Schade um die Cocktail-Bar

Italien entdeckt die Centri Sociali als kulturelles Kapital, während sie gleichzeitig im Visier der Terrorismusfahnder stehen.

Wenn italienische Zeitschriften über das eigene Land schreiben, darf das übliche Gejammer über die kulturelle Rückständigkeit Italiens gegenüber anderen europäischen Ländern nicht fehlen. Dieser negative Nationalstolz treibt auch in der Linken manch seltsame Blüte. Etwa, wenn behauptet wird, dass der Mai '68 in Frankreich fristgerecht in einem Monat überstanden wurde, in Italien dagegen mindestens zehn folgenschwere Jahre lang gedauert habe.

Nun sah ausgerechnet Le Monde angesichts der kulturellen Aktivitäten und sozialen Experimente, die sich in den Freiräumen der besetzten Centri Sociali abspielen, »ein italienisches Kulturjuwel« funkeln, um das die Italiener in Europa nur beneidet werden könnten. Auch ein Kongress zum Thema Jugendkulturen, der im Februar in Oslo stattfinden soll, wird sich mit den Centri Sociali beschäftigen. Da bleibt es nicht aus, dass sich nun auch die italienische Presse mit den Federn der kollektiven, selbst verwalteten Zentren schmückt.

L'Espresso, der gewöhnlich im Jargon des Kriminaljournalismus und der Sensationsberichterstattung die linksextremistische und terroristische Subversion der Centri Sociali beklagt, findet plötzlich nur lobende Worte. Die kulturelle Blüte der Centri misst sich, so L'Espresso, an der in ihnen stattfindenden vielfältigen Produktion von trendiger Underground-Musik, an avantgardistischen Theater- und Tanz- und Videospektakeln, Kunstausstellungen, Debatten und Infoshops.

Im römischen Rialtoccupato gibt es gar eine freie Hochschule, die Libur. Post-operaistische Dozenten wie Paolo Virno und Lanfranco Caminiti referieren dort über die gegenwärtigen und künftigen Transmutationen der postfordistischen Epoche. Dass alles miteinander im Cyberspace spielend vernetzt ist, versteht sich von selbst. Cyberpunk und Luther Blissett lassen grüßen. So viel Konstitution war nie.

Die Abkehr von bloß antagonistischer, antistaatlicher Dissidenz sowie die unternehmerische Öffnung zur Selbstfinanzierung der Centri - selbstverständlich auf einer explizit nichtkommerziellen Basis, die den Profit ganz trickreich durch seine Deklaration zum Nonprofit ausschließt - wird begrüßt.

Am Schluss schlägt allerdings wie gewohnt wieder der altbekannte Defätismus durch. Da trotz aller Vorbildlichkeit in der Einübung zivilgesellschaftlicher Verhaltensweisen und bei aller institutionellen Anerkennung manche Zentren, wie vor wenigen Wochen das Mailänder Deposito Bulk, von der Räumung betroffen sind, beklagt der L'Espresso-Schreiber das Gesetz der Serie: Im Ausland beneiden sie uns darum, und wir planieren sie mit dem Radlader. Schade um die Cocktail-Bar.

Der Umarmung durch die wohlwollenden Beobachter, die dem Kulturbetrieb eine Sauerstoffdusche aus den Randlagen des widerständigen, kulturellen Milieus verpassen wollen, entspricht auf fatale Weise die derzeit stattfindende Hexenjagd, die teilweise auf dieselben Einrichtungen zielt, die im L'Espresso-Wegweiser zur Gestaltung alternativer Abende lobend erwähnt werden.

Allerdings nur teilweise, denn von den Zentren der Turiner Dissidenz - Marco Revelli behauptet, dort seien »die schlechtesten Centri Sociali von ganz Italien« - hat man in linksintellektuellen Kreisen nie viel gehalten. Zu viele Hunde, zu anarchistisch, zu sprachlos und immer noch radikal.

In einigen Tagen wird in Turin das Urteil über Silvano Pellissero gefällt werden, den einzigen Überlebenden von drei Besetzern - zwei töteten sich selbst in der Haft -, die man vor zwei Jahren eingesperrt hat, da ihnen einige, im Grunde harmlose, Anschläge gegen Baustellen auf der Strecke des Hochgeschwindigkeitszuges im Valsusa zugeschrieben wurden. Für den Staatsanwalt ist der Terrorismusvorwurf, der gegen Leute in besetzten Häusern erhoben wird, schon deswegen plausibel, weil diese Leute für ihn in gesetzesfreien Räumen leben.

Doch auch das in L'Espresso wegen seiner avantgardistischen Tanz- und Theaterdarbietungen erwähnte CPA Firenze Sud, das einem Supermarkt weichen soll, geriet wegen der darin betriebenen internationalistischen Solidaritätsarbeit zu Chiapas, Kolumbien, Irland etc. ins Fadenkreuz der Terrorismusfahnder. Denn die beschäftigen sich seit dem Mord der Roten Brigaden an Massimo D'Antona intensiv mit antiimperialistischen Gruppen.

Da sich die staatlichen Manöver aber in erster Linie noch gegen Strukturen richten, die innerhalb der modernen Kulturlinken als antiquiert gelten und unter Sektenverdacht stehen - wie etwa die antiimperialistische Zeitschrift Quemada oder die leninistische Voce operaia -, tut sich die Solidarität mit den von Durchsuchungen und Verhaftungen Betroffenen noch etwas schwer.

Nach den jüngsten Verhaftungen wegen kleinerer Sabotageakte im Umfeld des Widerstands gegen die US-Militärbasis von Aviano, von der aus die Nato ihre Angriffe gegen Jugoslawien geflogen hatte, scheint sich nun doch etwas mehr zu bewegen. Immerhin ist einer der verhafteten Pazifisten, Gregorio Piccin, auch Mitglied von Rifondazione Comunista. Die schikanöse Behandlung im Gefängnis zu Pordenone - die Verhafteten sind dort seit dem 7. Dezember isoliert - hat ihm die Solidarität seiner Partei eingebracht. Dieser leidige Sachverhalt sagt viel über den Zustand jedweder »Bewegung«, nicht nur der Centri Sociali, in Italien aus.