Sahne statt Sattler

Gefährliche Orte LXXXVII: Zugige Hallen und teure Strips auf der Erotikmesse im Flughafen Tempelhof.

Der Wachmann auf dem Gelände des Flughafen Tempelhof antwortet schon, bevor er überhaupt gefragt wird. »Erotikmesse? Da lang!« weist er routiniert den Weg zur Verkaufsausstellung rund um das Thema Fetisch im ehemaligen Hangar 2.

An der Kasse muss man dann selber entscheiden, wo man hin will. Für 35 Mark gibt es Live-Shows, Erotik- und S/M-Modeschauen, der zusätzliche Zugang zum einen Stock höher gelegenen VIP-Bereich ist erheblich teurer, das Programm dort dafür exklusiver.

Das angekündigte »lebende Büffet« besteht aus einer auf einem Tisch liegenden Blondine, die mit Instantsahne und Dosenpfirsichen garniert ist. Ein Security-Mann passt auf, »dass nichts passiert, was die Frau nicht möchte«. Die Männer, die 100 Mark Eintritt für den VIP-Bereich bezahlt haben, wollen aber in der Mehrzahl nur gucken und fotografieren, nur wenige lecken an der Frau herum.

Nach dem Duschen, was erstaunlich schnell ging - »diesmal war's Sahne, das ist okay, aber Honig ist echt schwer abzukriegen« - erzählt Nathalie Night über ihren Job. »Ich bin Exhibitionistin - und so kann ich Spaß und Arbeit gut miteinander verbinden«, sagt die 20jährige aus Polen, die bei der Love Parade vor zwei Jahren bekannt wurde, als sie nackt auf dem Wagen der Porno-Firma Inflagranti tanzte.

Sie und ihr Freund Thomas sind nun regelmäßig im eigenen Wohnmobil unterwegs, um Videofilme zu drehen. Die zeigen hauptsächlich Nathalie, die entweder nackt oder halbnackt durch die Hauptstraßen irgendeiner Stadt spaziert und die Reaktionen der Passanten. Davon und von Jobs wie dem auf der Berliner Sexmesse können beide schon leben, wie sie stolz sagen. Schließlich sind sie auch oft zu Gast in TV-Erotikmagazinen. Thomas hat deswegen vor kurzem sogar seinen gesicherten Beamten-Job im gehobenen Öffentlichen Dienst gekündigt: »Jetzt sind wir frei, fahren viel herum und filmen, wann immer wir Lust dazu haben.« Ohne die Hauptdarstellerin, das weiß auch Thomas ganz genau, hätte er es schwer: »Manchmal habe ich schon Angst, dass es zwischen uns eines Tages aus sein könnte - ich habe schließlich sehr viel dafür aufgegeben.«

Nathalie hofft dagegen schon bald auf den Porno-Oscar, der würde auch ihre Eltern »noch stolzer machen«. Anfangs hatte sie Angst, ihnen von ihrer Arbeit zu erzählen, »aber dann war alles ganz einfach, sie haben sich sogar eine Satelliten-Schüssel gewünscht, damit sie in Polen meine Fernsehauftritte live sehen können«. Thomas bleibt in puncto Auszeichnung aber realistisch: »Das ist noch viel zu früh«, sagt er, wahrscheinlich nicht zum ersten Mal.

Unten im Ausstellungsraum blicken die wenigen Besucher immer mal wieder neidisch zum VIP-Bereich hoch, zumal Nathalie für sie gelegentlich nackt am Geländer posiert und zu ihnen hinabwinkt. Bis zum Programm auf der Hauptbühne dauert es nämlich noch, und das Angebot der wenigen Stände ist rasch durchgeschaut. An einem Stand wird es jedoch plötzlich laut, hauptsächlich männliche Besucher haben sich dort versammelt. »Ruhig hier noch einmal hereingeschaut«, werden sie im Tonfall eines Rummel-Ansagers angemacht. Im angeschlossenen Separee finde, so steht es auf einem der grellen Plakate, eine »exklusive Strip-Show« statt. Eintritt 15 Mark, die »nägste Vorstellung« beginne sofort. Mmmh. Müsste da nicht eigentlich einiges ein wenig anders geschrieben werden oder handelt es sich bei der Ankündigung um einen besonders raffinierten Werbegag? »Du jloobst ja nüscht, wie ejal mir de Rechtschreibung is!« sagt der Mann am Einlass, der aussieht, als lasse er ansonsten rechtschreiben, und seine Kunden sehen das wohl ähnlich. Doch, doch, die Vorstellung sei sehr gut gewesen, erklärt ein Besucher etwas später, »bisschen teuer für'n Striptease, aber doch okay«. Und er fröstelt.

