Gut gerüstet

Die Verletzung von Menschenrechten wird auch künftig kein Hindernis beim Export deutscher Waffen darstellen. An das mazedonische Heer in der Krisenregion Balkan wird bereits geliefert.

Es war die Stunde der Menschenrechtlerin. Claudia Roth, grüne Vorsitzende des Bundestags-Menschenrechtsausschusses, lobte die Richtlinien als »deutliche Verbesserung«. »Erstmals«, so die Kosovo-Kriegs-Befürwortin letzte Woche, werde von einer deutschen Regierung eine restriktive Rüstungsexportpolitik betrieben: Falls künftig ein »hinreichender Verdacht« bestehe, dass deutsche Waffen zu internen Repressionen oder systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden, dürfe keine Genehmigung erteilt werden.

Dafür ist Roth da: Der von Rot-Grün zum Amtsantritt eingerichtete Menschenrechtsausschuss gab grünes Licht für eine menschenrechtlich orientierte Beschränkung von Waffenexporten - so lange diese in Nicht-Nato-Staaten gehen. Ansonsten business as usual: Für EU-, Nato- und eine Reihe anderer Staaten gelten diese Restriktionen nicht.

Auf den Bericht über deutsche Exporte von Waffen und Rüstungsgütern in den Jahren 1998 und 1999, den die Regierung in den kommenden Wochen präsentieren will, braucht man deshalb gar nicht zu warten. Denn während die rot-grünen Repräsentanten die neuen Rüstungsexport-Richtlinien noch lobten, waren schon ganz andere Ausrüstungsgeräte unterwegs. In eine Krisenregion.

Augen zu und durch: Weder im Verteidigungs- noch im Wirtschaftsministerium, geschweige denn beim Auswärtigen Amt wollte man auf Jungle World-Anfrage genaue Auskunft über die Lieferung von Kriegsmaterial nach Mazedonien geben. Dabei hatte die mazedonische Nachrichtenagentur Mia am 13. Januar noch unmissverständlich wissen lassen: Deutschland hat mit der Lieferung von Ausrüstung und Waffen für die Armee des Balkanstaates begonnen. In der griechischen Hafenstadt Thessaloniki sollen der Meldung zufolge 115 gepanzerte Transporter, Medizinartikel, Bergausrüstung sowie leichte Waffen und Munition eingetroffen sein.

Dies könnte der erste Teil einer Lieferung sein, die Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) nach Angaben seines mazedonischen Kollegen dem Land im Oktober 1999 versprochen hatte. Deutschland will demnach 300 Geländewagen und 150 gepanzerte Mannschaftstransporter liefern. Außerdem seien 100 000 Sturmgewehre, 10 000 Maschinenpistolen, 150 Luftabwehrwaffen, Pistolen und medizinische Ausrüstung in Aussicht gestellt worden.

Im Wirtschaftsministerium nimmt man an, dass es sich bei der Lieferung um Bundeswehrbestände handelt und fühlt sich deshalb nicht zuständig. Auch das Auswärtige Amt hält sich bedeckt. Schließlich gehe es nicht um Exporte, sondern um Rüstungshilfe. Das Verteidigungsministerium räumte lediglich die Lieferung von 300 Iltis-Geländewagen ein.

Düstere Zeiten für die deutsche Rüstungs-Industrie? Wie das Beispiel zeigt: wohl kaum. Dass sich künftig wenig ändern wird, macht schon ein Blick in die neuen Rüstungsexport-Richtlinien deutlich. Kriegswaffen sollen demnach nur dann nicht geliefert werden, wenn der Verdacht besteht, dass sie zu Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden könnten. Entscheidungen werden damit lediglich am Potenzial von Waffen festgemacht, was in der Praxis dazu führt, dass Minenjagdboote, Fregatten, Torpedos und U-Boote durchaus an die Türkei geliefert werden können.

Diese Ansicht wird auch im Verteidigungsministerium und im Auswärtigen Amt vertreten. Engegen der Behauptung von Claudia Roth, dass Leopard-Lieferungen in die Türkei derzeit undenkbar wären, hieß es dort, dass ein Panzerverkauf durch die neuen Richtlinien nicht ausgeschlossen sei. Trotz Drängen der Grünen bleibt zudem eine parlamentarische Kontrolle von Waffenexporten ausdrücklich ausgeschlossen.

Auch die vermeintliche Empörung eines Sprechers des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) über das rot-grüne Menschenrechtssiegel entlarvte sich letzte Woche selbst: Die Verabschiedung der verschärften Grundsätze durch das Kabinett sei ohne vorherige Abstimmung mit den betroffenen Unternehmen erfolgt, beklagte sich der BDI. Durch den nationalen Alleingang Deutschlands würde die Existenz vieler Rüstungsfirmen bedroht.

