Knast im Knast

Von der Linken unbeachtet, findet derzeit der wohl größte Hungerstreik gegen das deutsche Gefängnissystem seit den siebziger Jahren statt.

Der Text liest sich wie eine Verlautbarung von Antideutschen: »Deutschland setzt sein Nazi-Erbe fort! Der deutsche Staat ist in seiner Geschichte, sei es den Revolutionären im eigenen Land, sei es Revolutionären aus anderen Ländern, immer ein Feind gewesen. Diese Feindschaft endete nicht mit dem Nazi-Regime, sondern setzt sich mit großer Geschwindigkeit heute noch fort.« Doch die Erklärung stammt nicht etwa aus der Bahamas, sondern von über tausend Gefangenen der türkischen Revolutionären Volksbefreiungsfront (DHKP-C).

Sie alle sind Mitte Januar in einen einwöchigen Hungerstreik gegen das deutsche Knastsystem getreten. Zeitgleich verweigerten auch Knackis in Belgien, Frankreich und der Schweiz die Nahrung. Der Hintergrund: Die türkischen Gefangenen wollen 15 Genossen unterstützen, die in deutschen Haftanstalten teilweise seit fast 60 Tagen im Hungerstreik sind.

Angefangen hatte alles, als der wegen Mordes an einem in Hamburg lebenden türkischen Faschisten zu einer lebenslänglichen Haft verurteilte Ilhan Yelkuvan am 30. November vergangenen Jahres begann, die Nahrung zu verweigern. Ein Indizienprozess und einige nach Meinung seines Anwaltes dubiose Kronzeugenaussagen hatten das Urteil erst möglich gemacht. Seine Aktion werde er erst beenden, drohte Yelkuvan zu Beginn des Hungerstreiks, wenn die Sonderhaftbedingungen aufgehoben würden, denen er im Hamburger Untersuchungsgefängnis unterworfen sei. Im Laufe des letzten Monats haben sich dann die übrigen Gefangenen dem Hungerstreik angeschlossen.

Yelkuvans Verteidiger Eberhardt Schultz beschreibt die Auswirkungen des Sonderhaftstatuts auf den Gefängnis-Alltag seines Mandanten: »Er ist 23 Tage in Einzelhaft, darf nur allein zum Hofgang gehen. Alle Gemeinschaftsaktivitäten, beispielsweise Sportveranstaltungen, werden ihm konsequent verweigert.« Zudem werde seine Post zensiert, viele linke türkische Zeitschriften würden einfach nicht ausgehändigt.

Schon mehrmals hat Schultz vergeblich gefordert, dass die erschwerten Haftbedingungen aufgehoben werden. Nun will er eine Verfassungsbeschwerde einreichen. Dabei bräuchte Yelkuvan lediglich wieder in das Untersuchungsgefängnis Vierlande zurück verlegt zu werden, wo er ein halbes Jahr lang wie jeder andere Häftling behandelt worden war. Die damals für seinen Fall zuständige Bundesanwaltschaft hielt erschwerte Haftbedingungen nicht für notwendig, weil die DHKP-C zwar gegen den türkischen Staat kämpfe, für den deutschen aber keine Gefahr darstelle.

Erst mit der Abgabe des Verfahrens an den als besonders konservativ geltenden 4. Hamburger Strafsenat unter Vorsitz von Richter Albrecht Mentz traten die Sonderhaftbedingungen in Kraft. Wobei die Begründungen wechselten: Zunächst hieß es, Yelkuvan solle mit der Isolation vor Angriffen einer konkurrierenden linken Organisation geschützt werden. Doch von dieser Gruppe, dem so genannten Yagan-Flügel, sitzt kein Häftling mehr in dem Gefängnis, in dem sich Yelkuvan befindet.

