[NYSE:TWX] heißt jetzt [NYSE:AOL]

Die Fusion von Time Warner und AOL ist der Anfang einer großen Freundschaft zwischen alten und Neuen Medien und das Ende des Internet, wie wir es kennen.

AOL-Gründer Steve Case (41) hat sich vom Testesser bei Pizza Hut zum Milliardär hochgearbeitet. Er trägt bequeme Klamotten und hängt in Dulles, Virginia, am liebsten vor dem Rechner herum. So ähnlich schreibt man inzwischen auch im Clubland Berliner Republik Erfolgsgeschichten: »Wer ist hier der Chef?« heißt es in einem Mercedes-Spot shot on locations im Zukunftszentrum Adlershof. Na der, der Pizza für alle bezahlt. Übrigens sieht der Pizza-Bote genauso aus wie der Teammaster.

»Appetit auf mehr?« fragt eine Anzeige der Datenfirma EDS. 17 Pizza-Kartons stehen für je eine Problemlösung beim e-commerce. Am Ende steht die »Pizza-Party«. Sieht so das wahre Leben im flexibilisierten Neo-Liberalismus aus?

Viele kleine Netzgründungen spekulieren darauf, durch eine größere Firma aufgekauft zu werden. Nun ist jedoch ein riesiges Traditionsunternehmen durch den vergleichsweise kleinen Laden AOL aufgesogen worden. Das vor 78 Jahren gegründete Time Magazine wie auch das Unternehmen der Hollywood-Pioniere Warner Bros. sind kapitalistisches Urgestein der US-Bewusstseinsindustrie. Doch vor zehn Jahren begann der radikale Umbau des Konzerns: So wurden die beiden Firmen 1989 zu Time Warner Inc. zusammengeschmolzen und 1996 noch einmal mit Ted Turners CNN-Familie aufgestockt. Über kurze Zeit hat sich Time Warner einem Prozess permanenter Neuerfindung vom Printmedium zum Kino- und Fernsehunternehmen unterworfen, um nun mit AOL als neu zu formierender Webcaster ans Netz zu gehen.

Von der Presse wurde dann auch bemerkt, dass TW-Chef Gerald Levin nicht nur seinen Schnurrbart für die Fusions-Pressekonferenz abrasiert hatte, sondern noch dazu ohne Krawatte und mit offenem Hemdkragen erschien. Der 41jährige AOL-Chef Steve Case hingegen hatte wie ein guter Schwiegersohn den Schlips umgebunden. Neue Kleiderordnung: die Alte Schule macht jetzt auf lässig, und der ansonsten casual vor dem Computer hockende Case gibt den Streber. Doch so locker soll es in der AOL-Zentrale bei Washington gar nicht zugehen. Vielmehr erinnere hier alles an Regierungsbüros.

Wenn AOL den Traditionsbetrieb so locker in die Tasche steckt, wird dann auch das Open Source-Betriebssystem Linux gegen den bald zerschlagenen Goliath Microsoft gewinnen? AOL ist, zumindest als Aktiennotierung, längst schon kein David mehr. Seit dem Börsengang vor acht Jahren ist der Wert des 1985 gegründeten Unternehmens um mehr als 50 000 Prozent gestiegen. Damit ist es nun allerdings vorbei: Die gemeinsam veranschlagten Wachstumsraten von jährlich 30 Prozent sind für einen Medienkonzern enorm, nicht jedoch für die Internetfirma. Zusammen mit dem Urgestein Time Warner wird aus AOL eine ganz normale Medienindustrie-Aktie, die vom spekulativen Internet-Hype nicht mehr profitiert. Dieser jedoch hat es Internetfirmen erst ermöglicht, ausschließlich per Aktientausch die Festung der alten Medien zu schleifen. Drei Billionen Mark Aktienwerte, viermal mehr als die Summe in Bargeld, wurden letztes Jahr für Firmenzusammenschlüsse aufgewendet.

Nach Angaben der Washington Post standen 1991 Bar- und Aktienzahlungen noch gleich auf, und 1988 wurden weniger als zwei Prozent der großen Deals per Aktientausch abgewickelt. Einen Börsentag nach dem Deal handelten individuelle Investoren mit AOL - und verkauften zumeist -, während Time-Warner-Aktien von institutionellen Anlegern um fünf Prozent abgewertet wurden. Die Pioniere des Wilden Westens im World Wide Web stecken ihre Claims ab und suchen nun ein Stück realen Werts, noch bevor der Internet-Aktienhype einbricht.

Time Warner heißt für den Börsencomputer der New York Stock Exchange knapp TWX. Doch dies Kürzel schwindet für immer - obwohl der Firmensitz nicht nach Dulles im Bundesland Virginia, sondern ins New Yorker Hauptquartier von Time Warner gehen wird. Der künftige Firmensitz bleibt zwar das Rockefeller-Gebäude, doch der virtuelle Platz der Aktie hört künftig auf das wie für die Börsennotierung geschaffene AOL: Aus America Online, Inc. [NYSE:AOL] und Time Warner Inc. [NYSE:TWX] wird AOL Time Warner Inc. [NYSE:AOL].

»Wie wird der Firmenzusammenschluss aussehen? Mit einem Wort: Big«, schreibt die Washington Post. Und die Financial Times meint, »dass schiere Größe allein AOL Time Warner über die Runden bringen wird«. Mit Size does matter wurde schon Godzilla beworben. Doch Dinosaurier sterben aus. Was hier zusammengeht, ist ein krakenhaftes Konglomerat der Medienwelt aus »Inhalts-Portfolio«, Kundenstamm und Kontrolle der Vertriebswege.

