Was Gott nicht macht

Härter, smarter, verruchter als der Rest: Honky-Tonk-Angels und andere Frauen im Country.

Natürlich kennt jeder Johnny Cash. Bewährtes Brechmittel für jedes Kind, distinktionsschaffend für den urbanen Musikinteressenten ab Mitte zwanzig. Willie Nelson bringt eine Finanzamt-Platte heraus, um mit den Einnahmen daraus seine Steuern bezahlen zu können. Cool. Wenn es nicht das verlebte Gesicht ist, dann der kräftige Körper, der vom einsamen, weiten Land erzählt, dem Leiden und den Enttäuschungen in der Liebe. Features, die Authentizität versprechen und Homies bestätigen - zumindest wenn das Drinnen mit dem Draußen verwechselt wird.

Country-Musik wird vor allem durch deren Ikonen und VH-1-»Storytellers« in europäische Wohngemeinschaften transportiert, und da werden die Musikerinnen vom Kahn gekippt. Wie im kürzlich bei Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienenen »Lexikon der Countrymusic«, das einer bloßen Aufzählung von Bandnamen gleichkommt. Die Artikel zu den weiblichen Countrystars, die nicht ausgelassen worden sind, fallen jeweils deutlich kürzer aus als die Einträge über ihre männlichen Mitstreiter.

Rurale Gegenden sind nicht immer provinziell, und Country-Music ist nicht immer die Verherrlichung des Landlebens. Merle Haggard schrieb 1970 den Song »Okie from Muskogee« über die Unmöglichkeit, auf dem Dorf zu kiffen oder lange Haare zu haben. Aber: Merles knallenge Jeans sind immer noch igitt und geben zu denken. Country-Musik zu hören, ist für Frauen etwa genauso schwierig und ambivalent, wie sich auf Hardcore-Konzerten zu entspannen.

Dann lieber Country von Frauen. Ihre Texte haben nicht - wie so oft bei Männern - bloße Seelenverwandtschaftlichkeit zur Folge. Die von Country-Musikerinnen geschilderte Einsamkeit ist eine weniger angenehm essenzielle, zum Beispiel wenn die Mutter von sieben Kindern nachts auf die Rückkehr ihres Angetrauten aus der Bar wartet und hofft: »Don't come home a-drinkin' with lovin' on your mind« (Loretta Lynn). Der alltägliche Scheiß. Dagegen wirkt sich Cashs »I shot a man in Reno just to watch him die« in »Folsom City Blues« fast hedonistisch aus. Eine andere Möglichkeit, als Country-Musikerin auf die Bühne zu gelangen, war, das Objekt der Begierde aus den Songs der Männer darzustellen. Oder, wie Dolly Parton meinte: »Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie teuer es ist, billig auszusehen.«

Die ersten Country-Musikerinnen gab es bereits zu Zeiten der Wunderheiler, die durch das Land reisten, um gefärbtes Wasser mit Alkohol zu verhökern. Diese Frauen waren unter der Landbevölkerung verpönt: Unstetes Leben, womöglich auch noch unverheiratet, das war unheimlich. Der Mythos von der verruchten Reisenden wurde auch in den zwanziger Jahren mit dem Boom des Radios nicht gebrochen. Da ein Auftritt bei einem der unzähligen lokalen Radiosender aber gerade mal einen Dollar einbrachte, mussten viele Musiker touren, um Geld zu verdienen. Nur gab es für Frauen wenig Auftrittsmöglichkeiten.

Weil Solistinnen keine Chance hatten, gründeten sich zu dieser Zeit mehrere Frauenbands, deren Mitglieder vorgaben, miteinander verwandt zu sein, um gemeinsame Touren zu legitimieren, so etwa die Carter Family, die Coon Creek Girls oder die Happy Valley Girls.

Ach, ja: Bis in die dreißiger Jahre war die Aufnahmetechnik die Erklärung für den geringen Anteil populärer Musikerinnen - ihre Stimmen hätten einfach zu hohe Frequenzen. Erst ab den vierziger Jahren wurden die Musikerinnen für die keimende Musikindustrie von größerer Bedeutung, da viele ihrer männlichen Kollegen auf Grund des Krieges in Europa waren. Gleichzeitig gab es Musikerinnen, die Songs für andere Country-Stars und vor allem die vielen singenden Cowboys in Westernfilmen schrieben.

Dennoch waren Frauen vor allem in den Songs der Männer präsent. Für sie gab es vornehmlich drei Rollenangebote: die der Mutter, der Gattin oder die des Honky-Tonk-Angels, der leichten Frau in der Bar, die die Männer verführt, dann verlässt und nicht selten bitter dafür bezahlen muss. 1952 veröffentlichte Kitty Wells ihren berühmten answer song: »It wasn't god who made Honky Tonk Angels«. Es war die Antwort auf Hank Thompsons »Wild Side of Life«, in dem es um eben dieses Unheil geht, das ein Honky-Tonk-Angel bringt. In ihrem Lied singt Wells: »For many times married men think they're still single / that has caused many good girls to go wrong«. Ein Song, den die Grand Ole Opry, die Country-Institution von Nashville, ihr verbot, dort live zu bringen, da er den Betreibern zu »explizit« war.

Kitty Wells hatte 23 Nummer-Eins-Hits, hat 461 Singles und mindestens 43 Alben veröffentlicht. Sie war die erste Frau, die einen lebenslangen Vertrag mit einem Majorlabel abschloss, und sie bekam 1991 einen Grammy für ihr Lebenswerk. Das mag auch daran liegen, dass Wells ihre größten musikalischen Erfolge noch in der Frühzeit massenmedialer Vermarktung hatte.

Das war in den Sechzigern, und auch im Zuge des studentischen Folkmovement wurden Country-Musikerinnen vom Publikum und der Musikindustrie vor allem dann akzeptiert, wenn sie einen kurzen Rock und Stiefel trugen, also genau dem Bild des Honky-Tonk-Angel entsprachen. Im Bild-Zeitalter helfen auch Loretta Lynns Songs über die Pille und die Unterschiede zwischen ruralen und urbanen Lebenswelten von Frauen wenig. »It's lonely in the saddle since the horse died.«