It pays to be a Good Citizen

Das WEF-Treffen in Davos: Ein Think Tank zur Rettung der Weltordnung rüstet diskursiv um. Auch einige NGOs beteiligen sich daran.

Hunderttausend Fränkli Sachschaden, Randalierer, die sich jeder Diskussion verweigern, wo es doch um eine vernünftige Ordnung des freien Welthandels geht - so das mediale Echo vom diesjährigen Treffen des World Economic Forum (WEF) in Davos.

Bereits 1994 hatte dort eine erste Demonstration gegen das WEF stattgefunden, aber noch wenig Widerhall gefunden. Seit etwa zwei Jahren ist jedoch nicht mehr zu übersehen, dass eine weltweit vernetzte Bewegung von basispolitischen Gruppen entsteht. Dieses Netzwerk hat bisher bei den Protesten im Mai 1998 gegen die WTO-Ministerkonferenz in Genf, gegen den Weltwirtschaftsgipfel im Juni letzten Jahres in Köln sowie Ende November in den Aktionen gegen die WTO-Ministerkonferenz in Seattle weltweites Aufsehen erregt.

Diese Dynamik hat sich bei der diesjährigen Demonstration in Davos fortgesetzt. Nicht ohne Hindernisse. Nach dem strikten Demoverbot des letzten Jahres und der entsprechenden Kriminalisierung hatte die Anti-WTO-Koordination Schweiz zwar beim Verwaltungsgericht in Chur eine Rüge gegen die Behörden erwirkt und 2 000 Schweizer Franken Entschädigung herausgeholt: Ein prinzipielles Demonstrationsverbot bei Anlässen wie dem WEF stehe im Widerspruch zur Versammlungsfreiheit und zum Recht auf freie Meinungsäußerung. Kurz darauf aber hatte die Landschaft Davos erstmals ein Demonstrationsrecht eingeführt, in dem festgelegt wurde, dass während Großereignissen »grundsätzlich« keine Demonstrationen bewilligt werden.

Trotzdem reichte die Anti-WTO-Koordination Schweiz ein Bewilligungsgesuch für eine Demonstration am 29. Januar ein und begann, international zu mobilisieren. Aber am 12. Januar sprach die Landschaft Davos ein Demoverbot aus - die Sicherheitsbedenken bei dem Besuch des US-Präsidenten William Clinton seien einfach nicht zu überwinden. Sogar das Militär wurde eingesetzt, zaghaft zwar, zum Schutz von bestimmten Objekten - dennoch: ein weiterer Schritt in Richtung Militarisierung der Gesellschaft.

Die Demonstration fand trotzdem statt. Um 15 Uhr, wie angekündigt, begann eine kleine Gruppe unter den misstrauischen Blicken der Beamten mit der Kundgebung und einer Rede zu den patriarchalen Ausbeutungsstrukturen, die von dem in Massen auftretenden homo oeconomicus Davosiensis innerhalb des Forums fortgeführt und perfektioniert würden.

Kurz darauf zeichnete sich hinter den Gittern der Polizeisperre ein zweiter Demonstrationszug von etwa 500 Leuten ab, die aus Frankreich, Italien und der ganzen Schweiz gekommen waren. Als der Zug die Polizei-Sperre passierte, gesellten sich Hunderte dazu, die bisher als ZuschauerInnen abgewartet hatten, wie sich die Lage entwickeln würde. Einige Hundert Meter und eine zweite, einfach umgangene Polizeisperre weiter, am Arabella Sheraton Hotel Seehof, waren es bereits etwa 1 300 Protestierende, die an den verdutzten WEF-TeilnehmerInnen vorbeizogen. Auf dem Rückweg wurde ein McDonald's zertrümmert, und beim Verbrennen von dessen riesigem Werbetransparent - »Think Global, Eat Local« - das Hotel Seehof eingeräuchert. Vor dem Hotel löste sich um 17 Uhr die Demonstration in Wohlgefallen auf.

Gegen welche Institution aber hatten sie protestiert? Seit seiner Gründung 1971 hat sich das World Economic Forum von einem simplen Management-Seminar zu einem Forum des hegemonialen marktwirtschaftlichen Diskurses entwickelt. Alljährlich treffen sich in Davos die Eliten der innovativsten und profitabelsten Wirtschaftsbranchen - zudem das einschlägige Personal aus der Politik und, das ist neu, auch aus der Welt der Nichtregierungsorganisationen (NGO).

Zweck des Treffens: Diskurs und Zugriffsstrategien - soweit in der Konkurrenz möglich - aufeinander abzustimmen und in der gemütlichen Atmosphäre des Winterkurorts persönliche Kontakte zu anderen »Global Leaders« zu pflegen.

