Diepgen boykottiert Holocaust-Mahnmal

Andere Termine

Man kann gegen Eberhard Diepgen viel, wirklich sehr viel haben. Eines muss man ihm aber lassen: Der Regierende Bürgermeister hat Taktgefühl. Er merkt sofort, wenn er irgendwo stört. Nehmen wir zum Beispiel den symbolischen Baubeginn für das Holocaust-Mahnmal am 27. Januar - dem 25. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee und rund 17 Monate, bevor die ersten Bagger anrücken.

Man kann sich vorstellen, wie Diepgen - dem schon längst niemand mehr vorwerfen kann, ein latenter Antisemit zu sein - sich dort gefühlt hätte, zwischen all den jüdischen Honoratioren und Holocaust-Überlebenden. Ganz zu schweigen davon, wie die sich gefühlt hätten, hätte einer in ihrer Mitte gestanden, von dem jeder weiß, dass er seit Jahren seine ganze Energie darauf verwendet, das »Schandmal« in der Mitte der einstigen Reichshauptstadt zu verhindern.

Das bleibt ihnen nun erspart. Diepgen sagte seine Teilnahme an der Veranstaltung ab - wegen »anderer Termine«. »Andere Termine«, das ist Diplomatendeutsch für »keine Lust«. Vielleicht hätte Diepgen sich ja doch zur Teilnahme an der Spatenstich-Zeremonie durchgerungen, hätte ihm gedämmert, welchen Dienst er mit seiner Absage den Befürwortern des Mahnmal-Baus leistet. Denn was wäre von einem Mahnmal zu halten, das einer wie Diepgen akzeptabel findet, das er vielleicht sogar einweiht? Es wäre ein Monument der Beliebigkeit, weiter nichts.

Fakt ist: Diepgen will - und das betrifft nicht nur das Mahnmal, sondern in gleicher Weise etwa das Jüdische Museum und die »Topographie des Terrors« - um jeden Preis verhindern, dass irgendetwas in seinem Neuen Berlin daran erinnert, dass von hier einst der Holocaust ausging. Bei den beiden anderen Bauwerken hatte er Kreide gefressen, als sich herausstellte, dass er sie nicht würde verhindern können. Dass Diepgen beim Mahnmal ehrlicher ist, kommt daher, dass seine Position dank Walsers fulminanter Friedenspreisrede heute in Deutschland wieder diskutabel und wahrscheinlich sogar mehrheitsfähig ist.

Dennoch und gerade deswegen: Durch seine Abwesenheit beim Baubeginn adelt Diepgen das Denkmal. Denn sonst könnte ja jeder dahergelaufene Deutschnationale einbezogen werden in den Kreis derer, die hier gedenken, nur weil er ein Regierungsamt bekleidet.

Wer - wie Diepgen - der Meinung ist, das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte sei heute keine Stunde des Gedenkens mehr wert, der wird auch in Zukunft die Möglichkeit haben, das Mahnmal zu ignorieren. Die einzige Form der Mahnung, die auch bei einem wie Diepgen wirken dürfte, fand im Mai 1945 statt, als die Sieger des Zweiten Weltkriegs die Anwohner durch die KZ trieben, vorbei an haushohen Leichenbergen. Vielleicht hätten sie einen kleinen Jungen aus Berlin namens Eberhard Diepgen mitnehmen sollen. Der war damals drei Jahre alt, da ist man schon überraschend aufnahmefähig.