Pinochet bald frei

Der Winter des Patriarchen

Wenn Augusto Pinochet irgendwann in den nächsten Tagen auf dem Fliegerhorst von Northrop bei London in ein Flugzeug der chilenischen Luftwaffe steigt, das den Senator-auf-Lebenszeit nach Santiago zurückbringt, dann werden dies- wie jenseits des Atlantiks zahlreiche Angehörige der Politischen Klasse erleichtert aufatmen.

Das betrifft natürlich vor allem jene, die sich Pinochet bis heute verpflichtet fühlen, weil der General angeblich Lateinamerika vor dem Kommunismus rettete, mit Sicherheit aber 1983 Großbritanniens engster Verbündeter im Krieg gegen Argentinien war: Die gesamte Parteispitze der britischen Konservativen etwa, allen voran die zur Baroness geadelte Margaret Thatcher, von der wir bei dieser Gelegenheit erfahren durften, dass sie unter günstigen Umständen auch bereit ist, ihren Tee mit Leuten zu nehmen, die Hunde abrichten, Frauen zu vergewaltigen.

Freude wird aber auch bei Politikern aufkommen, die der politischen Nähe zu Pinochet gewiss unverdächtiger sind als des ganz alltäglichen Opportunismus. Bei Chiles neu gewähltem Präsidenten Ricardo Lagos etwa.

Der Sozialdemokrat verdankt seinen Sieg weniger der Tatsache, dass er unter Pinochet als Sozialist verfolgt wurde. Vielmehr profitierte er als Kandidat der schon bisher regierenden bürgerlichen Koalition von einem Versprechen, das sein christdemokratischer Amtsvorgänger Eduardo Frei wahr gemacht hat: Der hatte schon Mitte 1999 versprochen, Pinochet werde noch während seiner im März endenden Amtszeit nach Chile zurückkommen, um hier vor Gericht gestellt zu werden.

Der zweite Teil dieses Versprechens ist natürlich Humbug. Das kann man schon daran sehen, dass auch Lagos' Gegenkandidat Joaquin Lavin versprach, Pinochet den Prozess zu machen - ein Mann, der trotz seines relativ jungen Alters von 47 Jahren aufs Engste mit dem Militärregime verstrickt ist.

In Chile sind zwar mittlerweile 55 Ermittlungsverfahren gegen den Ex-Diktator anhängig. Um den 84jährigen vor Gericht zu stellen, müsste jedoch zunächst der Oberste Gerichtshof Pinochets Immunität aufheben. Dann würden seine Anwälte, ähnlich wie in Großbritannien, auf Verhandlungsunfähigkeit plädieren. Bis all das geschehen ist, müsste Pinochet eigentlich schon längst tot sein. Sonst hätte man ihn auch in Madrid oder London vor Gericht stellen können.

Dort ist man aber ebenfalls froh, das Diktatorenwrack nicht zur Verhandlung bringen zu müssen: Spaniens Präsident José Mar'a Aznar befindet sich mitten im Wahlkampf und hätte seinen Ermittlungsrichter Baltazar Garz-n schon längst gerne zurückgepfiffen.

Und der britische Innenminister Jack Straw fürchtete den Skandal, den ein toter lateinamerikanischer Ex-Diktator im Land bedeuten würde: Ein Märtyrer für die politische Rechte. Also fabulierte Straw, die von ihm eingesetzte Ärztekommission habe ihm »keine Wahl gelassen»: Pinochet sei nicht prozessfähig.

Schade nur, dass der Vorsitzende der Kommission weniger loyal war, als Straw gemeint hatte: Mit der Frage der Prozessfähigkeit, plauderte John Grimley Evans im Observer aus, habe sich das Kollegium gar nicht beschäftigt. Und Pinochet habe auch keine Leiden, von denen er nicht wieder genesen könnte. Aber da hatte der General schon längst die Koffer gepackt.