Dynastie und Demokratie

In den USA beginnen die Vorwahlen um die Nachfolge von William Clinton. Unterschiede zwischen den Kandidaten finden sich nur im Kleingedruckten.

Noch ein ganzes Jahr, bis Mitte Januar 2001, ist US-Präsident William Clinton im Amt, aber der Wahlkampf um seine Nachfolge läuft bereits auf vollen Touren. In den kommenden zwei Monaten bestimmen die Demokraten und die Republikaner ihren jeweiligen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im November. Clinton darf nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten. Den Anfang machen am kommenden Montag die Parteimitglieder im Bundesstaat Iowa. Eine Woche später kommt es zu Vorwahlen in New Hampshire, weitere acht Staaten folgen im Laufe des Februar. Spätestens am 7. März, wenn beim so genannten Super-Dienstag in zwölf Staaten - darunter Kalifornien und New York - gleichzeitig abgestimmt wird, dürften die Favoriten der beiden großen Parteien feststehen.

Noch vor wenigen Wochen sah es so aus, als ob sich die beiden Parteien ihre Vorwahlen in diesem Jahr eigentlich sparen und ihre Präsidentschaftskandidaten per Akklamation bestimmen könnten. Der texanische Gouverneur George W. Bush bei den Republikanern und US-Vizepräsident Albert Gore bei den Demokraten lagen haushoch vorn.

Beide verkörpern das Prinzip der Dynastie als höchstes Stadium der Parlamentarismus. Bush ist als Sohn eines früheren US-Präsidenten zu Vermögen und Amt gelangt. Aber auch Gore hat es wohl nur durch seinen gleichnamigen Vater zu etwas gebracht. 1976 »erbte« er sein Abgeordneten-Mandat - und später den Senats-Sitz für Tennessee - von Al Gore Senior, als der nach 32 Jahren im US-Kongress in die Erdöl-Branche wechselte.

Mittlerweile haben die beiden Front Runners allerdings ernst zu nehmende Konkurrenz bekommen. Bei den Republikanern tritt der Vietnamkriegs-Veteran und derzeitige US-Senator John McCain gegen Bush an, bei den Demokraten kandidiert der frühere Basketball-Star und ehemalige US-Senator Bill Bradley gegen Gore.

Dadurch könnten die partei-internen Vorwahlen nun doch noch spannend werden - wenn man denn Wettbewerbe ohne maßgebliche politische Differenzen als spannend bezeichnen möchte. Denn nur im Kleingedruckten gibt es einige Unterschiede zwischen den führenden Kandidaten: Die beiden Demokraten bieten einige bürgerrechtliche Einsprengsel - etwa Gleichberechtigung für Homosexuelle beim Militär -, die beiden Republikaner wollen die letzten Sozialstaats-Reste noch schneller demontieren - durch Privatisierung der staatlichen Rentenversicherung. In der Außenpolitik sind die Positionen der vier Kandidaten so gut wie deckungsgleich.

Dennoch lassen sich aus dem bisherigen Wahlkampf einige Tendenzen in der US-Innenpolitik ablesen. Die erfreulichste Entwicklung: Die organisierte religiöse Rechte, die Christian Coalition, hat sich zu Tode gesiegt. Bigotte »Kulturkrieger« wie die republikanischen Kandidaten Gary Bauer oder Alan Keyes sind chancenlos. Die führenden fundamentalistischen Funktionäre haben sich mittlerweile dem relativ gemäßigten Bush angeschlossen. Bush bezeichnet sich selbst als »mitfühlenden Konservativen«, kritisiert den strikten Sparkurs seiner Parteifreunde als »herzlos« und wirbt in fließendem Spanisch auch um nicht-weiße WählerInnen. Auf fundamentalistische Reizthemen wie Abtreibung oder Homosexualität geht Bush sehr zum Missfallen der Kreuzritter praktisch gar nicht ein. Bushs »Mitgefühl« hält ihn allerdings nicht davon ab, serienweise Todesurteile zu unterzeichnen. Während seiner fünfjährigen Amtszeit als Gouverneur von Texas wurden bereits mehr als 100 Menschen hingerichtet - ein einsamer Rekord in den USA.

