Alles im Netz

Ob die Fusion von Time-Warner und AOL wirklich der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ist, wird man daran merken, ob da zusammenwächst, was zusammengehört.

So richtig überrascht war niemand, als vergangene Woche die Fusion des Internetbetreibers America Online (AOL) mit dem Mediengiganten Time-Warner bekannt gegeben wurde. Schließlich verzeichnet die Medienindustrie wöchentlich einen Zusammenschluss. Doch diesmal soll alles anders sein. »Die gesamte Medienlandschaft wird neu definiert«, sagte ein Medienmanager.

Der Reihe nach: Bei Nennung des Firmensitzes des Hauses Bertelsmann rufen US-amerikanische Medienmanager regelmäßig: »Where is fucking Gutersloo?« Bis in die neunziger Jahre war Bertelsmann ein unauffälliger Konzern. Man betrieb einen Buchclub, druckte Bücher und verlegte Schallplatten. Von der Kabarett-Szene völlig unbemerkt, setzte das Medien-Unternehmen Ende der sechziger Jahre auf Produktdiversifikation, expandierte in die Lebensmittelbranche und war kurzzeitig einer der größten Eierproduzenten der Republik. Der später als »Kräuterheiler« bekannt gewordene »Wunderdoktor« Manfred Köhnlechner war in seinem ersten Leben Manager in Gütersloh und bescherte Bertelsmann eine Hühnerfarm mit einer Million Legehennen.

Köhnlechner musste Anfang der siebziger Jahre gehen, und mit ihm verschwanden auch die Hühner. Firmenpatriarch Reinhard Mohn verschweigt diese Episode gern. Viel lieber macht er sich so seine Gedanken. Zum Beispiel über den verantwortungsbewussten ideellen Gesamtmitarbeiter.

Das »beteiligungsorientierte Unternehmen« ist seine Erfindung, und mit ihm pflegt er, was unter Linken verpönt ist: Sozialpartnerschaft. In den siebziger Jahren hat er dann auch noch eine gemeinnützige Stiftung gegründet und diese zur Eigentümerin des Konzerns ernannt. Dann kamen modernere Manager und vergrößerten den Betrieb. Reinhard Mohn musste aufpassen, dass er den Überblick nicht verlor. Er verordnete, dass Bertelsmann unverkäuflich sei und nie an die Börse gehen dürfe. Über solch sonderbares Verhalten rümpfen junge Aktieninhaber heutzutage die Nase.

Ab Mitte der neunziger Jahre veränderte sich die Medienlandschaft dramatisch. Mobiltelefone eroberten den Markt, das Internet wurde zur Zukunftsbranche schlechthin erklärt. Alles wurde multimedial, virtuell und interaktiv. Die Twenty-Somethings machten ihre wegweisenden Erfindungen bevorzugt in Hinterhof-Fabriketagen, Männer wie Bill Gates, Jeff Bezos, Stephen Case und Gerald Levin wurden steinreich und weltberühmt. Ein junger Manager in Gütersloh, Thomas Middelhoff, wollte unbedingt dazugehören. Ende 1999 erklomm er den Chefsessel bei Bertelsmann.

Nur Papier bedrucken oder den Leuten an der Haustüre eine Buchclub-Mitgliedschaft andrehen, das war Middelhoff doch zu wenig. TV- und Radiostationen wurden an Land gezogen. In Berlin gründete ein junges Team um Paulus Neef die Firma Pixelpark, kurz darauf war Neef bereits Präsident des Deutschen Multimedia Verbandes (dmmv). Middelhoff bekam Wind von der Berliner Erfolgsgeschichte und kaufte den Laden. Der Präsident wurde leitender Angestellter bei Bertelsmann.

Dann ging es Schlag auf Schlag: Beteiligungen an AOL Europa, Lycos, barnesandnoble.com wurden erworben. Die Bertelsmann-Tochter Gruner+Jahr in Hamburg ging mit der Suchmaschine Fireball ans Netz, die Zeitschriften waren jetzt auch online zu haben. Und mit Random House kaufte man den größten US-amerikanischen Buchverlag. An dieser Entwicklung hatte Middelhoff seine helle Freude.

