Anmut und Alltag

Schönes aus Berlin und Beck aus Ostwestfalen: Contriva und Floor.

Freundlich bricht sich das Licht eine Bahn durch die Äste der Bäume in den merkwürdig unbenutzten Parkanlagen und knallbunt treibt es die Leutchen über die Beusselstraße. Das ist Moabit - der Berliner Stadtteil, in dem niemand leben will, wo jeder nur leben muss. Entweder weil sie oder er aus dem Westen der BRD kommt und noch immer dem Mythos Westberlin erlegen ist oder weil er oder sie sich diese Variante von einer unteren Mittelstandsexistenz sonst nur noch im Wedding hätte leisten können.

Natürlich schlägt hier auch das Innenministerium seine Zelte auf, denn hier kann man sehen, wie langweilig angenehm der durchgesetzte Kapitalismus daherkommt. Die Fassaden der Häuser sind ordentlich, aber auch schon seit zehn Jahren nicht mehr überarbeitet, die Infrastruktur Moabits ist im Kern marode, aber noch weitgehend solide und benutzbar, und beim Kaufhaus an der Turmstraße kann man täglich miterleben, wie leer für manche das Leben ist. Wenn man das wissen will.

Dass in einer solchen Gegend ein Plattenlabel aufmacht, das in den letzten Monaten zumindest in Berlin ziemlich von sich reden gemacht hat, verwundert nur auf den ersten Blick. Denn hinter Monika Enterprises steht Gudrun Gut, gestandene Westberlinerin und als einstiges Mitglied der Band Malaria reichlich medienerfahren. Gut ist es auch, die auf dem Jahr für Jahr öder werdenden Berliner Rundfunkmarkt mit ihrer und Thomas Fehlmanns »Ocean Club»-Radioshow auf Radio eins zu einer Legende geworden ist. Das Spektrum der im »Ocean Club« gespielten Musik ist so breit, dass das Format der Sendung einzig durch ihre Macher bestimmt wird - Autoren-DJing gewissermaßen.

Nun ist auf dem Monika-Label eine anmutige Postrock-Platte erschienen - unrau, sanft, episch. Die Band, die solche Platten aufnimmt, heißt Contriva. Und sie ist dank ihrer guten Kontakte zum Maria am Ostbahnhof ebenfalls eine Berliner Szenegröße. Ihre Platte heißt »Tell Me When«, und musikalisch siedeln Contriva irgendwo zwischen den Kitty Yo-Bands Couch (obwohl sie nicht so geplant klingen) und Kante (obwohl sie nicht so diskursiv klingen), und sie sind qua Liebe, Arbeitsteilung und Doppelmitgliedschaften die Schwesterband von Mina - obwohl Mina schriller und bunter sind und damit einen viel stärkeren Pop-Aspekt haben. So viel zu den technischen Daten.

Beim Inhalt wird es dann schwieriger: Die Schönheit der Platte liegt in ihrem Zitatenreichtum und der nostalgischen Verwendung der Instrumente einerseits und der Wohnzimmerweitläufigkeit, die von diesen Stücken ausgeht, andererseits. Wohnzimmerweitläufigkeit, das ist: wenn man die Instrumente ausklingen läßt und die Musik schweifen und sie sich jeder Form von Aufbruch oder Protest versperrt. Kurz, diese Platte geht sausouverän im Kreis herum.

Die Seltsamkeit, die von den Stücken ausgeht, beruht dabei zu einem Gutteil darauf, dass die Band ein scheinbar gespaltenes Verhältnis zu ihren Möglichkeiten hat. Man merkt Contriva an, dass, um an der Oberfläche schön zu bleiben - und schön ist diese Platte zweifelsohne -, jeder Störversuch unterlassen worden ist. Selbst die zaghaft eingesetzte verzerrte Gitarre ist nur ein barocker Dekor, und darf sich eben gerade nicht freirudern. Etwas an der Platte ist unkühn.

Dem Postrock insgesamt ist eine wehe Sehnsucht nach epischer Musik eigen. Doch haben die Postrocker aus einem Moderne-Missverständnis heraus geglaubt, diese epische Musik nur noch gebrochen oder aus der Distanz heraus machen zu können - ansonsten fühlten sie sich nicht genug originell, aktuell, modern oder chic. Man wollte auf der Scheiße surfen, zwischen sich und der Welt aber immer noch etwas fein Trennendes haben. Das hieß oft, dass man ganz aufhörte, Texte oder andere Verbindlichkeiten in die Musik einzubauen.

Bands wie Laika oder Musiker wie David Grubbs, für deren Lieder der Begriff Postrock einst geprägt wurde, haben sich inzwischen wieder dem Song zugewandt und, bei aller schlauen Brechung, so den Abstand zwischen sich und der Welt aufgehoben. Sie sind vom Sekundärtext in den Text zurückgekehrt.

Jemand wie Christopher Uhe aber hat sich erst gar nicht in ein inneres Exil begeben. Er hat erst mal in den Mund genommen, was ihm vor die Füße fiel, bevor er ahnte, dass es bäh sein könnte. Anders als die studentische Fraktion hat Uhe sein Handwerk bei den Meisterinnen und Meistern des Songbaues gelernt und daher nie die Scheu vor dem Text verspürt.

Seiner neuesten Platte, der ersten unter dem Projektnamen Floor, ist das deutlich anzuhören. Bis auf wenige wunderschöne Perlen wie: »Yeah I know it's not right / but I feel so democratic tonight« erzählen die Texte recht plump vom Alltag eines liebenden, rauchenden, einfach anwesenden Menschen. Doch die Musik macht daraus wuchtige Songs, die mit mannigfacher Verzerrung, Soulchaos-Orgel oder glitzerndem Groove in die Texte brechen und den simplen Betrachtungen eine dicke Wolke Leben einhauchen. Gute Songs eben, vom ostwestfälischen Beck.

Aber Uhe wohnt mitten in der DDR, tief drin, nämlich in einem Hochhaus an der Leipziger Straße. Dort ist zwar auch der Ordnungswahn und deutsche Borniertheit mit großen Schaufeln verteilt worden, aber die Leerstände und die scheue Verschrecktheit der graubejackten Doozer an den Rändern von Berlin-Mitte zwingen eine und einen bei jedem Einkaufsgang dazu, den bundesdeutschen Zuständen Beachtung schenken zu müssen. Eine Zeit für Songs also. Und auch wieder für Rock. Die sanfte Beiläufigkeit des Postrock sieht dagegen ein bisschen sehr pluralistisch und allzu besonnen aus.

Contriva: »Tell Me When«. Monika Enterprises (Indigo)
Floor: »Free Range«. Supermodern (Indigo)