Dass die Christian Coalition und ähnliche Verbände organisatorisch ausmanövriert sind, heißt freilich noch lange nicht, dass die politische Kultur sich säkularisiert hätte. Die Präsidentschaftskandidaten verwenden ganz selbstverständlich Bibelsprüche. Bush bekannte sich vor kurzem im Fernsehen zu Jesus Christus als dem »wichtigsten politischen Denker« der Menschheitsgeschichte. Gore lässt keine Gelegenheit aus, an seine religiöse »Wiedergeburt« zu erinnern, und stellt sich vor politischen Entscheidungen angeblich regelmäßig die Frage: »Was würde Jesus tun?«

Die wohltuende Ausnahme in diesem frommen Zirkus ist der demokratische Kandidat Bill Bradley, der Fragen nach seiner Religiosität beharrlich als »Privatsache« zurückweist. Auch bei anderen Themen »blinkt« Bradley gelegentlich links und kritisiert die Clinton/Gore-Regierung für die Verschärfung der sozialen Gegensätze in den USA.

Während seiner 18 Jahre im US-Senat ist Bradley allerdings stets geradeaus gefahren oder nach rechts abgebogen. So unterstützte er in den achtziger Jahren immer wieder den republikanischen Präsidenten Ronald Reagan - ob bei dessen regressiver Steuerpolitik oder im Contra-Krieg gegen Nicaragua. Daher liegt die Vermutung nahe, dass Bradley jetzt lediglich aus wahltaktischen Gründen »linke« Signale abgibt - nur so hat er bei der demokratischen Parteibasis gegen Gore eine Chance. Der Vizepräsident gehört unzweifelhaft zum rechten Parteiflügel.

Bei der ersten Vorwahl am kommenden Montag in Iowa handelt es sich um so genannte Caucuses - dezentrale Versammlungen der Parteimitglieder, die in öffentlichen Gebäuden, Kneipen und selbst in privaten Wohnzimmern stattfinden und Delegierte für die landesweiten Parteitage im August bestimmen. Hier zeigt sich, welche Kandidaten am ehesten ihre jeweilige Parteibasis mobilisieren können. Gore und Bush gelten hier als klare Favoriten, weil sie nach langfristiger Aufbauarbeit ihre jeweiligen Apparate fest kontrollieren.

Eine Woche darauf findet in New Hampshire die erste echte »Primary« in staatlichen Wahllokalen statt, an denen nicht nur die aktiven Mitglieder, sondern die gesamte registrierte WählerInnenschaft teilnehmen kann. In den jüngsten Meinungsumfragen liegen hier Bradley und McCain vorne.

Nachdem die Kandidaten in den vergangenen Monaten fast jedes Fast-Food-Restaurant und Altenheim in Iowa und New Hampshire heimgesucht haben, um in den ersten Vorwahlen einen guten Start hinzulegen, wird sich der Wahlkampf danach auf die teure Fernsehwerbung in den großen Bundesstaaten verlagern. Dann entscheidet das jeweilige Spendenaufkommen, und in dieser »Money-Primary« liegt Bush fast uneinholbar vorne. Rund 70 Millionen Dollar hat er im vergangenen Jahr an Spenden eingetrieben - mehr als jemals ein Kandidat zuvor und fast so viel wie Gore, Bradley und McCain zusammen. Im Unterschied zu den anderen Kandidaten kann Bush sogar auf staatliche Zuschüsse, die an bestimmte Auflagen gebunden wären, verzichten. Wenn es sein Herausforderer McCain nicht schafft, in den ersten drei, vier Vorwahlen einige Überraschungssiege zu landen und mit den damit verbundenen Schlagzeilen seine halbleere Wahlkampfkasse aufzufüllen, dann muss er bald aufgeben.

Kopf an Kopf liegen dagegen die beiden demokratischen Kandidaten, zumindest was ihre Kontostände angeht. Dennoch gilt Gore als Favorit, weil er auf die Unterstützung des Parteiapparats und der Gewerkschaften zählen kann. Auch Bradley wird bald einpacken müssen, wenn er nicht durch einige frühe Vorwahl-Siege Auftrieb erhält.

Der Ausgang der Präsidentschaftswahl wird zudem womöglich durch einen weiteren Kandidaten beeinflusst: Den rechtspopulistischen Antisemiten Pat Buchanan, der für die Reform Party antreten will. Es ist keineswegs sicher, dass Buchanan nur oder überwiegend rechte Stimmen auf sich ziehen und so in der Stichwahl vor allem den Republikanern schaden würde. Denn er vertritt einen ökonomischen Nationalismus gegen »das internationale Finanzkapital« und gegen ImmigrantInnen - und findet damit auch im gewerkschaftlichen Umfeld Anklang. Damit zieht er auch traditionell »demokratische« Wähler an.

Dem ließe sich nur begegnen, wenn Gewerkschaften und Linke gegen Freihandel und Globalisierung nicht wie bisher vor allem protektionistisch, sondern antikapitalistisch und anti-rassistisch argumentieren würden. Dann würde sich allerdings auch die übliche Wahlempfehlung für den demokratischen Kandidaten als »kleineres Übel« verbieten.