Nicht alle zeigten sich davon begeistert. Die Anti-WTO-Koordination hat eine klare Konfrontationshaltung gegenüber dem WEF eingenommen. Bereits im vergangenen Jahr hatte sie klargestellt, dass sie nicht an einem Dialog mit WEF-Präsident Klaus Schwab oder anderen selbst ernannten Global Leaders interessiert ist - ein Dialog in der Sprache und zu den Bedingungen einer elitären Hegemonie könne nur zur Stabilisierung dieser Hegemonie führen, so ihr Argument.

Daneben organisierte auch die Erklärung von Bern (EvB), eine NGO mit Kontakten zu Basisbewegungen und NGOs im Süden und langjähriger Erfahrung mit internationalen Institutionen, ein WEF-kritisches Forum. In einer Reihe von Veranstaltungen und Publikationen unter dem Motto »The Public Eye on Davos« verlangte sie mehr Transparenz und Demokratie beim WEF.

Auf einer solchen Veranstaltung am letzten Donnerstag in Zürich erklärte Elmar Altvater, Politikprofessor an der FU Berlin, nach dem Zerfall der Fähigkeit der Nationalstaaten, die Weltwirtschaft zu regulieren, sei die Zeit der »Global Governance« (der globalen Verwaltung) angebrochen, in der unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft - gemeint sind NGO-Eliten - internationale Entscheidungsstrukturen aufgebaut werden müssten.

Damit weist er zwar richtig auf eine tiefe Krise der kapitalistischen Regulierung hin. Sein Entwurf jedoch hat nichts mit einer Kritik am WEF zu tun, sondern passt nahtlos zur Umarmungsstrategie der Global Leaders. Genau dieser elitäre Zivilgesellschaftsansatz, der von Erneuerern des Kapitalismus wie Anthony Giddens und Ulrich Beck entwickelt wurde, macht eine Teilnahme von NGOs an Veranstaltungen wie dem WEF problematisch.

Auch die Ideologie der Global Leaders passt sich den neuen Bedingungen an. »We want to be a good citizen!« - Nicht aus den erstmals in grösserer Zahl eingeladenen NGOs, nicht aus der so genannten Zivilgesellschaft kam beim diesjährigen WEF-Treffen dieses Bekenntnis, sondern von Göran Lindahl, dem Präsidenten der ABB-Gruppe (Asea Brown Boveri), einem schwedisch-schweizerischen Kraftwerk-Konzern.

Zuerst, anfangs der siebziger Jahre, hätten die Chefs bei ABB bemerkt, dass sie auch die Interessen der Angestellten mit einbeziehen müssten. Später seien sie mit den Anliegen der KonsumentInnen konfrontiert worden. Ende der achtziger Jahre kamen die Interessen der Shareholders ins Blickfeld. Und nun, mit der überhitzten Globalisierung und ihren Folgen, müsse ABB lernen, sich auch als »good citizen« zu begreifen und Verantwortung für die »Gemeinschaft« zu übernehmen.

Lindahl weiter: »Seit langer Zeit wissen wir von der Armut, das ist nichts Neues.« Neu sei lediglich, dass man sich mit der Revolution der Kommunikations- und Informationstechnologie sowie der Globalisierung über Armut und Elend weltweit ein Bild machen könne. Doch bestehe nun auch die Möglichkeit, die Gründe dafür im globalen Maßstab zu analysieren, sodann Kräfte zu mobilisieren und zielgenau am richtigen Ort einzusetzen. Die Armut wird zu einem technokratischen Problem erklärt, die Lösung garantiert - die Leute werden aber nicht gefragt, wie sie leben wollen. Und die Eliten bleiben unter sich.

Spätestens seit den Auseinandersetzungen in Seattle sind die Globalisierer unter Druck geraten. Ihre erneuerten Legitimationsstrategien verlaufen auf mehreren Ebenen. Neben der Einbindung der so genannten Zivilgesellschaft sind in den Interviews der letzten Tage die folgenden Fluchtlinien zu erkennen: Die fatalen Folgen eines globalisierten Kapitalismus auf das Leben und die Umwelt werden in Abrede gestellt - es sei alles ein großes Missverständnis, man müsse den Leuten einfach besser erklären, wie es ist. Die Global Leaders würden von nun an die Interessen der »Armen« vermehrt berücksichtigen. Neu ist auch die Forderung, Basisbewegungen und nichtkonforme NGOs müssten Transparenz zeigen und sich demokratisch legitimieren.

Und die schönste Perspektive seit der Einführung des Webstuhls scheint auf: Bessere Technologie wird die existierenden Probleme lösen.