Keine Gnade für Pinochet-Gegner

Gefangene der Demokratie

Chiles Ex-General Augusto Pinochet hat es gut. In seinem unfreiwilligen Luxusasyl in England kann er sich wieder Hoffnung auf eine baldige Freilassung machen. Aus gesundheitlichen Gründen, erklärten seine Anwälte, sei er nicht mehr verhandlungsfähig. So erreichten sie eine gründliche ärztliche Untersuchung des über 80jährigen - die (soviel war bis Redaktionsschluss bekannt) das Ende seines Aufenthalts auf der Insel bedeuten könnte.

Davon kann Maria Cristina San Juan nur träumen. Die Pinochet-Gegnerin, in den achtziger Jahren eine bekannte Sprecherin der chilenischen Obdachlosenbewegung, sitzt seit März 1992 in einem chilenischen Hochsicherheitsgefängnis. Nach tagelanger körperlicher und psychischer Folter erkrankte die 43jährige schwer. Trotzdem wurde sie wegen angeblicher Mitgliedschaft in der kommunistischen Frente Patriotico Manuel Rodriguez (FPMR) zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Eine Freilassung für die Schwerkranke ist nicht in Sicht.

Maria Cristina San Juan ist kein Einzelfall. Auch zehn Jahre nach dem Übergang von der Pinochet-Diktatur zu einer vom Militär kontrollierten Demokratie sitzen 90 linke politische Gefangene in chilenischen Gefängnissen. Der größte Teil kommt aus Organisationen, die der Militärdiktatur bewaffneten Widerstand entgegen gesetzt haben. Neben der FMPR sind das vor allem Aktivisten der guevaristischen Mir und der Mapu Lautaro - einer Organisation, die ursprünglich den Christdemokraten nahe gestanden hatte, sich aber unter dem Einfluss von kubanischer Revolution und Theologie der Befreiung in den sechziger Jahren nach links orientierte.

Neben den Pinochet-Gegnern sind den uniformierten Richtern auch Angehörige der linken Jugendbewegungen ein Dorn im Auge. Mit einem Durchschnittsalter von 27 Jahren stellen Aktivisten aus den Armenvierteln der Großstädte die Mehrheit der politischen Gefangenen in Chile. Häufig werden sie wegen desselben Delikts von einem zivilen Gericht und dann noch von der Militärjustiz verurteilt. Oft verdoppelt sich so das Strafmaß.

Der aktuelle Verfolgungswille gegen chilenische Linke ist nicht verwunderlich. Denn das Einzige, was sich in den letzten Jahren am chilenischen Gefängnissystem geändert hat, ist die Errichtung von Hochsicherheitsknästen nach Stammheimer Machart. Die unter Pinochet ausgearbeitete und weiterhin gültige Verfassung schreibt sowohl die Antiterrorismusgesetze der Diktatur als auch die Zuständigkeit der Militärgerichte für die Aburteilung politischer Gefangener fest.

Welche politische Gesinnung dort vorherrscht, macht der Fall des Militärrichters Alfredo Pfeiffer deutlich, der auch für die Verurteilung von Maria Cristina San Juan verantwortlich ist. Der bekennende Nazisympathisant und Auschwitzleugner aus der deutschen Kolonie in Chile trägt den Beinamen »El Juez de la Svástica«, Hakenkreuzrichter.

Anders als in der Endphase des Pinochet-Regimes sind die politischen Gefangenen heute in der chilenischen Öffentlichkeit kein Thema. Mehrere Hungerstreiks der Gefangenen endeten ohne politischen Erfolg. Dazu haben die Zivilregierungen mit ihrem Diskurs der »Bürgersicherheit« beigetragen.

Nach dem Vorbild der »Zero Tolerance»-Doktrin in den USA und Europa soll jede kleinste Abweichung im Konsens mit den ordnungsliebenden Bürgern repressiv bekämpft werden. Die Gefangenen werden nicht mehr als linke Aktivisten, deren Menschenrechte verletzt werden, sondern als unliebsame Störer der wenigen Wohlstandsoasen wahrgenommen.

Unter diesen Umständen werden sie in absehbarer Zeit eine Chance auf Freiheit wohl nur nach dem Vorbild des legendären Flugs der Gerechtigkeit vom 30. Dezember 1996 haben. Damals landete unter den Augen der geschockten Gendarmerie ein FPMR-Kommando mit einem Hubschrauber im Innenhof des bestgesichertesten Hochsicherheitsknastes des Landes - und befreite vier ihrer Genossen.