nahen Osten seien schädliche imperialistische Produkte und das letzte Wort über sie sei noch nicht gesprochen - fürchtet er, dass man in Damaskus weiter die Hoffnung auf einen den ganzen Nahen Osten umfassenden, groß-syrischen Staat hege: »Es ist Ausdruck einer erschreckenden Überheblichkeit, wenn ein Land, das drei Kriege verloren hat (1948, 1967 und 1973) die Änderung internationaler Grenzen einfordert und dabei den Wunsch nach einem Frieden auszubeuten versucht, der für die Israelis sowieso traumatisch werden wird.«

Den Golan-Siedler-Komitees kommen diese Ängste zu Gute. Anders als ihre Kollegen in der Westbank gehören diese 17 000 Siedler mehrheitlich nicht rechten nationalreligiösen Organisationen oder Parteien an. Sie sind meist Wähler Baraks, besonders die Mitglieder der verschiedenen Golan-Kibbuze rechnen sich eher der Linken zu. Sogar ein arabisch-jüdisches Verständigungsprojekt mit Jordanien wurde von ihnen initiiert.

Traditionell stand die Golanbesiedlung weniger unter dem Zeichen der »Befreiung des Bodens«, wie die Rechtszionisten in der Westbank ihr Tun gerne bezeichnen, sondern diente der militärischen Absicherung des Gebietes. So war es vor allem die Arbeitspartei, die die Besiedlung des Golan in den sechziger und siebziger Jahren gefördert und finanziert hat.

Die Argumente der Golan-Siedler, es gehe ihnen um die Sicherheit Israels und nicht um den Verbleib auf dem Gebiet, in dem einige von ihnen schon seit 32 Jahren leben, finden deshalb bei breiteren Schichten der Bevölkerung Gehör als die Ideologie der Westbank-Siedler. Nur eines der Golan-Siedler-Komitees hat erklärt, in keinem Falle den Golan verlassen zu wollen und sich notfalls mit Gewalt gegen einen Räumungsbefehl zu wehren. Die anderen wollen bei einem gerechten und sicheren Friedensabkommen ihre Siedlungen aufgeben. Auch das stärkt ihre Kritik an den Verhandlungen.

Hingegen steht für die religiösen Parteien, das zweite Bollwerk der Abzugsgegner, die Frage des »heiligen Bodens« im Mittelpunkt. Die oppositionelle Nationalreligiöse Partei will den Golan auf keinen Fall aufgeben: Letzte Woche veröffentlichten ihre Rabbis ein halachisches Gutachten, nach dem er als integraler Bestandteil von Erez Israel angesehen werden müsse. Sie widersprachen damit einer sechs Jahre alten Studie des Jerusalemer Oberrabbinates, das den Golan nicht als Teil des biblischen Israel eingestuft hatte.

Offensichtlich haben die Bemühungen der Rabbis Erfolg: Eine Umfrage der Tel-Aviver Bar-Ilan-Universität unter Wählern der religiösen Shas-Partei, die Teil der Regierungskoalition ist, hat ergeben, dass zwei Drittel der Befragten sich kategorisch gegen eine Aufgabe der jüdischen Siedlungen auf dem Golan aussprechen. Gerade die Haltung der 17 Shas-Abgeordneten in der Knesset werden für Baraks Politik entscheidend.

Schon Ende Dezember wäre die fragile Koalition aus säkularen, linken und religiösen Parteien beinahe durch den Austritt dieser Partei auseinander gebrochen. Nur finanzielle Zusagen an die Shas von mehreren Hundert Millionen Schekel zur Aufrechterhaltung ihres nichtstaatlichen religiösen Schulsystems konnten die Koalition retten. Ob die Shas auch in Zukunft einen Abzug aus dem Golan mitträgt, entscheidet sich mit dem Referendum: Sollten sich große Teile der Bevölkerung gegen die Friedenspolitik aussprechen, so will sich die Shas-Führung die Option offen halten, einen in den USA ausgehandelten Friedensschluss abzulehnen.

Seit letzter Woche scheint ein weiterer, diesmal säkularer Koalitionspartner der Regierung, die hauptsächlich von russischen Immigranten unterstützte Partei Yisrael b'Aliyah, ebenfalls zum unsichereren Kandidaten zu werden. Deren Mitglied, Verkehrsminister Nathan Sharansky, unterschrieb an prominenter Stelle den Aufruf für die Großdemonstration in Tel Aviv und sorgte so für Aufregung. Man kenne als ehemaliger Sowjetbürger, so Sharansky, aus eigener Erfahrung die Realität totalitärer Länder. Und solange Syrien sich nicht zu einer Demokratie entwickele, lehne er Verhandlungen mit diesem Land ab.

Auf der anderen Seite der grünen Linie, die Israel von den ehemals besetzten Gebieten trennt, betrachten Yassir Arafat und die Palästinensische Autonomiebehörde die Entwicklung mit Unbehagen: Ein Friedensabkommen mit den arabischen Nachbarländern könnte ihre Position für die anstehenden Endstatus-Verhandlungen über einen palästinensischen Staat und den Status von Jerusalem schwächen. Schon werden Gerüchte kolportiert, der palästinensische Präsident könnte am Vorabend des Referendums die strengen Sicherheitsmaßnahmen in den Autonomiegebieten lockern, damit dort Unruhen ausbrechen.

Wenn aber zwischen Jenin und Gaza wieder Steine fliegen und Reifen brennen, so die Spekulation, könnte sich so mancher Israeli im letzten Moment überlegen, ob er dem Friedenschluss wirklich zustimmen soll.