Kohl, Mitterrand und Leuna

Affaire d’État

Wenn noch irgend etwas gefehlt hat, um aus der Bimbes-Affäre der Union eine Staatsaffäre von der Dimension des italienischen Mani-Pulite-Skandals zu machen, dann wurde das fehlende Bindeglied spätestens am letzten Wochenende ergänzt: Mit dem Finanzchef der Unionsfraktion, Wolfgang Hüllen, der sich in seiner Berliner Wohnung erhängte, hat die Affäre ihren ersten Toten, mit dem früheren Schreiber-Kompagnon Giorgio Pelossi, der in Chicago wegen Geldwäsche für die kolumbianische Mafia festgenommen wurde, ihre erste Querverbindung ins so genannte schwer kriminelle Milieu.

Vor allem aber hat sie eine internationale Dimension und eine Dimension, die an das Selbstverständnis des Gemeinwesens BRD rührt, seit die ARD und der französische Sender France 2 einen Zeugen präsentierten, der glaubwürdig darlegte, bei der Zahlung von rund 50 Millionen Euro habe es sich um eine persönliche Zuwendung des französischen Präsidenten Fran ç ois Mitterrand an seinen Freund Helmut Kohl zur Finanzierung von dessen Wahlkampf vor der Bundestagswahl 1994 gehandelt.

Die Geschichte ist so stimmig, dass sie schon sehr gut erfunden sein müsste, wenn sie denn nicht wahr sein sollte: Mitterrand hat den damals staatlichen Elf-Konzern während seiner Amtszeit als persönliche Pfründe behandelt, er setzte die führenden Elf-Manager ein, die nicht selten den Geheimdiensten entstammten, und oft bewegte Elf sich mit seinen Geschäftspraktiken weit außerhalb des bei anderer Gelegenheit so lauthals proklamierten Legalitätsprinzips. Das Geschäftsengagement des Konzerns in diversen Staaten Afrikas und Lateinamerikas hatte das Muster vorgegeben, nach dem auch in Deutschland verfahren wurde. Dass Mitterrand Kohl zu Beginn der neunziger Jahre viel näher stand als dessen sozialdemokratischen Widersachern, ist ebenso bekannt wie die Begeisterung beider Staatsmänner für die Idee einer französischen Beteiligung an der Restaurierung der maroden Leuna-Raffinerie.

In einer vollends liberalisierten Zukunft wird man die Existenz von Staatskonzernen wie Elf oder der italienischen Eni und Mega-Privatisierungen wie die von Leuna und der Minol-Kette vermutlich als Springquell der Korruption bezeichnen. Bis dann irgendwann eine Affäre kommen wird, die den Beweis liefert, dass staatliche Beteiligungen an Industriebetrieben vielleicht geeignet sind, Korruption zu fördern, aber sicher nicht allein verantwortlich für deren Entstehung. Solange es Geld und Macht gibt, wird das eine nach dem anderen streben: Dort, wo sie sich treffen, fängt die Korruption an.

Damit ist aber noch kaum etwas gesagt über die Ziele, die der Schmiergeldzahler verfolgt. Die Vokabel »Wirtschaftsinteressen« greift hier zu kurz: Im wirtschaftlichen Interesse wäre es im Fall Leuna gewesen, den Industriekomplex an einen der außereuropäischen Bieter zu verkaufen, die mehr boten als Elf. Gesiegt hat am Ende das politische Interesse, das eine Einbindung Frankreichs in das Unternehmen »Aufbau Ost« wünschte. Dem wirtschaftlichen Interesse konnte es schon damals egal sein, ob die Partei an der Regierung ein S oder ein C am Anfang ihres Namens hat. Gesiegt hat das politische Interesse am Erhalt einer Sonderbeziehung zwischen Deutschland und Frankreich. Dass dabei auch noch eine kräftige Tranche für die Partei des Helmut Kohl abfiel, wäre in machiavellistischeren Zeiten vermutlich als politisches Genie bezeichnet worden.