Dann hielt die Medienwelt plötzlich »den Atem an«, wie die Wirtschaftswoche berichtete. Die »größte Fusion aller Zeiten« wurde bekannt gegeben: Aus Time-Warner und AOL sollte AOL-Time-Warner werden. Zu Time-Warner (alt) gehören neben Filmstudios und TV-Stationen der Nachrichtensender CNN, zudem werden Magazine wie Sports, Fortune, People und Time Magazine herausgegeben. In der Medienbranche nennt man das »Inhaltsproduzent«. Damit wurden im abgelaufenen Geschäftsjahr 27 Milliarden Dollar - bei 168 Millionen Dollar Gewinn - umgesetzt.

Bei AOL - dem weltgrößten Internet-Anschluss-Anbieter - hingegen spricht man von einem Netzbetreiber, der die Inhalte lediglich transportiert. Etwa 20 Millionen Kunden kommen mit Hilfe der AOL-Software ins Netz, drei Millionen davon außerhalb der USA. Nach Angaben des Nachrichtendienstes Bloomberg verbringen die 20 Millionen Menschen täglich 52 Minuten im Internet. Dafür zahlen sie 943 Millionen Dollar Gebühren und tragen so zum Gesamtumsatz von 4,8 Milliarden Dollar bei. Eine Milliarde bleibt als Gewinn zurück. Eine solche Bilanz gefällt Herrn Middelhoff. Ein wenig trägt er ja zum Erfolg bei: Bertelsmann ist an AOL Europa beteiligt und verdient mit. Etwa 2,7 Millionen Menschen gelangen sozusagen via »fucking Gutersloo« ins Netz.

Jetzt entsteht der weltgrößte Konzern, der die gesamte Wertschöpfungskette der Medienbranche abdeckt. Nur die Gewerkschaften beweisen sich mal wieder als Bedenkenträger: »Das ist ein bedenklicher Entwicklungssprung auf der Eskalationsleiter der Megafusionen«, kritisiert die IG Medien. Was da vor sich gehe, signalisiere »den Sieg der Verteiler von Medieninhalten über die Produzenten«, so der Gewerkschaftssprecher Heinrich Bleicher-Nagelsmann. Für die Internationale Journalistenföderation (IJF) - die nach eigenen Angaben 450 000 Journalistinnen und Journalisten in 103 Ländern vertritt - bedroht der Zusammenschluss »Demokratie, Meinungsvielfalt und Qualität der Medien«. Nur noch »eine Handvoll« Unternehmen würden künftig die »Inhalte und wie sie in die Öffentlichkeit gelangen« kontrollieren.

Unterdessen verkündet Middelhoff, Bertelsmann habe »wichtige Inhalte und Stoffe in allen Mediengattungen verfügbar»; am Engagement bei AOL wird festgehalten, und auch die 0,7-Prozent-Beteiligung, die eine Milliarde Dollar wert ist, bleibt in Gütersloh. Doch weil der neue Konzern zum Hauptwettbewerber wurde, räumt Middelhoff seinen Sitz im Vorstand von AOL.

Das ist aber nicht weiter schlimm. Solange AOL-Chef Steve Case den Bertelsmann-Konzern wegen der Stiftungs-Struktur nicht kaufen kann, muss er mit Middelhoff im Gespräch bleiben, stellt das Handelsblatt fest. Alles, nur keinen Krach dürfen Middelhoff und Case bekommen, sonst drohe das von Middelhoff mit »viel Engagement und Weitblick betriebene Internetengagement« von Bertelsmann über Nacht wie ein »Kartenhaus zusammenzustürzen«.

Das Zusammenwachsen eines klassischen Medienunternehmens mit einer neuen Internetfirma wird vom Großteil der Presse als Schritt in die richtige Richtung begrüßt. »Jeder der beiden Partner hat genau das zu bieten, was der andere am dringendsten benötigt«, schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Eine ganz andere Ansicht vertritt hingegen das Handelsblatt: »Was als historischer Deal gelobt worden war und als Vorbote eines neuen Zeitalters galt«, so die Wirtschaftszeitung, »entpuppt sich als Wagnis mit unsicherer Zukunft«. Nachdem die Aktien erst steil stiegen, stürzten sie brutal ab, beschreibt das Blatt die jüngste Entwicklung vieler Internet-Firmen und zieht dann folgenden Schluss: »Das traditionelle Medienhaus soll den Internet-Luftikus aufpäppeln und vor Schlimmerem bewahren, wenn die Spekulationsblase um Internet-Unternehmen platzt.«