Der Schlossplatz in Mitte

Der König ist tot, es lebe sein Schloss

Gefährliche Orte LXXXVIII: Der Schlossplatz in Mitte. 50 Jahre ohne Monarchensitz sind genug, deswegen soll der Palast der Hohenzollern jetzt doch rekonstruiert werden.

Was macht weniger Sinn? Ein Schloss ohne König oder ein König ohne Schloss? In der Berliner Republik ist zur Zeit vor allem die Frage selbst unsinnig. Denn es gibt weder König noch Schloss im Regierungsbezirk Mitte - noch nicht!

Wer in der Hauptstadt einen Monarchensitz bewundern möchte, muss auf andere Bezirke ausweichen: das bürgerliche Charlottenburg etwa oder Tiergarten, wo im Schloss Bellevue seine Durchlaucht Johannes Rau, Bundespräsident zu Deutschland, standesgemäß residiert. Das sind aber keine richtigen Schlösser, keine Zentren historischer wilhelminischer Macht. In beiden war früher kein ordentlicher Amtssitz eines ordentlichen deutschen Monarchen.

Beim Stadtschloss in Berlin-Mitte war das anders. In dem barocken Prunkbau wurden nicht nur Bälle und Empfänge zum Vergnügen des Hohenzollerngeschlechts gegeben - er war geradezu ein Sinnbild für die absolute Herrschaft des Königs. Und das nicht nur vom Interieur her: Der Bau an sich trug ein Übriges dazu bei.

Der Architekt Andreas Schlüter hatte im 18. Jahrhundert ganze Arbeit geleistet. Die Monarchenresidenz war nicht nur in der Mitte, sie war die Mitte der preußischen Hauptstadt schlechthin - und damit ganz Preußens. Der Boulevard Unter den Linden wurde vom Protzbau zum Brandenburger Tor führend entworfen, alle anderen historischen Gebäude in der Berliner Innenstadt wurden ebenso auf das Schloss hin ausgerichtet. Schlüter inszenierte das Machtzentrum als ästhetischen Mittelpunkt der Stadtarchitektur - symbolisierend, dass am Königshaus nicht vorbeikommt, wer den historischen Kern Berlins aufsuchen will. Allmacht durch Allgegenwart.

Karl Liebknecht bediente sich am 9. November 1918 der Symbolik der Macht, um ihr Ende zu verkünden, als er vom Balkon des Palastes die Republik ausrief. Genützt hat es ihm aber nichts. Die Lehre aus dieser Geschichte ziehend, dachte man sich in der DDR einen besseren Verwendungszweck für das Schloss aus und zerlegte es 1950 in seine Einzelteile. 13 Tonnen Dynamit und drei Monate brauchte man dafür. Am Ende blieb der Platz dennoch das Herzstück der Innenstadt: Ein Aufmarschplatz für die Massenorganisationen der Arbeiter- und Bauernmacht - und vor allem für deren Führer - übernahm die symbolische Funktion des Prunkbaus.

Aber die DDR ist schon fast zehn Jahre Geschichte und daher soll jetzt ein neues Schloss her. Oder ein Remake des alten - egal, Hauptsache ein dem Schlüter-Bau ähnlicher architektonischer Mittelpunkt der Berliner Innenstadt - und damit ganz Deutschlands. Die Berlin-Redaktion der FAZ hat sogar schon mit der Aufbauarbeit begonnen und mit ihrem investigativen Gespür ein paar Trümmer des alten Gebäudes ausfindig gemacht: »Wie zufällig liegen gelassen und ohne Hinweis auf ihre Herkunft fallen sie nur dem ins Auge, der sie sucht.« Zum Glück, muss man hinzufügen. Denn mit ins Auge fallenden Schloss-Resten ist bestimmt nicht zu spaßen.