Jetzt wird die Fortdauer der Isolationshaft damit gerechtfertigt, dass nur so verhindert werden könnte, dass Yelkuvan unter seinen Mithäftlingen Werbung für die verbotene DHKP-C mache. Von dem Hungerstreik gibt sich die Strafkammer unbeeindruckt. Daher ist Yelkuvan am 13. Januar zu einem Todesfasten übergegangen, dem sich mittlerweile zwei weitere Gefangene angeschlossen haben. Sie stellen ihre Aktion ausdrücklich in die Tradition des Todesfastens in türkischen Gefängnissen, bei dem 1984 und 1996 16 Streikende gestorben waren. »Das Todesfasten«, warnt auch Rechtsanwalt Schultz, »hat in der Türkei eine lange Tradition. Die Gefangenen hungern bis zur Erfüllung ihrer Forderungen oder bis zum Tod.«

Doch die Strafverfolger scheint das nicht zu bekümmern. So ist Richter Mentz zu keiner Stellungnahme darüber bereit, ob er eine Änderung der Haftbedingungen selbst auf die Gefahr hin verweigere, dass Yelkuvan irreparable Schäden erleiden sollte. Und die Sprecherin der Justiz-Pressestelle Simone Käfer glaubt sich sicher: Eine akute Lebensgefahr bestehe derzeit für Yelkuvan noch nicht. Der Häftling stehe unter ständiger ärztlicher Beobachtung und werde täglich untersucht.

Lebensbedrohliche Symptome haben die Ärzte hingegen schon Mitte Januar bei dem in Aachen inhaftierten Erdogan Cakir diagnostiziert, der sich dem Hungerstreik am 17. Dezember angeschlossen hatte. »Er erbricht mindestens vier Mal am Tag. Er kann nur schluckweise Wasser einnehmen und muß sofort danach erbrechen«, heißt es in einem ärztlichen Untersuchungsbericht. Inzwischen wird er im Gefängniskrankenhaus zwangsernährt.

Vor 20 Jahren gehörten Studien zur Auswirkung von Isolationshaft und Zwangsernährung nicht nur zur Grundausstattung jeder linken Bibliothek. Selbst in stern und Spiegel fanden sich, ausgelöst durch die Hungerstreiks der RAF-Gefangenen, kritische Berichte. Daran erinnerte jetzt die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke in einer Erklärung, in der sie die Forderungen der Hungerstreikenden unterstützt und ein generelles Ende der Isolationshaft sowie eine Aufhebung des so genannten Antiterrorparagrafen 129a fordert. »Das System der Isolationshaft ist in der Bundesrepublik seit seiner Einführung in den siebziger Jahren heftig umstritten«, so Jelpke. »International wird es zu Recht als 'weiße Folter' kritisiert.« Ihre Stellungnahme ist in diesen Tagen eine Ausnahme.

Denn trotz der zugespitzten Situation der Gefangenen bleibt die linke und liberale Öffentlichkeit auf Tauchstation. Selbst Aktionen wie die kurzzeitige Besetzung der PDS-Bundeszentrale in Berlin und eines Stuttgarter PDS-Büros durch hungerstreikende Mitglieder eines Solidaritätskomitees Mitte Januar schafften kaum Öffentlichkeit. Eine dpa-Meldung zur Aktion war mit der falschen Überschrift »Kurden besetzten PDS-Büro« überschrieben. Zu den Haftbedingungen und den Hungerstreiks findet sich in der Meldung kein Wort.

Mitte Dezember hatte eine kleine, überwiegend aus türkischen Migranten bestehende Gruppe einen Solidaritätshungerstreik im Raum einer Hamburger Hochschule begonnen. Vor Weihnachten mussten sie die Aktion allerdings mangels Raum unterbrechen. Die Universität schloss ihre Pforten über Weihnachten, und die linken Projekte der Hansestadt waren nicht bereit, den Aktivisten Obdach zu gewähren.

Die Linke berief sich dabei auf einen Neutralitätsbeschluss von Anfang der neunziger Jahre. Damals führte ein Flügelstreit der DHKP-C-Vorgängerin Dev Sol zu blutigen Auseinandersetzungen, bei denen es auf beiden Seiten Tote und Verletzte gab. Nach den Führungspersönlichkeiten der beiden Gruppen wird seitdem vom Karatas- und vom Yagan-Flügel gesprochen. Aus der Karatas-Gruppe ging in der Folge die DHKP-C hervor. Mittlerweile gehören die gewaltsamen Auseinandersetzungen nach Worten Ali Ektis, dem Deutschland-Verantwortlichen der Organisation, der Vergangenheit an. Doch daran stört sich der größte Teil der Linken wenig.

So treffen die bitteren Worte, die Yelkuvan im Dezember an die 4. Strafkammer richtete, auch viele Linke: »Hier geht es nicht um eine Schuldfrage. Dieser Prozess dient ausschließlich dazu, die Organisation zu bestrafen. Dass mein Leben ruiniert wurde, interessiert hier niemanden.«