Wenn die Regierung Schröder-Fischer nun verstärkt auf die Einhaltung der Menschenrechte in Käuferländern schauen wolle, dann hätte das zuvor international verankert werden müssen, um bei heiklen Aufträgen nicht hinter den Waffenschmieden in Frankreich und Großbritannien zurückzustehen. Wenn das Papier umgesetzt würde, würden deutsche Spitzentechnologien - nicht nur in der Wehrtechnik - und die damit verbundenen Arbeitsplätze ins Ausland abwandern.

Beim Stichwort »nationaler Alleingang« eilte der Industrie letzte Woche der CDU-Bundestagsabgeordnete Paul Breuer zur Seite. Als verteidigungspolitischer Sprecher wurde er noch einen Tick deutlicher: »Bei aller Bedeutung der Menschenrechte gerade in der europäischen Politik geht es auch um andere wichtige europäische Werte wie Stabilität und Bündnisfähigkeit.« Auch er verlangte internationale Absprachen, um »deutsche Sicherheits- und Industrieinteressen effektiv zu wahren«.

Die Regierungstruppen dagegen verfielen in Freudentaumel. Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Gernot Erler, der wie Roth an der Formulierung des Papiers mitgewirkt hatte, sah in den Richtlinien eine »gelungene Balance« zwischen der Notwendigkeit, Waffenexporte unter Menschenrechtskriterien wirksam zu überprüfen, und dem deutschen Interesse, im europäischen Rüstungs-Wettbewerb (Jungle World, 50/99) konkurrenzfähig zu bleiben.

In den Allgemeinen Prinzipien der Richtlinien wird der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungsland für Waffenexporte immerhin »besonderes Gewicht« beigemessen. Genehmigungen würden grundsätzlich nicht erteilt, wenn Verdacht bestehe, dass diese zur internen Repression im Sinne des EU-Verhaltenskodexes oder zu sonstigen systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden. Schaut man im EU-Verhaltenskodex nach, dann wird »interne Repression« dort mit Folter, grausamen Bestrafungen, willkürlichen Verhaftungen und Hinrichtungen sowie dem Verschwindenlassen von Personen definiert. Das allerdings würde nicht gegen die Lieferung von Panzern und Flugzeugen sprechen, eher gegen den Export von Gummiknüppeln und Polizeifahrzeugen.

»Grundsätzlich nicht zu beschränken« ist der Waffenexport in Nato- und EU-Länder. Dazu zählen auch Australien, Japan, Neuseeland und die Schweiz. Fast die halbe Welt steht der Industrie somit offen. Bei Rüstungskooperationen mit diesen Staaten, Kooperationen die einen Export in alle Welt beinhalten können, will die Bundesregierung ihre Grundsätze gerade noch »soweit wie möglich« verwirklichen - unter Beachtung ihres »besonderen Interesses an der Kooperationsfähigkeit« der deutschen Rüstungsindustrie. Exportieren deutsch-ausländische Firmengruppen trotzdem in kritische Gebiete, dann entscheidet allerdings nicht allein das Kriterium Menschenrechte. Die Regierung will »abwägen« zwischen Kooperationsinteressen und dem Grundsatz restriktiver Rüstungsexportpolitik. Bei Zulieferungen sieht die Sache noch entspannter aus. Werden Waffen oder Baugruppen im Empfängerland »durch festen Einbau in das Waffensystem integriert«, begründet das »ausfuhrrechtlich« einen neuen Warenursprung. Sprich, Deutschland ist nicht mehr verantwortlich.

Punkt Drei beschäftigt sich mit dem Rest der Welt. Rüstungsexporte in »sonstige Länder« sollen nicht genehmigt werden. Doch im »Einzelfall« können besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik trotzdem für eine »ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung« sprechen. Das Exportverbot greift letztlich nur in Ländern, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind. Das Pochen auf eine Zusicherung der Empfängerländer, deutsche Waffen nicht irgendwann weiterzuexportieren, scheint da nur noch Kosmetik. Denn auch der Weiterexport ist nach vorheriger Absprache mit der Bundesregierung durchaus möglich.

Die grüne Verteidigungsexpertin Angelika Beer verhielt sich letzte Woche verdächtig ruhig. Letztes Jahr noch sah sie »die Gefahr einer Kontinuität der Rüstungspolitik der alten Bundesrepublik ganz deutlich« - und das nicht erst beim Streit um den in die Türkei gelieferten Testpanzer Leopard 2. Auch zu den Waffenlieferungen in das Krisengebiet Mazedonien wollte Beer auf Jungle World-Anfrage lieber keine Stellungnahme abgeben.