Ebenso wenig wie mit den Befürwortern der Hohenzollern-Auferstehung. Denn die meinen das tatsächlich ernst. Schon 1993 hatte der Förderverein Berliner Stadtschloss mit einer Plastikattrappe an der historischen Stelle den Wiederaufbau angeregt. Mit Erfolg: Der Andrang war groß, Touristen wie Berliner wollten unbedingt das improvisierte Schloss begutachten, um dann die Errichtung eines »richtigen« zu fordern. Dienstag vergangener Woche hat der Verein nachgelegt und eine zweite Nachbildung des Schlosses präsentiert: selbst gebastelt aus Holz, Pappe, Kunststoff und Folie.

Alle Berliner sollen sich anhand dessen schon mal davon überzeugen, wie dringend sie dieses Gebäude eigentlich schon immer gebraucht haben. In der traditionellen Hauptstadtarchitektur mit dem Palast als ästhetischem Zentrum sieht der Vereinsvorsitzende Wilhelm von Boddien ein konstituierendes Moment der »Berliner Identität«. In den letzten 50 Jahren völlig orientierungslos und brutal individualisiert, sollen die Hauptstädter eins werden mit dem rekonstruierten Bau und sich künftig vereint in dem neuen alten Schloss als Herzstück Berlins wiederfinden und ihm damit auch die einstige Autorität verleihen. Eine Wahnsinnsidee, mit der sich von Boddien schon mal für den Posten als Wilhelm III. bewerben kann.

Bei solch einer Konzeption machtvoller Architektur will natürlich auch Bundeskanzler Gerhard Schröder nicht zurückstehen. Warum er einen Wiederaufbau befürwortet? Weil er das Schloss schön findet. Das leuchtet ein und beruhigt zugleich, es hätte ja schlimmer kommen können. Was wäre gewesen, hätte Schröder plötzlich seine Vorliebe für ein hübsches Gestapo-Hauptquartier entdeckt? Oder wenn er Gefallen daran fände, den Eiffelturm in Berlin zu postieren und deswegen zum Angriff gegen Frankreich bliese?

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) kann dem Kanzler andere profunde Gründe liefern, warum man unbedingt ein Schloss braucht: Der leere Platz sei eine »Wunde in der Stadt, die jetzt geheilt werden muss«. Das ach-so-bedauernswerte Berlin - durch zwei mehr oder weniger zufällig vorbeikommende Weltkriege fürchterlich gebeutelt, von den Alliierten besetzt und hemmungslos zerstückelt und nach der Wiedervereinigung nun auch noch von einem Holocaust-Mahnmal inmitten der Stadt heimgesucht - braucht wieder Selbstbewusstsein, will der Mann damit wohl sagen.

In spätestens drei Wochen soll die Vorarbeit beginnen: Eine gemeinsame Kommission des Berliner Senats und der Bundesregierung soll die Details ausarbeiten. Derzeit entfacht man zwar noch ein Diskussions-Spektakel, wie das neue Bauwerk konzipiert sein soll. Dass es eines mit Schlosscharakter sein wird, ist mittlerweile unstrittig. Es geht nur noch darum, wer das Geld rausrückt und ob es in dem Gebäude auch eine kommerzielle Nutzung geben soll. Nur die PDS hat bescheidene Bedenken angemeldet. Vor allem, weil sie den Palast der Republik erhalten möchte, und weil »der Verlust des Stadtschlosses« auch durch einen Nachbau nicht ersetzbar sei. »Erinnernde Trauerarbeit« heißt die Devise der Partei, und die Zukunft des Platzes will sie öffentlich debattiert wissen, in der Hoffnung auf das Gute in Deutschland. Die Massen werden sich statt des Schlosses für den Palast der Republik entscheiden, so offenbar das Kalkül, das allerdings den Erfahrungswerten widerspricht.

Ein anderes Szenario scheint da wahrscheinlicher: Berlins Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) deutete letzte Woche schon mal an, wenn man ein Schloss hinstelle, müsse es auch für eine »bedeutende öffentliche Nutzung« zur Verfügung stehen. Aber nicht irgendeine - sondern eine, »die in ein Stadtschloss passt«. Viele Möglichkeiten gibt es da nicht: Ein Schloss ist die Residenz eines Monarchen.

Bleibt nur noch die Namensfrage: Gerhard I. oder Wilhelm III.? Und: Wie nennt sich dann, was heute noch »Berliner Republik« heißt?