Ermittlungen wegen Rostocker Krawallen eingestellt

Unschuldige Polizei

Sie haben es nicht nur gewusst, sie haben es gewollt: der Innenminister, der zuständige Senator, der Polizeichef. Drei Nächte lang war der Rostocker Stadtteil Lichtenhagen im August 1992 in der Gewalt rechtsradikaler Schläger und ihrer Claqueure. Bereits sechs Tage zuvor waren die Ausschreitungen in anonymen Anrufen bei örtlichen Tageszeitungen angekündigt worden.

Der Ausländerbeauftragte der Stadt hatte den damaligen Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lothar Kupfer (CDU), mehrfach persönlich auf die drohende Gefahr hingewiesen. Der aber wollte davon nichts wissen und forderte noch am zweiten Tag, den »unkontrollierten Zustrom von Ausländern nach Mecklenburg-Vorpommern« zu stoppen. Auch Rudolf Seiters (CDU), zu dieser Zeit Bundesinnenminister, hatte Verständnis dafür, dass »große Teile der Bevölkerung besorgt über den massenhaften Zustrom von Asylbewerbern« seien.

Die Polizeiführung gab vor, nicht über die nötigen Kräfte zu verfügen, um die Krawalle zu beenden. Das hinderte sie jedoch nicht daran, die Rassisten vor linken Gegendemonstranten zu schützen. Schließlich zogen sich die Einsatzkräfte in der dritten Nacht ganz zurück, während die Rechten die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber und ein benachbartes Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter anzündeten - und die Feuerwehr am Löschen hinderten.

Wegen des Verhaltens der Sicherheitskräfte sah sich die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen gezwungen und klagte neben Polizeichef Siegfried Kordus den Einsatzleiter Jürgen Deckert an. Der Vorwurf: fahrlässige Brandstiftung durch unterlassene Hilfe. Als das Landgericht der Hansestadt die Eröffnung eines Hauptverfahrens ablehnte, legten die Strafverfolger sogar Beschwerde ein.

Letzte Woche nun hat das Oberlandesgericht Rostock die Entscheidung des Landgerichts endgültig bestätigt: Bei den Ermittlungen gegen Deckert sei kein hinreichender Tatverdacht festgestellt worden. Und das, obwohl für eine Anklage gegen Deckert allein das Material genügt hätte, das der nach den Pogromen eingesetzte Untersuchungsausschuss des Schweriner Landtags gesammelt hatte. Dort war etwa von einem Stillhalteabkommen zwischen Deckert und den Randalierern die Rede. Ein Hundertschaftsführer sah sich sogar gezwungen, unter Missachtung von Deckerts Anweisung gegen die Rechten vorzugehen - ein in der Polizeihierarchie unvorstellbarer Vorgang.

Doch selbst wenn Deckert verurteilt worden wäre: Einen wirklichen Unterschied hätte das kaum gemacht. Abgesehen von einigen Strafen von bis zu zweieinhalb Jahren Haft gegen beteiligte Gewalttäter hatten die Angriffe keine strafrechtlichen Folgen. Innenminister Kupfer musste gehen, für Polizeichef Kordus war die Sache dagegen kein Karriere-Hindernis. Er wurde zum Leiter des Landeskriminalamtes von Mecklenburg-Vorpommern befördert.

Verändert hat sich aber trotzdem einiges. Vor den Bildern des entflammten Fremdenhasses in Rostock ist der alltägliche Rassismus zur Normalität geworden. Die brandschatzenden Randalierer haben hier neue Maßstäbe gesetzt. Vor allem aber lieferten die deutschen Spießer, die bei »Überfremdungs-Gefahr« schnell zum »Lynch-Mob« werden, jenes Argument, mit dem das Grundrecht auf Asyl im Jahre 1993 abgeschafft wurde. Heute ist diese Position gesellschaftlicher Konsens. So schrieb auch die taz vergangene Woche in einem Leitkommentar, dass »fast vier Milionen Menschen im Jahr die Integrationsfähigkeit der bundesdeutschen Gesellschaft übersteigen«. Und wer will schon ein zweites Rostock.