Ein vierköpfiges »Integrations-Komitee«, angesiedelt im Vorstand, wird die Fusion der beiden recht unterschiedlichen »Firmenkulturen« betreuen, um so eine »sanfte und rasche Kombination der beiden Firmen« zu bewerkstelligen. Doch Time Warner ist selbst ein kruder Haufen zusammengeraffter Geschäftsbereiche.

Die Fusion gilt als die erste große Verknüpfung alter und neuer Medien. Trotz der Übernahme durch die Neuen sind die alten Medien jedoch noch lange nicht am Ende. Warum die Printmedien gar vom Boom der Neuen Medien profitieren, erlebt man zur Zeit in der Anzeigenschlacht zwischen Vodafone und Mannesmann. An dieser Schlacht kann man zudem ablesen, wie zerstörerisch eine »feindliche Übernahme« sich gestaltet. Wer wird den Fusionspartner über den Tisch ziehen und am Ende der Gewinner sein? In einer so tiefgreifenden Transformationsphase werden die unternehmensinternen Karten neu gemischt und über das Personal frei verfügt.

Vergleichsweise freundlich vollzieht sich die Fusion zwischen AOL und Time Warner. Hier gehen zwei sich ergänzende Konzerne zusammen, weshalb wohl weder Gewerkschaften noch Kartellbehörde Handhabe anmelden können.

Nun ist es aber durchaus möglich, dass auch der vormals durch den Staat in lauter Baby-Bells zerteilte Telefonkonzern AT&T hinzukommen könnte, um so dann auch das Kabelnetz der USA zu dominieren. Denn nur durch die Breitband-Netze lassen sich die für Digitalfilme notwendig hohen Datenmengen transportieren. Deshalb bewirbt auch Kirch gemeinsam mit der Telekom seine digitalisierte Premiere-Welt. Aber auch die blitzschnelle Übertragung von Musik wird so möglich.

»Branded informations« und »Crossmarketing« sind die Vorteile eines ansonsten dinosaurierhaften Trusts, gegen den die Kartellbehörde kaum etwas unternehmen kann. Die Marke »Information« wird jetzt durch alle Kanäle gejagt und als Video, CD, Buch, TV-Bericht oder Netzseite mehrfach ausgewertet. Vermehrte Werbung im Umfeld der Inhalte und der Wachstumsmarkt eCommerce quer durch die »unvergleichlichen Kombinationen der führenden Marken« heißt aber auch, penetrant auf das Produkt des anderen hinzuweisen. Der vom AOL-Europapartner Bertelsmann herausgegebenen Zeitschrift TV Today liegt zum Beispiel immer wieder die gelbe Einwahl-CD-ROM für AOL bei.

Der künftige Markt wird auch außerhalb der Staaten gesucht werden, wobei CNN wie AOL schon Firmensitze und Repräsentanzen vor Ort aufrechterhalten: »AOL überall«.

Brach am 10. Januar 2000 das »Internet-Jahrhundert« an, wie es anlässlich der Fusions-Pressekonferenz verkündet wurde? Case sieht sich selbst im »Epizentrum des Internet«, womit er vielleicht gar nicht so falsch liegt. Doch die UserInnen der Chatforen sehen weit eher das Ende des Internets-wie-wir-es-kannten vorher. Wie etwa werden die künftigen Portale für den Zugang zum Netz aussehen? Und wird ähnlich wie im Supermarkt das One-stop-shopping eingeführt, wo alles unter einem eCommerce-Dach zu haben ist? Angesichts der Omnipräsenz auf den Märkten und dem gebündelten »cross-ownership« sieht es mit kartellrechtlicher Transparenz wie auch journalistischer Unabhängigkeit nicht gerade rosig aus. So wird befürchtet, dass über die Aktivitäten anderer Unternehmenszweige nicht mehr unabhängig berichtet wird. Zudem wird der Rationalisierungsdruck wohl zu Lasten der JournalistInnen gehen.

Die Selbstermächtigung durch das demokratische Kommunikationsmittel WorldWideWeb, wo für manche nach der Mobilisierung von Seattle gar die Morgenröte am Horizont aufscheint, wird durch die zunehmende Kontrolle der Zugangskanäle, Schnittstellensoftware und Inhalte gefährdet. Der »Rückkanal« ist lediglich für den Transfer der Kreditkartennummer ausgelegt, während gleichzeitig immer größere Datenmengen hin zu den »integrierten Konsumenten« gepusht werden. Möglicherweise spaltet sich das Internet auf in ein multimediales Glasfaser-Bezahl-Web sowie ein verkümmerndes Kupfer-Free-Net. Bis zur Fusion hatte sich Steve Case noch selbst für den freien Zugang zu den Netzen ausgesprochen. Von Dulles aus leistete er in den benachtbarten Regierungsbehörden von Washington massive Lobbyarbeit und unterstützte zudem den Graswurzel-Verband OpenNet Coalition. Dies alles richtete sich gegen die Abschottungspolitik von AT&T.

Nun jedoch, da AOL Zugriff auf die Kabelnetze von Time Warner hat und möglicherweise AT&T selbst schluckt, schwenkt Steve Case um. Plötzlich soll nicht mehr die Politik, sondern der Markt die Angelegenheit regeln.