Denn es ist kalt in der Halle, das beklagt auch Mike Knospe von der »Discret Manufaktur«. Und weil gerade keine Interessenten für schwarze Lederartikel mit silbernen Nieten dran da sind, erzählt er über seine Firma. Der Niedergang des deutschen Handwerks betreffe nämlich auch die Porno-Industrie, ein Umstand, der leider niemals erwähnt werde. Die von ihm vertriebenen Bondage-Artikel - »der Freak sagt Erziehungszubehör« - müssen nämlich, so Knospe, »auch von der Firma selbst angefertigt werden, sonst rechnet sich das nicht«. Sattler werden jedoch kaum noch ausgebildet, sagt der Görlitzer, »deswegen muss ich alles alleine machen«.

Solche Probleme hat Kerstin Uhera vom Stand schräg gegenüber nicht. Sie verkauft Dessous »für Mollige von Größe 44-60«. Denn auch die extrem Übergewichtigen haben ein Recht darauf, sexy auszusehen, findet Kerstin, die selber schlank ist. Die Nachfrage ist groß, die Beschaffung dagegen manchmal schwierig, »denn bei den großen Größen kommt es noch mehr auf gute Qualität an«. Kerstin betreibt einen Spezial-Laden in Neukölln, gemeinsam mit einer Freundin veranstaltet sie Partys für Mollies. »Da merkt man, wie ungeheuer groß der Bedarf eigentlich ist.«

Allerdings nicht auf der Messe, nur 20 Prozent des Publikums sind Frauen. Und die meisten von ihnen interessieren sich entweder für den Schmuckstand, an dem völlig normale Ohrstecker und Halskettchen angeboten werden und dessen Betreiber ein wenig gelangweilt herumsteht, oder für das Angebot des Tätowierers, der sich nicht nur für rote Rosen und Herzchen zuständig fühlt, sondern auch für Permanent-Make-up und Schneidezähne. Mit einem gut verträglichen, ökologisch völlig korrekten Spezialkleber bringt er dort Brillanten an, die in seinen Werbebroschüren in Anführungszeichen gesetzt sind.

Die einzelnen Männer unter der Kundschaft betrachten solche Angebote jedoch mit geringschätzigem Grinsen, »alles bloß blöde Spanner hier«, sagt einer, die »richtigen Leute« fehlten, und mit »solchen Lutschern« mache das ja alles gar keinen Spaß, die brächten »so'ne verdruckste Atmosphäre.« Mehr will er nicht sagen, aber morgen, so hofft er, werde er dann doch Gleichgesinnte treffen.

Etwas weiter werden Videokassetten der mehrteiligen Reihe »Mut zur Demut« verkauft, oder würden es, wenn es nur mehr Kaufwillige gäbe. Die meisten schauen sich jedoch nur die Titel an, während sie gleichzeitg die Bühne im Auge behalten, auf der jeden Moment die nächsten Live-Acts beginnen müssten.

Und tatsächlich: Harte Wumm-Wumm-Beats kündigen den Showteil an. Stripperin Steffi hat sich einen jungen Mann auf die Bühne geholt und ihn dort auf einen Stuhl gesetzt. Er trägt einen Verband an der rechten Hand, die er sorgfältig auf seinem Oberschenkel lagert. Steffi tanzt um ihn herum, während er ein wenig verlegen seinen Kumpels zulächelt, und setzt sich plötzlich kurz auf ihn. Autsch! - das tat weh. Danach ist der Mann mehr damit beschäftigt, die arme gequälte Hand rasch hinterm Stuhl zu verstecken, wenn die Tänzerin sich ihm nähert, als die Vorstellung zu genießen.

Ein Strip folgt dem nächsten, wobei unbedingt ein Trend hin zu Kerzen festzustellen ist. Fast jede der Tänzerinnen trägt zu Beginn ihres Auftritts welche in der Hand und hat im späteren Verlauf, wenn freie Hände zum Ausziehen gebraucht werden, ein deutliches Problem, sie so abzustellen, dass sie keinen Schaden anrichten können. Die Männer stört das wenig, begeistert schauen sie zu, meistens mit halb offenen Mündern. Und nach dem Ende der Show stehen sie noch ein Weilchen vor der Bühne herum, als hätten sie immer noch nicht begriffen, dass jetzt tatsächlich erstmal wieder für eine Stunde Schluss sein soll mit dem Nackte-Frauen-Angucken, dann machen sie sich ein wenig resigniert auf den Weg. Denn bis es wieder losgeht, sind noch viele Aufwärm-Runden durch die große, leere Halle zu drehen.